Grünes Spitzenpersonal: Absteiger wider Willen

Bei den Grünen verschieben sich die Machtverhältnisse. Die Parteivorsitzenden Habeck und Baerbock sind stark, die Fraktion gerät ins Hintertreffen.

Anton Hofreiter, Annalena Baerbock und Katrin Göring-Eckardt stehen nebeneinander. Baerbock lacht, Göring-Eckardt klatscht

Konkurrieren um Aufmerksamkeit: Hofreiter, Göring-Eckardt und Parteichefin Baerbock (Mitte) Foto: Rainer Droese

Robert Habeck und Annalena Baerbock werfen sich geschickt die Bälle zu. Die beiden Grünen-Vorsitzenden schlendern mit Headset lässig in der Mitte der Halle umher, philosophieren über „krass politische“ Zeiten, über „radikale Antworten“, die nötig seien, über Leitplanken für ein Miteinander. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt – kurz KGE – sitzt derweil brav in der ersten Reihe, lauscht dem rhetorischen Feuerwerk und tut das, was sie tun muss: Sie schweigt und applaudiert.

Die Szene beim Grünen-Konvent im Berliner Westhafen-Center Mitte April, wo die Partei ihren Grundsatzprozess startete, hatte Symbolwert. Die entscheidenden Anstöße kommen bei den Grünen inzwischen von den Parteivorsitzenden, während die Bundestagsfraktion im Vergleich unauffällig vor sich hin werkelt. Die Machtverhältnisse zwischen Partei und Fraktion haben sich verschoben. Habeck und Baerbock dominieren den Diskurs, Göring-Eckardt und ihr Co-Fraktionschef Anton Hofreiter fallen kaum noch auf.

Das war nicht immer so. Früher wurde bei den Grünen über „die arme Verwandtschaft vom Platz vor dem Neuen Tor“ gewitzelt. Dort sitzt die Parteizentrale in einem verwinkelten Altbau. Sie verfügt traditionell über weniger Geld und weniger Personal als der große Fraktionsapparat. Mehr Ressourcen, dazu die Bühne der Bundestagsdebatten – früher prägten die FraktionschefInnen das Bild der Grünen.

Die neue Hierarchie wird in der Fraktion kritisch zur Kenntnis genommen. „Die Musik“, sagen Abgeordnete, „spielt jetzt im Parteivorstand.“ Die Fraktionsvorsitzenden seien im Vergleich schwach. Alle Vorstöße, mit denen sich die Grünen zuletzt ins Gespräch brachten, kamen von der Parteispitze. Die Vorsitzenden schrieben das Thesenpapier für den Konvent. Nicht nur, dass sie es nicht für nötig hielten, es eng mit der Fraktion abzustimmen, wie Abgeordnete berichten. Sie stellen darin auch in Stein gemeißelte Glaubenssätze zur Disposition. Ist Gentechnik vielleicht doch okay, um Hunger zu bekämpfen?

Hartz IV „überwinden“

Habeck trieb auch die Debatte über die Abschaffung von Hartz IV voran. Die umstrittene Grundsicherung müsse „überwunden“ werden, forderte er. In der Fraktion, in der FachpolitikerInnen seit Jahren an Korrekturen arbeiten, stritt man da noch, wie scharf man sich von Hartz IV absetzen könne – schließlich hatte Göring-Eckardt die Reform damals unter SPD-Kanzler Schröder mit eingeführt. Sie war zwischen 2002 und 2005 schon einmal Fraktionschefin. Auch die knackige Forderung einer Plastiksteuer zog Habeck neulich geschickt hoch.

Das Echo in den Medien ist entsprechend. Viele Redaktio­nen rufen inzwischen lieber die Parteivorsitzenden an als die der Fraktion. Und mediale Aufmerksamkeit ist die entscheidende Währung für eine Oppositionspartei. Habeck und Baerbock haben die Parteizentrale umgebaut und auf sich zugeschnitten. Eine neu gegründete Grundsatzabteilung soll frischen Stoff fürs Programm liefern, ein gemeinsames Büro Absprachen leichter machen. Beide agieren als echtes Team – anders als ihre Vorgänger Cem Özdemir und Simone Peter, die oft gegeneinander arbeiteten.

Göring-Eckardt und Hofreiter hingegen, die im Januar mit mittelprächtigen Ergebnissen von 68 und 66 Prozent ins Amt gewählt wurden, stehen unter Druck. Göring-Eckardt, die Reala, war in den vergangenen Jahren unangefochten die starke Frau der Partei, weil Peter als Parteichefin blass blieb. Mit der selbstbewussten Baer­bock erwächst ihr jetzt starke Konkurrenz. Außerdem bröckelt ihr Rückhalt in der Fraktion. Sie und Hofreiter führten zu wenig, heißt es – wichtige Konflikte blieben ungeklärt. Außerdem stehe sie, die schon unter Joschka Fischer in der ersten Reihe stand, nicht wirklich für Erneuerung.

Auch dem Parteilinken Hofreiter fällt es schwer, sich neben den neuen Chefs zu profilieren. Habecks und Baerbocks linksliberale Vorstöße begeistern Linksgrüne, sie wildern in seinem ureigenen Terrain. Hofreiter war in der letzten Legislaturperiode der tonangebende Öko der Grünen-Führung, er kennt sich beim Klimaschutz und in der Verkehrspolitik bestens aus. Jetzt sitzen der Energiewendeminister Schleswig-Holsteins und eine Expertin für Kohleausstieg an der Parteispitze.

In der Fraktion wird deshalb bereits über die Zukunft nachgedacht. Fraktionsvorsitzende werden alle zwei Jahre gewählt. Spekuliert wird etwa über ein Comeback des Exvorsitzenden Cem Özdemir oder einen Aufstieg des Innenpolitikers Konstantin von Notz. „Die Partei hat mit Habeck und Baerbock die Neuaufstellung geschafft“, sagt ein Abgeordneter. „Die Fraktion hinkt hinterher.“

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