Alle Vögel waren mal da

Der Himmel über Deutschland wird immer leerer, jeden Tag sterben Vogelarten aus. Schuld ist vor allem die Landwirtschaft

Auch Stare sind auf der Roten Liste Foto: Patrick Pleul/dpa

Von Bernhard Pötter

Wir verlieren Dutzende von Arten jeden Tag und bringen die Ökosyteme an ihre Grenzen“, sagte der Chef des UN-Entwicklungsprogramms, Achim Steiner, am vergangenen Wochenende. Da stellte im kolumbianischen Medellín der UN-Weltrat zur Biodiversität fünf neue Berichte zur weltweiten Bedrohung von Tieren, Pflanzen und Ökosystemen vor. Die globalen Zahlen klingen erschreckend, aber abstrakt. Zum Beispiel hat die Zahl der „wildlebenden wirbellosen Tiere von 1970 bis 2012 um 38 Prozent abgenommen“.

Konkret heißt das für die Zeit zwischen 1990 und 2013 in Deutschland: „Kiebitz: Bestandsabnahme um 80 Prozent. Braunkehlchen: Bestandsabnahme um 63 Prozent. Uferschnepfe: Bestandsabnahme um 61 Prozent.“ So steht es in einer Antwort der Bundesregierung an die Fraktion der Grünen, die 2017 nach dem Vogelsterben fragten.

Der Rückgang von Insekten und Vögeln bleibt rasant. „Zwischen 1980 und 2010 ist die Hälfte der Vögel aus unseren Agrarflächen verschwunden“, sagt Rainer Dröschmeister, Vogel­experte beim Bundesamt für Naturschutz. Eine Trendwende ist nicht in Sicht.

Im Gegenteil, der Druck auf die Artenvielfalt wird immer größer. Inzwischen gelten in Deutschland 13 Vogelarten als ausgestorben, 29 sind vom Verschwinden bedroht, 19 Arten „stark gefährdet“ und 27 „gefährdet“. Waren in den letzten 25 Jahren nach Zahlen der Bundesregierung nur ein Viertel der insgesamt etwa 300 deutschen Vogelarten bedroht, sind es in den letzten zwölf Jahren bereits circa ein Drittel. Am schlimmsten ist es im „Offenland“ und im „Siedlungsbereich“ – also auf dem Land und in der Stadt. Nur in den Wäldern, an Gewässern und in den Bergen sind die Bedingungen besser.

In anderen Ländern ist es ähnlich. Vor Kurzem berichteten Forscher aus Frankreich, die Zahl der Feldvögel sei in den letzten 15 Jahren um ein Drittel zurückgegangen. 70 Prozent der Wiesenpieper verschwanden aus den Agrarflächen, 66 Prozent der Ortolane (Garten­ammern), 80 Prozent der Rebhühner. „Unser ländlicher Raum wird zu einer Wüste“, kommentierte der französische Biologe Benoît Fontaine. „Das hat ein Ausmaß erreicht, dass man bald von einer ökologischen Katas­trophe sprechen kann.“

Für die gesamte EU fand eine Studie der Universität Exeter zusammen mit Vogelschutzorganisationen 2014 einen Verlust von 421 Millionen Vögeln in einer Zeitspanne von 30 Jahren. Die meisten Rückgänge kamen bei den 36 am weitesten verbreiteten Arten vor, vor allem bei Haussperlingen, Staren, Feldlerchen oder Rebhühnern.

Manche Vögel mögen Städte

Verantwortlich für den leeren Himmel ist die „Landnahme durch den Menschen“, sagt Vogelexperte Marius Adrion vom Naturschutzbund. Mit immer mehr Straßen, Häusern, schnelleren Autos und vor allem der Landwirtschaft mache der Mensch den Vögeln ihren Lebensraum streitig. „Früher brüteten die Rebhühner in jedem Feld, heute sind sie rar. Stare waren einmal sehr häufig, die Bestände haben sich praktisch halbiert, und sie sind auf der Roten Liste der gefährdeten Arten gelandet.“

Die industrialisierte Landwirtschaft macht den Vögeln das Leben besonders schwer.Ein hoher Pestizideinsatz dezimiert die Insekten, die den Vögeln als Nahrung dienen. Manche Gifte greifen Vögel auch direkt an. Große Felder lassen Hecken verschwinden, wo Nester gebaut werden können.

In einem noch nicht veröffentlichten Gutachten benennt das Bundesamt für Naturschutz jetzt sogar noch genauer eine Ursache für das Vogelsterben – vor allem bei Arten wie Lerche, Kiebitz, Braunkehlchen oder Ammer. „Wir können ganz klar einen Zusammenhang nachweisen zwischen dem Rückgang der Agrarvögel und dem Anbau von Raps und Mais“, sagt Drösch­meister. Beide Feldfrüchte haben in der Vergangenheit zugenommen, weil sie in die Energiewirtschaft und die Tiermast gehen.

Bedroht auch der Ausbau der Windenergie die Vögel? Immer wieder gibt es Hinweise auf hohe Verluste bei Rotmilanen und Mäusebussarden, die von den Windkraftanlagen erschlagen werden, weil sie in exakt dieser Höhe auf Jagd gehen. Allerdings seien das „bisher alles Einzelstudien“, sagt Dröschmeister. „Es gibt noch keine belastbaren bundesweiten Ergebnisse.“

Zum ersten Mal erforschen Experten in diesem Jahr auch, welche Auswirkungen eigentlich der Giftcocktail aus verschiedensten Ackergiften auf die Vogelpopulation hat. Bisher wurde bei der Zulassung nur darauf geachtet, welche Wirkung ein Wirkstoff haben kann – die Kombination mit anderen Mitteln soll erst jetzt untersucht werden. Ergebnisse werden zum Herbst erwartet.

