Umbennung von Bundeswehr-Kasernen: Überholte Erinnerungskulturen

Zum ersten Mal wird kein Held, sondern ein Soldat auf Augenhöhe Namensgeber einer Kaserne. Überlegungen zu einem Paradigmenwechsel.

Ein Denkmal mit marschierenden Soldaten und eines mit einem Text aus gegossenen Buchstaben.

Am Hamburger Dammtor-Bahnhof stehen drei Denkmale: Eines fürs preußische Heer und zwei gegen den Krieg Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | „Eine Probebohrung“ sei es, sagt Michael Jonas, der Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in Hamburg lehrt. „Ein Paradigmawechsel“, sagt die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann. Diesen Wechsel, diese Probebohrung finden sie in der Umbenennung der Hannoverschen Emmich-Cambrai-Kaserne in Hauptfeldwebel-Lagenstein-Kaserne, die am Mittwoch offiziell wurde.

In den vergangenen Jahren sind einige Kasernen umbenannt worden, Michael Jonas nennt das eher lakonisch eine traditionspflegerische Entsorgung von Wehrmachtsresiduen. Entsorgt wurden vor allem Namensstifter, die sich im ersten und zweiten Weltkrieg zweifelhaft verhielten oder ganz klar Unrecht taten.

Die Bundeswehr nennt diese Männer „nicht mehr sinnstiftend für die Bundeswehr in dieser Zeit“. Um so interessanter ist es, was für neue Namen gefunden werden, zumal die zumindest in der Theorie von unten, von den SoldatInnen selbst vorgeschlagen werden sollen.

Einige der neuen Namen stammen von Soldaten, die im zweiten Weltkrieg Widerstand leisteten. Einige – Aleida Assmann nennt es ein „Umgehen der Problematik“ – sind schlicht nach Regionen benannt oder nach lokalen Sehenswürdigkeiten.

Die frühere Emmich-Cambrai-Kaserne geht einen anderen Weg: Sie ist jetzt nach Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein benannt, der 2011 bei einem Bombenattentat in Afghanistan getötet wurde. Er tat dort seinen Dienst. Er befehligte kein Heer, er rettete niemandem das Leben.

Einer auf Augenhöhe

Genau das ist es, was so bemerkenswert ist: Namensgeber ist kein Herausgehobener, er ist sozusagen auf Augenhöhe mit denen, die künftig unter seinem Namen ihren Dienst tun werden.

Erinnerung an Soldaten hat es nach dem Ersten Weltkrieg in nahezu jedem Ort und in allen Gemeinden gegeben, die Gedenksteine folgten einer ungeschriebenen Vereinbarung: „Wer bereit ist, für das Vaterland zu sterben, an den wird nach seinem Tod erinnert“, beschreibt es Aleida Assmann.

Diese Erinnerung unterscheidet sich von der, die es jetzt in Hannover gibt, die ohne Sockel und ohne heroischen Plan auskommt. Wobei: Es gibt Stimmen, etwa in der Linken Hannovers, die darin eine Legitimierung des Afghanistan-Krieges sehen und umso vehementer dagegen sprechen.

Postheroisches Zeitalter

Aleida Assmann findet darin ein Sinnbild jenes postheroischen Zeitalters, das nicht länger Männlichkeit und Gewalttätigkeit sowohl verbindet als auch feiert. Und auch Michael Jonas, der bei seinen Studierenden immer wieder auf die Frage stößt, auf wen man sich beziehen könne, sieht in dem Umstand, dass gegenwärtig soldatische Heldenfiguren fehlen, „eine glückliche Fügung“. Und folgt damit dem Dichter Bert Brecht, der in Zeiten pervertierten Heldentums schrieb: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“

Wer keine Helden braucht, kann durchaus Verwendung für Vorbilder haben, etwa für die Widerstandskämpfer des Dritten Reichs. Dort gibt es neben einigen wenigen, die immer wieder genannt werden, zahllose Namenlose: nicht, weil sie sich weniger eingesetzt hätten, sondern weil Erinnerung immer willkürlich und interessengeleitet bleiben wird. Und sei es so schlicht, dass die kommunistischen Widerständler dem Westen zu Zeiten des Kalten Krieges unlieb waren.

