Künstlerischer Arm der Militanten

NACHRUF Der japanische Filmemacher Koji Wakamatsu starb an den Folgen eines Verkehrsunfalls

2008 steht Koji Wakamatsu vor der Leinwand des Berliner Delphi-Kinos. Gerade ist sein Film „Tenshi no kokotsu“ („Ekstase der Engel“, 1972) gelaufen, in dem es um eine linksradikale Gruppe geht und der als „Pink Eiga“, als Softporno, inszeniert ist. Die Figuren, Frauen wie Männer, tragen Decknamen; sie heißen Herbst, Montag oder Februar, und sie debattieren ihre Theorien, während sie lustlos, fast gelangweilt Sex haben.

Pink Eiga sei für ihn Mittel zum Zweck gewesen, erklärt der Filmemacher. Für die Produktion eines Softpornos stand Geld zur Verfügung. Wakamatsu habe seinerzeit auch darüber nachgedacht, sich der terroristischen Japanischen Roten Armee anzuschließen. Nur habe man ihm zu verstehen gegeben, dass er als Filmemacher der revolutionären Sache besser diene denn als Kämpfer. „Tenshi no kokotsu“ führt mitten hinein in ein Oeuvre, das so kontrovers wie umfangreich ist.

Über 100 Filme hat der 1936 geborene Wakamatsu gedreht und immer wieder ist er angeeckt, etwa als er 1965 im Wettbewerb der Berlinale „Secrets Behind the Wall“ vorstellte, ebenfalls ein Pink Eiga; in Japan wurde dies mit einiger Verstimmung zur Kenntnis genommen. Künstlerische Vollendung ist seine Sache nicht; seinen Filme eignen etwas Ungeschlachtes und Widersprüchliches, was sich im besten Fall als produktive Unruhe auf das Publikum überträgt. Letzteres gilt etwa für „United Red Army“, eine Mischung aus Fiktion und Dokument, die sich, unerbittlicher noch als „Tenshi no kokotsu“, mit der Selbstzerfleischung der militanten Linken befasst, oder für „Caterpillar“ (2010), einen radikalen Antikriegsfilm, in dem ein verstümmelter Veteran nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs seiner Frau zur Last fällt. Darüber sagte Wakamatsu: „Ich habe als Kind erlebt, was ich in ‚Caterpillar‘ zeige: Meine Mutter versuchte, sich zu kümmern, während mein Vater fort war.“ Am Freitag wurde Wakamatsu im Tokioter Shinjuku-Viertel von einem Taxi angefahren, am Mittwoch erlag er seinen Verletzungen. Seine Radikalität und seine Produktivität werden fehlen. CRISTINA NORD