„Zeit“ und Ex-Bundesrichter trennen sich: Unrecht für Fischer

Thomas Fischer und die „Zeit“ gehen fortan getrennte Wege. Seine Kolumnen polarisierten, doch sein Weggang ist ein großer publizistischer Verlust.

Der frühere Bundesrichter Thomas Fischer guckt skeptisch

Ist manchen Berufsschreibern intellektuell überlegen Foto: Imago/ Future Image

Sogar das Gratis-Abo hat man Thomas Fischer gekündigt. Die Zeit und der ehemalige Bundesrichter, das war einmal. Nach einer Auseinandersetzung über die Berichterstattung des Zeit Magazins zu den Missbrauchsvorwürfen gegen Dieter Wedel hat die Hamburger Wochenzeitung laut Medienberichten den Kolumnisten Fischer vor die Tür gesetzt. Das ist ein publizistischer Verlust.

Fischer, den Journalisten gern als „streitbar“ bezeichnen – wohl weil er pointiert argumentiert –, schrieb drei Jahre lang höchst erfolgreich die Kolumne „Fischer im Recht“ auf Zeit Online, in der er seine Gedanken zu rechtspolitischen Fragestellungen niederschrieb. Nach seiner Pensionierung 2017 beendete Fischer seine Kolumne, schrieb aber weiterhin regelmäßig für die Zeit.

Wer wollte, konnte viel aus Fischers Texten lernen. Von Rechtsphilosophie über Strafrechtsgeschichte bis hin zur praktischen Erkenntnis, dass es sinnvoller ist, Geldstrafen in Tagessätzen und nicht in Beträgen anzugeben. Dass das Mordurteil im Berliner „Raserprozess“ keinen Bestand haben könnte, deutete Fischer bereits im März 2017 an – und kokettierte mit dem hiesigen Automobilfetischismus sowie der alltäglichen Raserei vieler Deutscher. Außerdem verurteilte er die Hetze gegen Flüchtlinge nach den Geschehnissen in der Kölner Silvesternacht 2015 deutlich.

Man konnte sich an den intellektuell herausfordernden und stilistisch herausragenden Kolumnen erfreuen – oder aber sich über eine Handvoll misslicher Zitate in der Diskussion über die Verschärfung des Sexualstrafrechts aufregen. Obwohl Fischer gefühlt mehr als 90 Prozent seiner Texte über andere Strafrechtsthemen schrieb, interessierten sich seine Kritiker hauptsächlich für seine Äußerungen über Gina-Lisa Lohfink und Carolin Emcke.

Für den deutschen Journalismus war Fischer ein Störfeuer. Schon durch die Gestaltung seiner Texte hinterfragte er die Arbeitsweise der Branche. Jedem Zeitungsvolontär wird beigebracht, dass Texte nicht unnötig lang sein dürfen, um den Leser nicht zu langweilen. Fischer schrieb regelmäßig mehr als 20.000 Zeichen und wurde dennoch von seinen Lesern geliebt. Bei öffentlichen Veranstaltungen füllte der Bundesrichter Hallen. In seinen Texten bewegt er sich intellektuell und ästhetisch auf einem höheren Niveau als so mancher Berufsschreiber.

Wo er es für sinnvoll erachtete, griff er Journalisten auch persönlich an. Das könnte ihm nun zum Verhängnis geworden sein

Fischer kritisierte auch, dass Journalisten Urteile kommentieren, deren schriftliche Begründung noch gar nicht vorliegt. Über das Ergebnis von Strafprozessen erst Monate später zu berichten, erscheint aus journalistischer Perspektive intuitiv so abwegig, dass ohne Fischer wohl kaum jemand länger darüber nachgedacht hätte. Das war des Bundesrichters Stärke. Vermeintlich intuitive Wahrheiten und Selbstgerechtigkeit zu hinterfragen. Wo er es für sinnvoll erachtete, griff er Journalisten auch persönlich an. Das könnte ihm nun zum Verhängnis geworden sein.

Im Januar nahm Fischer Anstoß an der Berichterstattung des Zeit Magazins zu den Vorwürfen gegen Dieter Wedel. Nachdem die Zeit eine Replik Fischers nicht abdrucken wollte, ging er zum Branchenportal Meedia, das schreibt zumindest der Spiegel. Daraufhin trennte die Zeit sich von Fischer. Sein Verhalten sei „illoyal gegenüber unseren eigenen Reportern“ gewesen, sagte die stellvertretende Chefredakteurin der Zeit, Sabine ­Rückert, der Süddeutschen Zeitung.

Es ist natürlich das gute Recht der Zeit, einen Text, der die eigene Redaktion angreift, nicht zu drucken. Die Zusammenarbeit mit einem Autor zu beenden ist ebenfalls legitim. Genauso legitim ist aber Fischers Kritik an der Wedel-Berichterstattung. Der ehemalige Bundesrichter zitiert Interviews der Redakteurinnen, in denen diese von „erdrückenden“ Beweisen gegen Wedel sprechen. „Die Verwendung des Wortes ‚erdrückend‘ simuliert die Terminologie von staatlich-strafrechtlichen Verfahren“, schreibt Fischer.

Aus Leserperspektive bedauerlich

Damit begaben sich die Autorinnen quasi auf Fischers Terrain. „Wenn man meint, die Beweislage darstellen, auswerten und beurteilen zu sollen, als sei man Mitglied eines Gerichts, dann müsste man sich an die Regeln halten, die für solche Untersuchungen gelten“, schrieb Fischer. Also tat der erfahrene Revisionsrichter das, was er seit Jahren von Berufswegen tat. Er studierte das vermeintliche Urteil (Die Wedel-Story des Zeit Magazins) und suchte nach offenen Fragen in den Aussagen von Wedels möglichen Opfern und den Journalistinnen. Er fand einige.

Nun denn, die Zeit und Thomas Fischer gehen ab jetzt getrennte Wege – aus Leserperspektive bedauerlich. Es bleibt zu hoffen, dass Fischer bald auch außerhalb der Branchenportale wieder als Kolumnist tätig wird. Liebe Medienunternehmen: Greift zu!

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