„Tradition wird gemacht“, so hat Michael Jonas eine Ringvorlesung überschrieben, in der es genau darum geht: dass sich Erinnerung und die Tradition, die sich daraus ableitet, den Anschein des Organischen geben und doch immer künstlich gemacht sind. Gerade jetzt hätten sich dabei zwei Stränge elegant gemischt: das Bedürfnis der SoldatInnen in Hannover, einen der ihren zu ehren und damit stellvertretend die eigene Arbeit und auf der anderen Seite das Bedürfnis der Bundeswehrführung, eine neue Geschichtsschreibung zu beginnen.

Die Bundeswehr will sich neu erfinden

An dem Tag der Umbenennung zur Hauptfeldwebel-Lagenstein-Kaserne soll Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen den neuen Traditionserlass der Bundeswehr unterzeichnen, den, so sagt es Jonas, „größtmöglichen kategorischen Bruch mit der preußischen Armee und der Wehrmacht“. Die Bundeswehr will sich neu erfinden und vielleicht ist die Kaserne in Hannover eine Wegmarke dabei.

In dem Blog „augengeradeaus“, der sich mit Bundeswehrthemen beschäftigt, ist ein Text zur Umbenennung erschienen. Liest man die Kommentare, wird einem klar, dass Wege dieser Art nie eindeutig sind, sondern eher Flussläufen gleichen, die sich verzweigen, mäandern.

„Warum wird jetzt „die“ Feldjägerkaserne schlechthin nach einem Gefallenen benannt?“, fragt ein Kommentator. „Haben wir keine tatsächlichen Leistungsträger oder Vorbilder, denen es nachzueifern gilt?“

Erinnerung ist Auswahl und Parteinahme

Ein anderer sieht gar keinen Grund für eine Umbenennung: „Mir ist nichts bekannt, was man diesem General Emmich vorwerfen könnte“, schreibt er. „Er hat seine Pflicht im 1. Weltkrieg getan, nicht im 2. Weltkrieg! So daß sich mir eher der Verdacht aufdrängt, daß das Gedenken an den 1. Weltkrieg ausgemerzt werden soll.“

Was die Vorwürfe gegen Emmich anbelangt, so hat der General 1914 das neutrale Belgien überrannt. Damals setzten die Deutschen die Bibliothek von Löwen in Brand, sodass man Deutschland vorwarf, nicht einmal unwiederbringliches Kulturgut zu verschonen.

Es ist interessant, wie präsent dieser Brand in Belgien ist – man denkt ganz kurz an die Taliban und die Empörung über die Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamiyan – und wie unbekannt in Deutschland, was einmal mehr zeigt, dass Erinnerung Auswahl und Parteinahme ist.

Denkmal und Gegendenkmal

Es ist sonderbar in Zeiten zu leben, in denen man zu sehen glaubt, wie sich Erinnerungsperspektiven verschieben, so als würde man die Bewegung tektonischer Platten spüren können. In Hamburg ist vor drei Jahren ein Denkmal für die Deserteure des Zweiten Weltkriegs eingeweiht worden, es steht neben dem „Kriegsklotz“, der an ein Infanterieregiment des preußischen Heers erinnert. Der Klotz sollte ein Gegenbild zu einer trauernden Mutter mit Kind sein, das nationalen Kreisen zu wenig heroisch schien.

Ein Stück weiter gibt es ein weiteres Gegendenkmal aus den 80er Jahren, ein Mahnmal gegen den Krieg. All das steht am Dammtor, prominent und sichtbar. Um ein Straßenschild zu finden, das eine Zeitenwende markiert, muss man in eine Gewerbestraße in Hamburg-Bahrenfeld gehen: sie ist nach Süleyman Taşköprü benannt worden, einem Opfer der NSU-Morde.

„Vergessen ist wie ein zweites Sterben im Bewusstsein der Menschen“, sagt Aleida Assmann. Hier scheint sich eine Gesellschaft gegen das Vergessen entschieden zu haben. Und erinnert im öffentlichen Raum an ein Opfer, das sich nicht selbst opfern wollte, sondern zum Opfer wurde. Man weiß nicht, wohin unsere Erinnerungskultur treibt. Aber eines ist sicher: sie ist in Bewegung.

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