Veranstalter über kosmopolitisches Kino: „Neue Welterfahrung wird konkret“

„Grenzüberschreitendes Kino“ ist das Thema des Bremer Internationalen Symposiums. Organisator Winfried Pauleit über interkulturelle Filme und neue Technik.

Fünf Personen blicken von einem Hügel auf die Stadt Melilla.

Vom Akteur zum Regisseur: Blick auf Melilla in „Les Sauteurs – those who jump“ Foto: Arsenal Distribution

taz: Herr Pauleit, für das Bremer Internationale Symposium zum Film haben Sie mit „Grenzüberschreitendes Kino“ ein hoch aktuelles Thema gewählt. Ist das ein Schritt in eine neue Richtung, weg vom Akademischen?

Winfried Pauleit: Das wird häufig so wahrgenommen, denn das Thema ist überall und hat mit großen Veränderungen in der Gesellschaft zu tun. Aber für mich ist das gar nicht so besonders. Unser Thema von 2016 „Kino und Kindheit“ halte ich auch für gesellschaftlich sehr relevant. Nur gab es zu der Zeit, als wir das gemacht haben, keinen spektakulären Kindheits-Diskurs.

Wer überschreitet denn die Grenzen – Regisseure oder Protagonisten?

Im besten Fall beide. Wir zeigen mit „Les Sauteurs – Those who jump“ ein gutes Beispiel für diese neue Art von Kino. Das ist ein Projekt von zwei dänischen Journalisten, die in die spanische Enklave Melilla gefahren sind, um zu zeigen, wie die Flüchtlinge dort in den Wäldern hinter den Grenzzäunen leben. Einem von ihnen haben sie eine Digitalkamera gegeben und der hat dann seinen Alltag, aber auch seine eigene Grenzüberschreitung gefilmt. Der Film wird jetzt so vermarktet, dass sowohl die beiden Journalisten als auch der Flüchtling Abu Bakar Sidibé als Regisseure gelten. Sidibé ist inzwischen anerkannter Asylbewerber in Berlin. Er kommt nach Bremen, um über seinen Film zu reden.

Ist das denn etwas grundsätzlich Neues im Kino?

54, studierte Kulturwissenschaft, Literaturwissenschaft und Kulturarbeit in Osnabrück und Berlin und promovierte 2000 an der Universität der Künste Berlin zum Thema „Filmstandbilder“. Seit 2003 ist er Professor für Medientheorie und Kunstpädagogik an der Universität Bremen.

Nein, das sind filmische Methoden, die sich durch die Technik immer mehr verfeinert haben. Aber letztlich gab es solche Verfahren schon seit den 20er- und 30er-Jahren. Da hat man beispielsweise in Hollywood versucht, die damaligen Gangstermilieus zu porträtieren. Da sind die Filmteams reingegangen und haben versucht, diese Filme aus der Perspektive der Beteiligten zu machen. Die Überlegung dazu war vor allem ökonomisch, denn diese Leute waren ja alle Migranten, und die gingen natürlich auch „for a nickel and a dime“ ins Kino. Das war ein Publikum, das man bedienen wollte. Da hat man dann die Hauptrollen mit Einwanderern besetzt und die sprachen mit einem Akzent.

Was ist „kosmopolitisches Kino“?

Ein Indiz für die Entwicklung eines kosmopolitischen Kinos ist, dass bei einigen Festivals wie der Berlinale inzwischen Filme nicht mehr nationalen Kinematografien zugeordnet werden. Das war ja bisher die übliche Verortung: Nach dem Titel kommen das Herkunftsland, Herstellungsjahr, Regisseur und Darsteller. Aber weil Filme heute häufig aus vielen Produktionsländern kommen, werden jetzt nur noch die Sprachen aufgeführt, die in den Filmen gesprochen werden. Da wird eine Kategorie gesprengt und das ist ein Symptom dafür, dass sich da grundsätzlich was ändert. Und diese Spur wollen wir verfolgen: Die Philosophie des Symposiums ist es, Ästhetik, Politik und Gesellschaft zusammenzubringen.

Sind das auch andere Filme?

International wird von einem transnationalen Kino gesprochen. Die Idee dahinter ist, dass in den Filmen viel von Migration, sozialen Problemen und einer neuen Weltgesellschaft erzählt wird, aber das hat auch eine ästhetische Dimension, und die kriegen wir noch nicht richtig in den Blick. Ein Beispiel: Früher hat man immer Filme eins zu eins synchronisiert oder untertitelt. Aber beim modernen Weltkino wird damit gearbeitet, dass Dialoge, wenn sie etwa in dem chinesischen Film „The World“ auf Russisch gehalten werden, für uns als Zuschauer nicht übersetzt werden, damit wir wie die Protagonisten nicht immer verstehen können, was andere sagen. Da wird unsere neue Welterfahrung ganz konkret.

23. Internationales Bremer Symposium zum Film, noch bis zum 29. April, City 46, Birkenstraße 1, Bremen

Camilla Fojas spricht über Wanderarbeiter zwischen Mexiko und den USA, am Beispiel des Science-Fiction-Films „Sleep Dealer“. Warum ?

Sie hat die These, dass die Filme über die Grenze zwischen den USA und Mexiko ein neues Genre sind, das sich vom Western ausgehend bis zum Polizeifilm hin entwickelt hat. Und angesichts der Politik von Trump wendet sie sich jetzt dem Science-Fiction-Film zu. Einerseits werden die Wanderarbeiter in den USA gebraucht, andererseits will man sie draußen halten. So schafft man Bürger zweiter Klasse. Und das wirft Fragen auf, die man im Science-Fiction-Kino sehr gut bearbeiten kann.

Warum zeigen Sie als Vorfilm dazu den Stummfilm „Ramona“ aus dem Jahr 1910 ?

Weil er im Grunde schon von der gleichen Problematik erzählt: Er spielt auch an der US-mexikanischen Grenze, es herrschten damals schon die gleiche Einwanderungsproblematik und die gleichen Muster der Stigmatisierung der Einwanderer. Das gibt einen schönen Kontrapunkt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.