Kommentar Ellwangen und Asylpolitik: Freie Bahn für die Staatsmacht?

Horst Seehofer nutzt die Ereignisse von Ellwangen, um Gefängnisse für Flüchtlinge zu rechtfertigen. Der Versuch sollte ein Warnzeichen sein.

Ein Mann läuft hinter einem vermummten Polizisten her

Solche Bilder sollen Flüchtlinge moralisch delegitimieren und ihre künftige Kasernierung rechtfertigen Foto: dpa

„Rassismus ist zunächst einmal eine Politik, erst danach Ideologie“, schrieb der polnisch-britische Soziologe und Philosoph Zygmunt Bauman, der sich in seinem Werk „Die Moderne und der Holocaust“ mit der Frage beschäftigte, wie es zum Holocaust kommen konnte. Anders als viele Zeitgenossen sah Baumann die Massenvernichtung der Juden nicht als deutsche Entgleisung, sondern analysierte Bedingungen, unter denen Wiederholung drohen könnte.

Was das mit Ellwangen zu tun hat? Zunächst einmal wenig. Flüchtlinge werden in Deutschland nicht misshandelt und schon gar nicht getötet. Sie werden besser aufgenommen und behandelt als in anderen europäischen Ländern. Das ist gut. Doch die Ereignisse in Ellwangen, die gescheiterte Abschiebung eines Togoers, die einen Großeinsatz der Polizei in der Unterkunft auslöste, könnten dafür sorgen, dass sich auch hier die Hardliner durchsetzen. Menschen könnten bald, ähnlich wie in Ungarn, für die Dauer ihres Asylverfahrens eingesperrt werden.

Die von Innenminister Horst Seehofer geplanten Flüchtlingskasernen – euphemistisch Ankunftseinrichtungen genannt – sind im Grunde ungarische Duplikate. Die Begriffe, die Seehofer, aber auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gebrauchten, als die Ereignisse in Ellwangen kommentierten, bauen Brücken, um solche Gefängnisse zu legitimieren. Von „Gastrecht“ reden Seehofer und Co., von „Abschiebe-Saboteuren“, von der „rechtstreuen Bevölkerung“, die einen Schlag ins Gesicht erhalten habe. Subtext: Diese Afrikaner, das sind im Grunde Kriminelle, die gehören eingesperrt.

Man kann Ellwangen natürlich auch anders bewerten: die Bewohner sind zunächst einmal Menschen, sie mögen gut oder garstig, nett oder hinterlistig sein. Und sie sind in einer ziemlich beschissenen Lage – sie haben viel Geld und viel Zeit investiert, um ins gelobte Land zu kommen – und sie begrüßen diejenigen, die anrücken, um sie wieder rauszuwerfen, nun mal nicht mit Blumen, sondern mit Bitterkeit. Wer meint, der Staat müsse hier richtig hart durchgreifen, um solche Insubordination in Zukunft zu unterbinden, soll bitte auch gleiche Maßstäbe anlegen, wenn er oder sie mit 60 km/h in der 30er Zone erwischt wird.

Worum es wirklich geht

Aber Seehofer und Co. geht es ja gar nicht darum, Empathie für die Geflüchteten zu wecken, sondern im Gegenteil darum, sie moralisch zu delegitimieren und ihre künftige Kasernierung zu rechtfertigen.

Und das wirkt offenbar. Die Welt hat am Freitag unter einem Artikel zu den Konsequenzen für die „aufständigen Flüchtlinge“ zur Teilnahme an einer Umfrage aufgerufen: Sollten „Ankerzentren“ eingerichtet werden, in denen sich Asylbewerber aufhalten müssen, bis über ihren Antrag entschieden wurde?, lautet die Frage. 74,5 Prozent der Teilnehmenden beantworten sie mit: „Ja, auf jeden Fall.“

Und da kommt wieder Baumann ins Spiel. Die übergroße Mehrheit der Deutschen habe damals Augen und Ohren verschlossen, so der jüdische Philosoph. Die Massenvernichtung sei nicht von einem Aufruhr der Gefühle, sondern von tödlichem Schweigen begleitet gewesen. Zuvor, so analysiert Baumann, sind die Opfer von der Gesellschaft isoliert worden – moralisch und später auch räumlich. Die Lähmung der Gesellschaft habe dem Staat freie Bahn gelassen.

Auch wenn der Staat heute kein mörderischer ist und die Gesellschaft alles andere als gelähmt – wann immer Gruppen von Menschen von Repräsentanten staatlicher Macht an den Rand gedrängt, isoliert und kriminalisiert werden, heißt es: Obacht. Nie wieder.

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Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.

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