Psychotherapeuten
in Ausbeutung

Wer Psychotherapeutin oder Psychotherapeut werden will, muss 1.800 Stunden Berufserfahrung nachweisen können. Viele Kliniken und Praxen nutzen das schamlos aus. Drei Betroffene schildern ihre Lage – und warum sie nun demonstrieren

Ziel für alle PiAs: die gut bezahlte Arbeit als PsychotherapeutIn Foto: Saul Robbins/plainpicture

Ich habe nach der Ausbildung 25.000 Euro Schulden!

Ich habe lange überlegt, ob ich die Ausbildung zur Psychotherapeutin wirklich anfangen will. Ich hatte damals schon 10.000 Euro Bafög-Schulden aus meinem Psychologiestudium. Und dann noch mal einen Kredit über 15.000 Euro für eine neue Ausbildung? Das kann ich mir auf keinen Fall leisten, dachte ich. Das ist es mir nicht wert.

Dann machte ich während meines Studiums ein Praktikum in einer Rehaklinik für Suchtkranke. Ich merkte: Mir macht die Arbeit als Therapeutin total viel Spaß. Vor allem mit den Menschen gemeinsam Strategien zu entwickeln, wie sie mit schwierigen Situationen um­gehen können. Dann fasste ich den Entschluss: Ich nehme den Kredit auf und werde Psychotherapeutin – trotz der teuren Ausbildung und der beschissenen Bedingungen.

Andere in meinem Alter arbeiten vielleicht schon und verdienen jetzt schon gutes Geld. Ich hingegen verdiene nicht nur schlecht: Ich habe mich mit insgesamt 25.000 Euro verschuldet. Das ist schon frustrierend.

Denn ich habe eine Sechs-Tage-Woche: Am Wochenende bin ich auf den Fortbildungen, und vier Tage arbeite ich in einer Klinik, das ist der praktische Teil der Ausbildung. Ich betreue dort eigenständig Patienten und leite sogar eine Gruppentherapie. Ich trage die gleiche Verantwortung wie andere Ärzte oder Therapeuten, werde aber nur wie bei einem Minijob vergütet: mit 400 Euro im Monat. Deswegen arbeite ich am Freitag noch an der Uni, um mir das Nötigste zu leisten.

Trotzdem setze ich mich nicht zu sehr unter Druck: Ich bin im vergangenen Jahr der Ausbildung. Die Schulden muss ich frühstens erst im kommenden Jahr zurückzahlen. Dann verdiene ich auch endlich richtiges Geld. Was auch hilft: Ich arbeite in der Klinik mit einem tollen Team, das mir den Rücken stärkt. Sie schauen, dass ich nicht zu viel Verantwortung tragen muss.

Dennoch bin ich heute hier auf der Demonstration, um gegen die schlechte Bezahlung für uns Auszubildende zu de­monstrieren. Meine Kollegen und ich stehen seit eineinhalb Jahren im Kontakt mit der Klinikleitung, dass uns Psycho­therapeuten in Ausbildung mehr Geld gezahlt wird. Aber die Chefärzte behaupten: Es ist kein Geld da. Wir sollten doch froh sein, dass wir überhaupt was bekommen. Das ist ­frustrierend.

An anderen Kliniken geht das ja auch: Da gibt es Chefärzte, die sich dafür einsetzen, dass den Psychotherapeuten in Ausbildung mehr gezahlt wird.

Elisabeth Lotz, 26, befindet sich in der Ausbildung.

Jobben nebenher!

Gerade bewerbe ich mich bei verschiedenen Psychiatrien um einen Ausbildungsplatz. Eigentlich würde ich am liebsten in Marburg bleiben. Hier habe ich studiert und viele gute Freunde gefunden. Ich singe im Chor, mache Yoga, gehe zu Konzerten oder ins Open-Air-Kino. Doch wahrscheinlich muss ich für die PiA-Ausbildung aufs Land ziehen. Die Kliniken dort zahlen besser, weil sie dringend Leute suchen. Die Kliniken in der Stadt hingegen können den Lohn drücken, weil alle dorthin wollen. Die Politik hat es verschlafen, für einheitliche Arbeitsbedingungen zu sorgen. Die aber sind dringend notwendig. Deshalb bin ich heute zur Demo gekommen.