Während auf dem Land viele Arten schwinden, gibt es in den Städten auch gegenläufige Trends. Manche Arten wie Rabenkrähe, Sperber oder Habicht fühlen sich in Städten wohl, weil sie dort nicht gejagt werden und leicht Beute finden. Andere wie Haussperling, Mauersegler oder Schwalben leiden darunter, dass Häuser immer besser saniert und gedämmt werden – es fehlen ihnen Nisthöhlen. In manchen Naturschutzgebieten können Arten wie der Weißstorch oder der Seeadler dagegen gut leben, wenn Schutzmaßnahmen genau auf sie zugeschnitten sind.

Der Europäische Rat für die Vogelzählung mahnt: „Vögel halten Schädlinge im Zaum und sind wichtige Verteiler von Pflanzensamen. Die Aasfresser unter ihnen spielen eine wichtige Rolle bei der Beseitigung von Kadavern.“ Schließlich seien Vögel für viele Menschen auch „der wichtigste Weg, mit der Natur in Kontakt zu treten“ – ob man den Vogelstimmen lausche, sie beobachte oder im Garten füttere.

Die ökonomische Bedeutung der Natur für den Menschen haben auch die Experten vom UN-Weltrat zur Biodiversität im Blick. So weisen sie etwa darauf hin, dass der Wert von „Dienstleistungen“ der Natur (saubere Luft, sauberes Wasser, fruchtbare Böden, Holz, Medikamente etc.) mit 24 Billionen Dollar allein in Nord- und Südamerika dem Wert der gesamten dortigen Wirtschaftsleistung entspreche.

Da könnte es helfen, was der Bundesrat vorgeschlagen hat: In der Europäischen Agrarpolitik, einer der größten Belastungen für die Vogelwelt, mehr Subventionen von der reinen Produktion auf den Umweltschutz umzuschichten.

Allerdings ist der Koalitionsvertrag dazu nur schwammig formuliert.

Braunkehlchen

Foto: picture alliance

Vom Braunkehlchen gibt es in Deutschland laut dem Naturschutzbund nur noch zwischen 37.000 und 90.000 Paare. Wie in fast allen mitteleuropäischen Ländern steht der Singvogel auf der Roten Liste stark gefährdeter Arten. Intensive Landwirtschaft, Monokulturen und der Einsatz von Pestiziden bedrohen seine Lebensräume und die Nahrungsgrundlagen, das sind Insekten und Larven. Das Braunkehlchen nistet üblicherweise auf Wiesen und brachliegenden Flächen, muss aber immer häufiger ausweichen. Schutzprogramme für Feuchtwiesen könnten dem Braunkehlchen helfen. Oder auch, die Termine, an denen gemäht wird, an die Brutzeiten der Vögel anzupassen.

Sperber und Habicht

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Weil er Jagd auf Klein- und Singvögel macht, war der Sperber, der zur Familie der Habichtartigen gehört, lange Zeit selbst zum Abschuss freigegeben. In den siebziger Jahren wurde er unter Schutz gestellt. Zu dieser Zeit endete in Westeuropa zudem die Verwendung von Pestiziden wie DDT und Dieldrin, die die Vermehrung der Vögel massiv einbrechen ließen. Seitdem hat sich der Sperber in seinem Bestand erholt und seinen Lebensraum sogar vergrößert. Klassischerweise lebt er in Gebieten aus Wäldern und offenen Flächen, mittlerweile auch in den Grünanlagen von Großstädten. Dort freut er sich über wenige Feinde und viel Beute.

Weißstorch

Foto: dpa

Die Zahl der Weißstörche nahm in Deutschland bis Ende der achtziger Jahre rapide ab. Schuld daran waren das Trockenlegen von Feuchtgebieten und der Ausbau landwirtschaftlicher Flächen. Seitdem hat sich der Bestand wieder erholt, was allerdings vor allem in Ostdeutschland, wo fast 80 Prozent der deutschen Störche leben, am Zuzug aus osteuropäischen Ländern liegt. Diese bieten bessere Lebensbedingungen für die Tiere. In Deutschland verunglücken laut Naturschutzbund weiterhin viele Tiere an Stromleitungen. Ein großes Problem sei außerdem sowohl hier als auch in den Überwinterungsgebieten in Afrika der Einsatz von Pestiziden, die den Vögeln ihre Nahrung rauben oder sie vergiften.

Haus­sperling und Spatz

Foto: ap

Der Haussperling, besser als Spatz bekannt, ist ein geselliger Städter. Er baut seine Nester hinter Regenrinnen, unter Dachziegeln und in sämtlichen anderen Arten von Nischen und Spalten. Wir kennen ihn auch aus vielen Sprichwörtern. Während er dort noch von den Dächern pfeift, nimmt sein Bestand in der Realität permanent ab. Schuld daran sind Gebäude­sanierungen und zu aufgeräumte Gärten ohne heimische Pflanzen und Insekten, die der Vogel an seine Jungtiere verfüttert. Außerdem findet er auf versiegelten Flächen in Städten immer weniger Sand, in dem er gern zur Reinigung badet. Alle Kurztexte: Jonas Mayer