Polizeigesetz in Bayern: Es genügt die drohende Gefahr

Der bayerische Landtag stimmt am Dienstag über die Reform des Polizeigesetzes ab. Dieses weitet präventive Maßnahmen massiv aus.

Das Wappen der bayerischen Polizei ist auf einer Uniform zu sehen

Konkret muss nichts vorliegen, damit die Beamten zwischen Aschaffenburg und Oberstdorf eingreifen dürfen Foto: dpa

FREIBURG taz | Allein mit der schwammigen Begründung, eine „drohende Gefahr“ abwehren zu müssen, soll die Polizei im Freistaat künftig die gesamte Bandbreite an Überwachungsmaßnahmen rein präventiv, also noch bevor eine Straftat oder ähnliches passiert ist, einsetzen dürfen. Seit 1945 hat es in Deutschland keine Ausweitung polizeilicher Befugnisse in dieser Größenordnung gegeben!“ So stand es im Demo-Aufruf für die Große NoPAG-Demonstration in München, also über 30.000 Personen gegen die Verschärfung demonstriert haben. Die „drohende Gefahr“ ist der zentrale Begriff der geplanten Reform, über die der bayerische Landtag am heutigen Dienstag abstimmt.

Im Rechtsstaat darf die Polizei nur dann in Grundrechte der Bürger eingreifen, wenn ihr das ausdrücklich erlaubt ist. Für die Polizei sind dabei zwei Gesetze relevant. Die Befugnisse im Ermittlungsverfahren bei der Aufklärung bereits begangener Straftaten stehen in der Strafprozessordnung. Die Befugnisse zur Abwehr künftiger Gefahren stehen im jeweiligen Polizeigesetz. In Bayern heißt es Polizeiaufgabengesetz (PAG).

Eigentlich ist die Strafprozessordnung für den Polizeialltag relevanter. Das jeweilige Polizeigesetz wurde immer unwichtiger, weil viele Materien wie die Lebensmittelüberwachung oder der Schutz vor Kampfhunden in Spezialgesetzen geregelt wurden. Mit dem Schutz vor unorganisierten Terroristen hat das Polizeirecht aber wieder neue Bedeutung gewonnen. Allerdings hat das BKA seit 2009 eine separate Zuständigkeit für die Abwehr internationaler Terrorgefahren. Außerdem sind inzwischen auch viele Vorbereitungshandlungen strafbar.

Für Landesregierungen ist die Strafprozessordnung aber uninteressant, da sie ein Bundesgesetz ist. Wenn sich eine Landesregierung im Bereich der Inneren Sicherheit profilieren will, muss sie das Landespolizeigesetz ändern.

Keine Überwachung aufgrund bloßer Vermutungen

Klassischerweise darf die Polizei auf Grundlage des Polizeigesetzes nur dann eingreifen, wenn eine „konkrete Gefahr“ besteht, das heißt, wenn der Schaden unweigerlich eintreten würde, falls niemand ihn verhindert. Beispiel: Der Mann, der seine Frau töten will, ist unterwegs zu ihrem Haus.

Seit Jahrzehnten wird schon diskutiert, ob die Polizei auch schon bei einem bloßen „Gefahrenverdacht“, also dem Verdacht einer Gefahr, Maßnahmen ergreifen darf. In den 1980er Jahren fügten zudem alle Länder Vorschriften zur „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ in ihre Polizeigesetze ein. Das Bundesverfassungsgericht hat dies 2005 aber stark beschränkt.

Wenn sich eine Landesregierung profilieren will, muss sie das Landespolizeigesetz ändern

Doch schon 2008 zeigte das Bundesverfassungsgericht auf, wie die Sicherheitsbehörden rechtsstaatlich korrekt im Vorfeld einer konkreten Gefahr tätig werden können. Voraussetzung sei, dass „bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen, selbst wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr schon in näherer Zukunft eintritt“. Erforderlich ist, dass das Geschehen wenigstens „seiner Art nach konkretisiert und zeitlich absehbar ist“. Zugleich müsse über die Identität der beteiligten Personen so viel bekannt sein, dass sie „gezielt“ überwacht werden können. Eine Überwachung aufgrund bloßer Vermutungen ist ebenso verfassungsrechtlich ausgeschlossen wie eine präventive Massenüberwachung ins Blaue hinein.

Die Große Koalition im Bund nahm den Karlsruher Hinweis 2008 dankbar in ihre Regelung der heimlichen Ausspähung von Computerfestplatten (Onlinedurchsuchung) im BKA-Gesetz auf. Gegen das BKA-Gesetz klagten damals die FDP-Politiker Baum, Hirsch und Leutheusser-Schnarrenberger. Doch Karlsruhe akzeptierte 2016 an diesem Punkt das BKA-Gesetz. Schließlich hatte der Bundestag ja eine Konstruktion des Gerichts übernommen.

Telefone abhören und Festplatten ausspähen

Bayern griff die Idee der „drohenden Gefahr“ 2017 auf und verankerte als erstes Bundesland eine ähnliche Definition in seinem Polizeigesetz. Bundesweit bekannt wurde die „drohende Gefahr“ damals, weil Bayern auch einen unbefristeten Präventiv-Gewahrsam schon bei drohender Gefahr zulassen wollte. Doch aufgrund der Proteste wurde dies wieder gestrichen. Bei der Reform von 2017 blieben letztlich acht Anwendungsfälle – vom Platzverweis bis zur elektronischen Fußfessel.

In der Reform des Polizeiaufgabengesetzes (PAG), über die der Bayerische Landtag heute Abend abstimmt, sollen nun 16 weitere Anwendungsfälle hinzukommen. Zum Beispiel bei heimlichen Überwachungsmaßnahmen, etwa das Abhören von Telefonen oder Ausspähen von Computer-Festplatten.

Zwar ging es am Bundesverfassungsgericht 2016 um terroristische Gefahren. Die Maßstäbe des Gerichts sind aber darauf nicht beschränkt. Grundaussage ist eher: Je heimlicher und tiefer der Staat in die Privatsphäre der Bürger eingreift, desto wichtiger müssen die geschützten Rechtsgüter sein. Die CSU-Regierung argumentiert nun zum Beispiel mit dem Ex-Mann, der angekündigt hat, dass er seine Frau töten will, ohne dass schon klar ist, wann und wie er die Tat begehen wird. Hier sind sicher viele der eingeführten und geplanten Eingriffs- und Überwachungsmaßnahmen zulässig.

Letztlich wird das Bundesverfassungsgericht jede der zwanzig Regelungen, bei denen künftig eine „drohende Gefahr“ genügt, für sich anschauen und abwägen, ob die Regelung verhältnismäßig ist oder zumindest verhältnismäßig ausgelegt werden kann.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.