Coming-Of-Age-Film „Lady Bird“: Fuck! You! Mom!

Mütter und pubertierende Töchter – keine leichte Kombi. Greta Gerwing spickt die Dialoge ihres ersten Films mit Liebe und dem Gegenteil von Liebe.

Lady Bird und ihre Freundin stehen nebeneinander auf der Straße und schauen gelangweilt

Ein Gips als Zeichen des Protests: Lady Bird (l.) neben ihrer Freundin Foto: Universal

Es gibt kaum ein Wesen, das filmisch so gut erforscht ist wie der Teenager, vor allem in seiner amerikanischen Ausprägung. Die wesentlichen Etappen seines Lebens, wie erstes Marihuana, erster Sex und erste Alkoholüberdosierungen, sind den Kinozuschauern weltweit genauso vertraut wie die Institution des Highschool-Abschlussballs, „Prom“ genannt, oder auch die „College-Tour“, die man mit den Eltern unternimmt, um potenzielle Weiterbildungsstätten in den Blick zu nehmen.

In diese falsche Vertrautheit hi­nein begibt sich Greta Gerwig in ihrer ersten selbst verantworteten Regiearbeit nach eigenem Drehbuch. Auch ihre Heldin, die 17-jährige Christine (Saoirse ­Ronan), die ihrer Umgebung abverlangt, sie „Lady Bird“ zu nennen, durchläuft ein paar der üblichen Stadien des „Coming of Age“-Prozesses, etwa erste Bühnen- und Jungserfahrungen. Aber das wahre Interesse des Films liegt anderswo: bei dem ebenso selbstverständlichen wie unglamourösesten aller Teenagerkonflikte, dem schwierigen Verhältnis zur Mutter.

Das heikle Terrain dieser Beziehung steckt Gerwig mit den ersten Szenen bündig ab: Zunächst erscheinen sie wie ein inniges Freundinnenpaar, Christine und ihre Mutter Marion (Laurie Metcalf). Auf der Heimreise von besagter College-Tour sitzen sie gemeinsam im Auto und lauschen den letzten Sätzen des Audiobuchs von John Steinbecks „Früchte des Zorns“. Beide haben Tränen in den Augen. Die Tochter steckt die Kassette in den Umschlag zurück – „unser Trip hat anscheinend genau 21 Stunden und 5 Minuten gedauert!“ – und will das Radio einschalten. Die Mutter unterbricht und schlägt vor, das soeben Gehörte noch ein bisschen nachwirken zu lassen.

Keine drei Sätze später werfen sie sich Dinge an den Kopf wie „Was hast du bloß gegen mich?“ und „Wie konnte ich bloß so einen Snob großziehen!“. Schließlich öffnet Christine die Beifahrertür und stürzt sich bei fahrendem Auto hinaus. Es ist kein Selbstmordversuch – die Straße ist leer, die Geschwindigkeit nicht hoch –, sondern ein Akt gewollter Dramatisierung, wie sie das Teenager­gemüt manchmal verlangt. Wie eine Art Kampftrophäe trägt „Lady Bird“ in der nächsten Filmstunde einen rosa eingebundenen Armgips, auf den sie ein dezidiertes „Fuck you Mom“ gekritzelt hat.

„Aber ist es nicht ein wenig zu rosa?“

Es ist nicht so, das sie sich nicht ausstehen können – es ist viel komplizierter. Der große Reiz von Gerwigs demonstrativ „kleinem“ Film, der seine Per­spektive ganz auf Augenhöhe seiner Protagonisten belässt, liegt in der Kette von aufschlussreichen Alltagssituationen, an denen Gerwig diese Komplikationen erklärt. Besonders wenn Mutter und Tochter gemeinsam Kleider einkaufen, geht es um so viel mehr als um gutes Aussehen. Der ignorante Narzissmus der 17-Jährigen reibt sich an den von wirtschaftlichen Sorgen getriebenen mütterlichen Urteilen.

Die Tochter möchte sich unabhängig machen von elterlicher Zustimmung und sehnt sich doch noch nach Lob, während die Mutter nur mühsam ihre vielleicht auch von Neid geprägte Missbilligung verbirgt. Ein Satz wie: „Aber ist es nicht vielleicht ein wenig zu rosa?“, ist beladen mit einer Menge von Bedeutungen, voller Unterstellungen, ­falscher Rücksichtnahme und viel sagender „passiver Aggressivität“.

„Lady Bird“. Regie: Greta Ger­wig. Mit Saoirse Ronan, Laurie Met­calf u. a. USA 2017, 95 Min.

Mit fünf Nominierungen in Hauptkategorien (beide Darstellerinnen, beste Regie, bestes Drehbuch und bester Film) war „Lady Bird“ zuerst einer der gefeierten Filme der vergangenen Oscar-Saison – und dann, leer ausgehend, einer der großen Verlierer. Was hervorragend zum Ton des Films passt, der mit den hochfliegenden Träumen seiner Heldin sympathisiert und zugleich die wirtschaftlichen Begrenztheit ihrer Familienverhältnisse fest im Blick hat. Und tatsächlich, obwohl er äußerlich so viel Kriterien erfüllt – eine Frau im Regiestuhl, Frauen im Zentrum der Geschichte –, lässt sich der Film nur bedingt für die politischen Kampagnen der Gegenwart einsetzen. Wer zu viel erwartet, könnte enttäuscht sein. „Lady Bird“ ist gewissermaßen nur ein weiterer „Coming of Age“-Film; Gerwigs Herangehensweise, inspiriert von eigenen Erfahrungen, unterscheidet sich nicht radikal von den Konventionen, sondern in Akzentverschiebungen und Nuancen, die es sich zu erspüren lohnt.

So ist Saoirse Ronan als Christine eine angenehm spröde Heldin, deren schrulliger Eigensinn hier einmal nicht zum Mädchencharme verniedlicht wird. Vielmehr zeigt Gerwig neben dem mitreißenden Überschwang auch das Maß an Unreife, das in ihren abrupten Entscheidungen mitschwingt, die Fehleinschätzungen, die zu manch bitterer Erfahrung gerade in erotischer Hinsicht führen, und die Arroganz, mit der sie die alte Freundin stehen lässt, um mal mit den rich kids rumzuhängen. Als Zuschauer kann man deshalb auch die missbilligende Seite der Mutter gut nachvollziehen, die Laurie Metcalf unglaublich beherrscht und umso wirkungsvoller darstellt – als Erschöpftsein von sich, von der Tochter, vom Leben. Und das Schöne ist, dass Gerwig zwar wie üblich auf die Zuneigung zwischen ihren Heldinnen hinweist, dass sie ihnen aber auch den Konflikt belässt – als Ausweis einer weiblichen Eigenständigkeit jenseits des Bechdel-Tests.

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