Neues Album der Band „Die Nerven“: Alles nur noch falsch

Das Noiserock-Trio „Die Nerven“ hat ihr zugänglichstes Album herausgebracht. Es besteht aus stellenweise toll psychedelischem Krach – und viel „Fake“.

Drei junge Männer stehen nebeneinander und schauen etwas genervt

Voll genervt: Die Nerven Foto: Johanna Maria Fritz

Mit dem Klang einer in den Angeln klagenden Tür schleicht sich die Gitarre an; in ihrer Gegenstimme wächst auf den perlenden und dann zischenden Becken des Schlagzeugs ein Groll und verschafft sich im Handumdrehen Platz und Weg. Nur noch Sekunden, und es wird wer aus dieser Tür gehen. Mit einem Knall fliegt sie ins Schloss: „lass alles los / gib alles frei / nichts bleibt“, wettert der Sänger und scheint dabei sein Mikrofon verschlucken zu wollen.

Ein Break, und der Rhythmus erinnert an „Black Betty“, einen zumeist dem US-Bluesmusiker Leadbelly zugeschriebenen Song aus den frühen Dreißigern des 20. Jahrhunderts. Weiter im Text: „immer nur dagegen / immer nur dagegen / nie wirklich da / immer nur dagegen / immer nur dagegen / aber gegen was?“ Knapp drei Minuten nur, und Schluss ist. Der Sänger atmet, die Zuhörer halten den Atem an.

„Frei“, der Song, von dem hier die Rede geht, ist das dritte von insgesamt zwölf Stücken auf „Fake“, dem neuen Album des jungen, 2010 gegründeten Stuttgarter Noiserock-Trios Die Nerven. Ihr zugänglichstes Album, sagen sie im Interview, das stilecht im Kreuzberger Ramones-Museum neben der alle paar Minuten vorbeibretternden Obergrundbahn stattfindet.

Nun ist „zugänglich“ im Noise­bereich ein relativer Begriff. Die Nerven spielen kräftigst geräuschhaltige Songs wie eben „Frei“ oder die sich auf der zweiten Albumhälfte findenden „Aufgeflogen“ und „Skandinavisches Design“. Ihr Lärm ist dabei keineswegs formlos, an anderen Stellen gerät er fabelhaft psychedelisch gedehnt und vertrackt. Anspieltipps dafür sind Stücke wie „Roter Sand“ und das danach folgende „Alles Falsch“.

„Die Ideen entstehen beim Improvisieren“

„Fake“ ist bei einer klassischen Spielzeit von 45 Minuten ein Album mit Dramaturgie. Die Nerven eröffnen es mit den zittrig-pendelnden Gitarrensounds des Songs „Neue Wellen“ sowie dem regelrecht eingängigen „Niemals“. Erst dann setzen sie auf ein Wechselspiel von kontrollierter Raserei und brodelnder Unterschwelligkeit: Da sind das Tryptichon „Dunst“, der älteste Song des Albums, und die pointillistische Gitarre in „Explosionen“, einer elegischen Dystopie. Das Album schließt mit einer bösen Ballade, sie ist auch der Titelsong.

Das Trio arbeitet mit plötzlichen Kontrasten, zwischen den Songs und in ihnen. Knoth, Gesang und Bass, sagt: „Die Brüche sind bewusst gesetzt, deshalb wirkt es auch, als würden die Noise-Schübe aus dem Nichts kommen. Wir wollten schließlich, dass sie das tun.“ Kevin Kuhn, der Schlagzeuger, ist auf die Reaktionen des Publikums neugierig: „Mit jedem neuen Album wurde gesagt, die Noise-Attacken kommen immer verhaltener, kontrollierter. Ich bin gespannt, ob das diesmal auch so sein wird.“

Album: „Fake“ (Glitterhouse/Indigo), Live: 21. 4. „Festsaal Kreuzberg“ Berlin, 23.4. „Gebäude 9“ Köln, 27.4. „Manufaktur“ Schorndorf, wird fortgesetzt

Auf die Frage nach dem Platz von Improvisationen in ihrer Musik fügt er hinzu: „Die Ideen entstehen beim Improvisieren, dann wird dezimiert und arrangiert. Auf dem Album hat dann alles seinen Platz. Meine ich zumindest.“ Die Arbeit an „Fake“ und die Aufnahmen seien ein „Kraftakt sondergleichen“ gewesen, sagen sie. In der Kompositionsphase hätten sie sich beinahe aufgelöst und gefragt, ob die Welt denn noch ein Album von ihnen bräuchte. Sie sind eine Band von Zweiflern für Zweifler. Die Skepsis trifft auch die schnellen Vergleiche, mit denen HörerInnen ihrer Musik oft begegnen. Auch, wenn die als Kompliment gemeint sind.

Sonic Youth wären so ein Referenzpunkt, die legendäre New Yorker Noiserock-Band, bei der die Gitarren schon mal mit dem Schraubenzieher bearbeitet worden sind und die in den späten Achtzigern zu einer tendenziell zugänglichen Kratzbürstigkeit fand. Die Antwort der Nerven ist ein sehr langgezogenes „Jaaaah“. Dann ein kurzes „Aber“ und ein bestimmtes: „Wir sind Die Nerven.“

Textet ein Bot zurück oder ein Mensch?

Ein Eingangsbild wie das der klagenden Tür würden sie sich wahrscheinlich verkneifen. Die Texte schreiben Max Rieger und Julian Knoth. Beide setzen auf Reduktion. Rieger, Gesang und Gitarre, hat „Frei“ geschrieben, er sagt: „Für mich wirkt es eher so, als würden wenige Worte viel mehr aussagen. Texte sollten so einfach wie möglich bleiben und dabei nicht sloganhaftig werden.“

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Knoth, Texter von „Niemals“: „Mir ist aufgefallen, dass ich zu kompliziert gedacht habe, zu viel hineinlegen wollte. Ich hatte es mit Storytelling versucht – das hat nicht funktioniert – und es dann wieder heruntergebrochen. Dadurch erlangen meine Texte Deutungsoffenheit.“

Es gibt bei ihnen wiederkehrende Textmotive. Eines ist das für eine Krachcombo bemerkenswerte von der zu lauten Stille, so in „Unersättlich“, einem Song ihres Debüts „Fluidum“. Aufgegriffen wird es auf dem Nachfolger „Fun“, ihrem vielleicht metallischsten Album, und dem langsamen, dabei siedenden Stück „Nie wieder scheitern“, in das sie mit Verve die Zeile werfen: „Wie ohrenbetäubend muss ich noch werden?“ Angesichts einer „Welt aus Styropor / Für alles andere waren wir zu feige.“

Da ist er bereits angelegt, „Fake“, der Titel des neuen Albums. Im Grunde war er es schon im Nerven-Demotape „Asoziale Medien“, einem LoFi-Konzeptalbum. Julian Knoth: „Was ist wahr, was ist echt, die Frage wird immer mehr gestellt werden. Textet ein Bot zurück oder ein Mensch?“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.