Fünf Jahre NSU-Prozess: „Unglaubwürdig und meschugge“

Die Verteidiger von Beate Zschäpe weisen deren Mitschuld an der Mordserie zurück. Völlig abwegig, finden die Opfer und ihre Anwälte. Fünf Protokolle.

Angehörige vom NSU-Opfer Enver Şimşek mit ihren Anwälten im Gerichtssaal

Abdulkerim (2. v. l.) und Adile Şimşek (2. v. r.), Sohn und Witwe des vom NSU ermordeten Enver Şimşek, im Gericht Foto: Sebastian Widman/Imago

BERLIN taz | Seit fast fünf Jahren wird vor dem Oberlandesgericht München über die Terror­serie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) verhandelt. Über die 10 Morde, 2 Bombenanschläge, 15 Raubüberfälle, verübt von 1998 bis 2011. Taten, die alle einer Frau angelastet werden: Beate Zschäpe, die einzige noch Lebende des Zwickauer Terrortrios.

In der vergangenen Woche, nach 420 Prozesstagen, durfte Beate Zschäpe noch einmal ihre Sicht auf die Vorwürfe kundtun – mit dem Plädoyer ihrer Verteidiger. Und die erklärten die Angeklagte für unschuldig an der Terrorserie. Zschäpe sei zwar mit in den Untergrund gegangen, die Morde und Anschläge aber seien alleiniges Werk ihrer beiden Begleiter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gewesen. Zschäpe sei an keinem Tatort gewesen, auch in keine Planung involviert – ­anderes sei bis heute nicht nachgewiesen. Lediglich von den 15 Raubüberfällen habe die 43-Jährige gewusst und diese geduldet. Zudem sei sie verantwortlich für die Inbrandsetzung des letzten NSU-Unterschlupfs in Zwickau. Die Verteidiger plädierten auf Frei­spruch für die Mord- und Anschlagsserie und für den Rest auf eine Haftstrafe nicht höher als zehn Jahre. Und sie versicherten: Heute gebe es bei Zschäpe keinerlei rechts­extreme Gesinnung mehr.

Die Bundesanwaltschaft sieht Zschäpe als gleichberechtigte Mittäterin an der Terrorserie. Sie sei durch das enge Zusammenleben im Untergrund in alle Morde eingeweiht gewesen und habe diese auch gewollt. Zschäpe habe zudem für die Tarnung des Trios gesorgt, Papiere und Wohnungen organisiert – und am Ende, nach dem Tod der Männer, das NSU-Bekennervideo verschickt. Ohne sie wären die Taten nicht möglich gewesen. Die Forderung der Bundesanwaltschaft: lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Die Höchststrafe.

Der NSU-Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt, dann mit dem Plädoyer des Mitangeklagten Carsten S. Er soll den Rechtsterroristen die Ceska-Pistole überbracht haben, mit dem diese neun ihrer Opfer erschossen. Ein Urteil könnte nach jetzigem Stand im Juni erfolgen. (ko, db)

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„Zu Recht als Mörderin angeklagt“

Die Strategie von Beate Zschäpe ist und bleibt kläglich. Wenn alles ganz anders war als in der Anklage, hätte sie gleich zu Prozessbeginn auspacken können. Aber Zschäpe hat erst gesprochen, als klar war, dass sie hoch verurteilt wird – mit Ausführungen, die zwischen unglaubwürdig und meschugge liegen. Da ist also eine Nazi­frau, die mit Nazis zusammenwohnt und immer wieder nur entsetzt ist, wenn diese von ihren Nazimorden berichten? Beim ersten Mal gar so entsetzt, dass es keine Weihnachtsgeschenke gab. Aha. Und wenn sie so abhängig war von ihren Uwes, warum hat sie dann die Bekenner-DVD des NSU verschickt? Da waren beide Männer tot, es gab keinen Druck mehr. Die Aussage ist gelogen, offensichtlich. Da hilft auch das Plädoyer ihrer Anwälte nicht. Sie wischen alle Vorwürfe als falsch weg – aber ich habe nichts von ihnen gehört, was ein alternatives Tatgeschehen plausibel erscheinen lässt. Erschreckend ist auch die Unkenntnis rechtsextremer Terrorstrategien. Man könne nicht von einem rassistischen Tatmotiv reden, weil die türkische Community ohne Bekennerschreiben nicht gewusst habe, wer die Taten beging, und gar nicht verunsichert gewesen sein konnte? Die Verunsicherung in der Community war enorm, die Terrorbotschaft des NSU ist dort genau angekommen. Nur bei den Ermittlern nicht. Bea­te Zschä­pe ist zu Recht als Mörderin angeklagt und wird auch so verurteilt werden. Das wird aber nicht das Ende der juristischen Aufarbeitung sein. Ich werde nach dem Prozess mit einer Staatshaftungsklage notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Es sind zu viele Fragen offen.“

Mehmet Daimagüler Anwalt der Familien von Abdurrahim Özüdoğru und İsmail Yaşar, erschossen am 13. Juni 2001 und am 9. Juni 2005 in Nürnberg.

