Bundesstraße gesperrt: Der Falter ist schuld

Im Kreis Holzminden wird eine Bundesstraße wegen eines Schmetterlings wohl jahrelang gesperrt. Die Behörden müssen nun Alternativen finden.

Ein schwarz-rot-beige gestreifter Schmetterling.

Mag bröckelnde Felsen: Der Nachtfalter Spanische Flagge Foto: Wikimedia

HAMBURG taz | Die Schuldfrage wäre schon mal geklärt. Es ist der Schmetterling, genauer: die Spanische Flagge. So wird der Falter genannt, der in Niedersachsen nur an Südhängen entlang der Weser vorkommt. Die liegen im Naturschutzgebiet Mühlenberg bei Pegestorf im Kreis Holzminden.

Unter diesen bis zu 80 Meter hohen Felswänden aus Muschelkalk verläuft die Bundesstraße 83. Für Autofahrer könnte es dort gefährlich werden, haben Gutachter nun festgestellt. Felsbrocken mit einem Gewicht von bis zu über 50 Tonnen drohen herabstürzen, heißt es. Die Straße wird deshalb auf einem Abschnitt von 1,5 Kilometern voll gesperrt vermutlich noch vor Pfingsten.

Holzmindens Landrätin Angela Schürzeberg (SPD) spricht von einer „Katastrophe“ für die Region. „Für eine Katastrophe halte ich das nicht“, sagt hingegen Uta Weiner-Kohl, stellvertretende Geschäftsführerin der Niedersachsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr in Hameln. „Aber für diejenigen, die betroffen sind, ist es eine erhebliche Einschränkung.“

Betroffen sind Pendler, Unternehmen und Schüler. Derzeit werden Umleitungsstrecken und Buslinien geplant, Anfahrtswege von Rettungsdiensten und Feuerwehren neu berechnet. Denn die Vollsperrung ist keine kurzfristige, sondern wird vermutlich mehrere Jahre dauern.

Ulrich Thüre, stellvertretender Geschäftsführer des Nabu Niedersachsen, nennt die geplante Vollsperrung der B 83 „einen Fall für sich“. Er wundert sich über den plötzlichen Handlungsdruck. „Arten wie die Spanische Flagge gibt es da nicht seit gestern und auch die Felswände stehen dort schon ein bisschen länger.“ Solche Felsformationen müssten unter ständiger Beobachtung stehen und auch Naturschutzorganisationen müssten bei Bauvorhaben einbezogen werden.

Die Spanische Flagge, auch als Russischer Bär bekannt, gehört zur Unterfamilie der Bärenspinner. Der Schmetterling hat eine Flügelspannweite von 45 bis 50 Millimetern.

Er lebt hauptsächlich in Süd- und Mitteleuropa, es gibt aber auch inselartige Restvorkommen in Deutschland. Diese Grenze verschiebt sich immer weiter nach Norden.

Die Schmetterlinge leben in verschiedenen Biotopen, etwa in felsigem, kalkhaltigem Gelände wie dem Mühlenberg. Sie kommen auch an Flussufern vor und mögen es sonnig, trocken oder feucht. Eine ihrer Hauptnahrungsquellen ist die Heilpflanze Wasserdost.

Die Spanische Flagge steht auf der Roten Liste. In Niedersachsen sind sie seit 2004 als vom Aussterben bedroht eingestuft, im übrigen Deutschland stehen sie bisher noch auf der Vorwarnstufe, das heißt, sie könnten in den nächsten Jahren als bedrohte Art gelten.

Eine Studie aus dem Jahr 2017 bestätigt die dramatischen Befunde zum Insektenrückgang in Nordwestdeutschland. In Niedersachsen seien Insekten und Schmetterlinge hauptsächlich durch intensiv betriebene Landwirtschaft bedroht, sagt der Biologe und Schmetterlingsexperte vom Nabu, Carsten Heinecke. Neele Pehl

Markus Brockmann von der Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr bestätigt, dass der betroffene Abschnitt der B 83 kein plötzlich aufgetretenes Problem ist. „Schon seit den 60er-Jahren bröckelt es dort“, sagt er. Bisher entfernten Kletterer regelmäßig lose Steine in den Wänden und heruntergefallene wurden entfernt.

Um eine Alternative für die Sicherung des Mühlenbergs zu finden, wurde bereits 2011 ein Gutachter beauftragt. Die Felswände wurden per Laser untersucht. Der Experte empfahl damals, die Felswände mit Ankern und Netzen zu sichern. Doch dies kommt nicht infrage.

Der Mühlenberg ist ein europäisches Flora-Fauna-Habitat-Gebiet (FFH). Neben der Spanischen Flagge findet man dort auch andere gefährdete Tiere wie die Schlingnatter oder den Uhu. Das 15 Hektar große Gebiet unterliegt damit den FFH-Richtlinien – und die untersagen Eingriffe wie die Verankerung von Felswänden.

Aus dem Gutachten 2011 ging auch hervor, dass kein dringender Handlungsbedarf bestehe, sagt Brockmann. Ein neues, wenige Wochen altes Gutachten schätzt die Lage am Mühlenberg allerdings ganz anders ein. Nach dem neuen Gutachten muss dringend gehandelt werden.

Die Sperrung sei zum jetzigen Zeitpunkt alternativlos, sagt Brockmann. Neben kurzfristigen Maßnahmen wie einer Betondecke über der Straße könnte das Land Niedersachsen eine Ausnahmegenehmigung für die Felsverankerung bei der EU-Kommission in Brüssel beantragen. Doch dies würde vermutlich mehrere Jahre dauern, so Brockmann. Und solange es Alternativen gebe, hätte diese Anfrage wenig Aussicht auf Erfolg. Eine Alternative sieht eine Umgehungsstraße über die Weser vor. Kostenpunkt: 30 bis 35 Millionen. Doch das Geld muss der Bund freigeben.

„Wir müssen mehrgleisig fahren, es geht darum, die Straße so schnell wie möglich wieder freizugeben, aber wir sprechen hier nicht von Wochen, sondern von Jahren“, sagt Markus Brockmann.

Das sorgt für ordentlich Unmut, von „menschenfeindlichem Unsinn“ ist in Online-Kommentaren die Rede und: „Insektenschützer regieren unser Land!“ Auch Markus Brockmann ist sich sicher: „Die Frage ‚Mensch vor Natur‘ wird in diesem konkreten Fall sicherlich noch eine Rolle spielen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.