„Lebensschützer“ gegen Berliner Bistum: Im Visier der Fundamentalisten

„Lebensschützer“ werfen dem Erzbistum Berlin vor, Jugendlichen Tipps für Abtreibungen zu geben. Mit einer Petition gehen sie gegen die Diözese vor.

Mehrere Menschen laufen nebeneinander und halten weiße Kreuze hoch

DemonstrantInnen während eines Schweigemarsches gegen Abtreibung in Berlin (Archivbild, 2009) Foto: ap

BERLIN taz | Mehr als 8.000 E-Mails sind beim Berliner Erzbischof Heiner Koch innerhalb eines halben Jahres eingegangen, alle mit dem gleichen Inhalt: Über die offizielle Internetpräsenz des Bistums werde minderjährigen Schwangeren zur Abtreibung geraten, heißt es. Jede dieser Mails wird automatisch an den Bischof weitergeleitet, wenn die Petition „Das Erzbistum Berlin soll endlich aufhören, Jugendlichen Abtreibungstipps zu geben!“ auf der Plattform Patriot.­Petition.org eine weitere Unterschrift erhält.

Nach der katholischen Lehre sind Abtreibungen nur dann legitim, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist, ansonsten nicht einmal nach einer Vergewaltigung. Doch trotz ­dieser konservativen Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen werden Katholik*innen nun angefeindet – von selbsternannten „Lebensschützer*innen“.

Was das Missfallen der Abtreibungsgegner*innen erregt, liegt bereits zwei Jahre zurück: Im Februar 2016 hatte das Katholische Netzwerk Kinderschutz im Erzbistum Berlin, das sich als Konsequenz aus dem Missbrauchsskandal 2010 gegründet hat, die wichtigsten kirchlichen Dienste und Einrichtungen zu einer Fachtagung eingeladen. Ein Workshop befasste sich mit der Frage, ab wann es normal sei, Sex zu haben. Das PDF-Dokument zu dem Workshop ist, ebenso wie das sonstige Material zur Fachtagung, seitdem online abrufbar. Die Praxistipps, die den Pädagog*innen in dem Workshop an die Hand gegeben wurden, werden in der Petition gegen das Bistum nun zu „Abtreibungstipps“.

Denn an einer Stelle geht es um die 15-jährige Milena, die ungewollt schwanger ist und nicht weiß, wie es weitergehen soll. In dem Beispiel heißt es: „Auch Mädchen unter 18 Jahren haben grundsätzlich die Möglichkeit, eine ungewollte Schwangerschaft in den ersten zwölf Wochen straffrei abbrechen zu können. […] Wenn Milena sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet, hat sie das Recht auf umfassende Beratung, angemessene ärztliche Versorgung und respektvolle Behandlung.“ Damit jedoch gebe das Erzbistum Berlin 15-jährigen Schwangeren Tipps, „wie sie ihr Kind töten können“, meint Patriot.Petition.org.

Sonst „verlieren wir die Jugendlichen sofort“

Rebekka Schuppert ist Bildungsreferentin für Sexualpädagogik und Prävention am Bistum – und damit eine der Pädagog*innen, die auf der Grundlage der sexualpädagogischen Konzepte des Bistums arbeiten. Sie betreut Projekttage, die in den 8. Klassen von Berliner Schulen stattfinden, spricht mit den Mädchen und Jungen über alle Aspekte von Sexualität.

Und sie stellt klar: „Anders, als es in der Petition vorgeworfen wird, ist das Erzbistum Berlin nicht für Abtreibung, sondern für den Schutz des Lebens.“ Die 27-Jährige beschreibt das Dilemma: „Wir bewegen uns in einem ständigen Spannungsfeld zwischen der Lebensrealität von Jugendlichen und dem Glauben, aus dem sich eine Moral ergibt.“ Derzufolge sind auch Sex vor der Ehe und Verhütung verboten. „Aber es bringt nichts, der Welt gegenüber blind zu sein“, sagt Schuppert. Sonst „verlieren wir die Jugendlichen sofort.“ Im Dialog mit Jugendlichen würde ein von christlichen Glauben geprägter Standpunkt bezogen.

Zu den „Lebens­schützer­*­innen“ sagt Schuppert: „Die sind nicht an einer Debatte interessiert, die wollen nur verurteilen und diskreditieren.“ Sie hofft, dass die Praxistipps auf der Homepage stehen bleiben können. Vorsorglich wurde das Dokument um einen Satz ergänzt: „Egal in welchem Alter: Niemand darf ein Mädchen zwingen oder unter Druck setzen, eine Schwangerschaft abzubrechen.“ Sicher ist sicher.

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