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„Erdrückende Indizien“

Das Plädoyer ist keine Überraschung. Die einzige spannende Frage war, wie es Grasel und Borchert gelingen könnte, eine Beweisaufnahme zu würdigen, an der sie weitgehend nicht teilgenommen haben. Daran sind Grasel und Borchert krachend gescheitert. Dieser sogenannte Jahrhundertprozess hat eine derart schlechte Verteidigung der Hauptangeklagten nicht verdient. Offenbar ging es Borchert nur darum, die von ihm verfasste Zschä­pe-­Einlassung vom Dezember 2015 zu verteidigen. Als ob eine Beweisaufnahme nicht stattgefunden hätte, wiederholte er nur, die Einlassung sei nicht widerlegt. Natürlich kann die Verteidigung das behaupten – aber bei der Fülle von erdrückenden Indizien nur, weil sie die Beweisaufnahme ignoriert. Nach dieser Logik kann ein Angeklagter nie verurteilt werden. Ich produziere eine Einlassung, die mit der Rea­li­tät nichts gemein hat und behaupte dann – unter Ausblendung von über 400 Verhandlungstagen – die Einlassung sei nicht widerlegt. Die Strafmaßforderung von zehn Jahren Freiheitsstrafe ist dann auch vollständig sinnbefreit. Es wäre nachvollziehbar gewesen, wenn die Verteidigung die Täterschaft von Zschäpe in Zweifel zieht und lediglich von einer Beihilfe ausgeht. Eine Beteiligung an den Mordtaten und Anschlägen aber generell zu bestreiten, ist angesichts der Beweisaufnahme abwegig.“

Thomas Bliwier Anwalt zweier Schwestern von Halit Yozgat, der am 6. April 2006 in Kassel erschossen wurde

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„Die Managerin der Morde“

Das Plädoyer von Frau Zschäpe ist für die Hinterbliebenen ein weiteres schweres Unrecht von vielen. 13 Jahre lebte sie zusammen mit den Männern im Untergrund, wandte alle Tricks an, um nicht erkannt zu werden, nur mit den Morden hatte sie nichts zu tun? Was für ein erbärmliches Zeugnis. Sie hätten jeden Tag die Chance gehabt, zur Polizei zu gehen. Aber das hat sie nicht getan. Für die Hinterbliebenen ist klar: Frau Zschäpe war die Managerin der zehn Morde und der Bombenattentate, sie hat das gewieft und erfolgreich organisiert. Viele Familien hatten gehofft, dass Frau Zschäpe im Prozess endlich offenlegt, warum ihre Angehörigen zu Opfern wurden – aber auch das hat sie nicht. Die Familien haben während des Prozesses erlebt: Dieser Frau fehlt jedes Unrechtsbewusstsein. Für die Opferfamilien kommt nur die Strafe infrage, die die Bundesanwaltschaft fordert: die Höchststrafe. Und selbst die ist der Schuld nicht angemessen. Auch dass der Prozess nicht weitere Mittäter aufgedeckt hat, dass das Staatsversagen nicht untersucht wurde, das hat viele Familien enttäuscht. In ihren Augen ist der deutsche Rechtsstaat beschädigt durch die beispiellos blinde Ermittlungsarbeit nach dem Abtauchen der Terroristen und in den Tatjahren.“

Barbara John Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Terrorserie.

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„Ausgedachte Geschichte“

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Das Plädoyer war genauso konstruiert, wie die Erklärungen von Beate Zschäpe, es wirkte teils bizarr. Meine Mandantin hat aber nichts anderes erwartet. Zschäpes Anwalt Herrmann Borchert hat sich allein an dem orientiert, was er und sein Kollege ­Grasel für Zschäpe als Einlassung abgegeben haben. Er nannte diese Schilderungen selbst ein literarisches Werk aus seiner Feder. Für Gamze Kubaşık ist es eine ausgedachte Geschichte, mit der sich Zschä­pe aus der Verantwortung ziehen will. Die jahrelange Beweiserhebung hat gezeigt, dass Zschä­pe sehr wohl ihren Anteil an den Morden hatte. Ihre neuen Verteidiger haben das ignoriert. Stattdessen halten sie immer nur ihre Einlassung hoch. Das können sie machen, aber es wird niemanden überzeugen. Denn diese Einlassung ist am Ende ein Beweismittel von vielen. Und die Frage ist: Wie glaubhaft ist sie? Da sagen nicht nur wir: überhaupt nicht. Für Frau Kubaşık ist Beate Zschäpe genauso schuldig am Tod ihres Vaters wie die, die auf ihn schossen. Sie wünscht sich endlich ein klares Urteil. Dabei war für Frau Kubaşık ein möglichst schneller Abschluss des Prozesses nie entscheidend. Sie wollte Aufklärung. Aber die ist in diesem Verfahren nicht mehr zu erwarten. Eine Hoffnung aber hat Frau Kubaşık: Dass die Richter in ihrer Urteilsbegründung klarmachen, dass längst nicht alle Fragen zum NSU-Terror geklärt und längst nicht alle Täter, Helfer und Unterstützer zur Verantwortung gezogen wurden. Die Aufklärung muss deshalb weitergehen.“

Sebastian Scharmer Anwalt von Gamze Kubaşık, deren Vater Meh­met am 4. April 2006 in Dortmund erschossen wurde.

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„Es ist enttäuschend“

Es ist enttäuschend, dass Frau Zschäpe auch das Ende des Prozesses nicht dafür nutzt, um uns Antworten zu geben. Wir werden damit leben müssen, dass wir diese nicht bekommen. Warum musste mein Vater sterben? Wie wurde er ausgewählt? Dass Frau Zschäpe dazu nichts weiß und mit alledem nichts zu tun hatte, glaube ich nicht. Sie ist genauso schuldig am Mord an meinem Vater. Maximal zehn Jahre Haft, wie ihre Verteidiger jetzt fordern? Nein. Sie sollte in höchstem Maße bestraft werden.“

Abdulkerim Şimşek Sohn von Enver Şimşek, der am 9. September 2000 in Nürnberg erschossen wurde.

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Aufgeschrieben wurden die Protokolle von Konrad Litschko

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