Meine Aussichten sind nämlich, dass ich neben der Ausbildung wahrscheinlich noch zusätzlich jobben muss, um über die Runden zu kommen. Zumindest hat man mir bei zwei Bewerbungsgesprächen klargemacht, dass sie mir nicht genug zahlen, um meinen Lebensunterhalt zu sichern. Und das ist ungerecht. Die Kliniken bekommen nämlich pro Therapiestunde etwa 80 Euro von den Krankenkassen. Aber wir Therapeuten in Ausbildung sehen davon nichts in manchen Ausbildungsstätten.

Ich muss also sicher nebenher in einem Café arbeiten, babysitten oder mir einen Nebenjob an der Uni suchen. Meine Eltern unterstützen mich zwar finanziell, aber nach fünf Jahren Studium will ich nicht mehr von ihnen abhängig sein. Ich arbeite ja, ich tue ja selbst was. Und dann kommt hinzu, dass ich eigentlich nicht auf das Land ziehen will. Yoga, Chor, Open-Air-Konzerte gibt es da nicht so viele. Ich müsste mein ganzes Leben umstellen. Ich habe Angst, dass ich dort sehr einsam sein werde. Und vor allem habe ich Angst, dass mein ganz Leben dann nur aus Arbeit bestehen wird.

Trotzdem werde ich bei der Ausbildung hundert Prozent geben. Ich mache das nicht vom geringen Lohn abhängig. Ich arbeite vielleicht umsonst, werde mich aber dennoch reinknien. Auch für bessere Arbeitsbedingungen. Die Politik muss durchsetzen, dass alle Kliniken und alle Praxen den Psychotherapeuten in Ausbildung wenigstens den Mindestlohn bezahlen.

Hannah Friedrich, 26 bewirbt sich momentan um einem Ausbildungsplatz. Sie studiert.

Genau mein Ding!

Wir stehen schon während des Studiums unter enormem Druck: Die Dozenten sagen uns von Anfang an, dass wir gute Noten schreiben müssen. An meiner Universität in Frankfurt müssen wir die Note 1,7 schaffen, um in den Masterstudiengang zu kommen. Darauf arbeite ich hin. Denn ein guter Studienort und eine gute Abschlussnote sind mir wichtig. Sie entscheiden darüber, in welchen Praxen ich nach dem Studium meine Ausbildung zum Psychotherapeut machen kann. Ich weiß, dass die meisten nur ein paar hundert Euro im Monat zahlen. Dennoch will ich das durchziehen. Denn ich weiß: Psychologie ist genau mein Ding.

Ich habe zuvor in Köln deutsch-französische Rechtswissenschaften studiert und bin damit voll auf die Schnauze gefallen. Irgendwann habe ich gemerkt: Jura ist das falsche Fach für mich. Das war ein bitterer Moment: Ich habe ich so viel Zeit investiert und so viel Energie, um am Ende sagen zu müssen: Alles umsonst. Du musst jetzt ganz von vorne anfangen.

Ich habe dann versucht, mich selbst zu therapieren. Also zu schauen: Wie motiviere ich mich? Wo will ich hin? Was ist mir wichtig? Ich habe angefangen, Bücher über Psychologie zu lesen, und gedacht: Schau es dir doch mal an. In den Vorlesungen habe ich gemerkt: Das erfüllt mich so, wie es Jura nie konnte. Ich habe mich aus der Krise rausgezogen. Deswegen weiß ich, dass ich auch die Hürden später während der Ausbildung überwinden kann.

Ich will später wahrscheinlich als Verhaltenstherapeut arbeiten. Wie ich mir die Ausbildung leisten kann, weiß ich noch nicht. Vielleicht muss ich einen Kredit aufnehmen, vielleicht kann ich nebenbei arbeiten. Ich habe noch fünf Jahre bis zu meinem Abschluss. Bis dahin versuche ich die Situation dadurch zu verbessern, indem ich demonstrieren gehe. Wir sammeln Unterschriften und wollen die Listen dann den Landtagen übergeben, und vielleicht setzt sich der ein oder andere Politiker für gerechtere Löhne ein.

Bis es so weit ist, versuche ich den Druck aus dem Kopf zu bekommen und das Leben zu genießen.

Mark Blöchl, 21, studiert im zweiten Semester Psychologie und will Therapeut werden.