Empörung und Argumente

Bombe zünden, Trümmer sichten: Frank Schirrmachers Debatten und Michael Angeles Darstellung

Aber was ist eigentlich eine Debatte?“ So ist eines der interessantesten Kapitel in dem Porträt Frank Schirrmachers überschrieben, das der Journalist Michael Angele soeben im Aufbau-Verlag publiziert hat; am Donnerstag war die Buch­pre­mie­re. Tatsächlich ist das bei dem 2014 verstorbenen FAZ-Mitherausgeber eine interessante Frage. Genom, Überalterung, Grass, Walser, Internet – mit Feuilletondebatten wird sein Bild schließlich verbunden bleiben.

Man kann, so Angele also nun, „festhalten, dass eine Schirrmacher’sche Debatte nicht nach dem Ideal des herrschaftsfreien Diskurses abläuft, in der nach Jürgen Habermas der ‚zwanglose Zwang des besseren Arguments‘ herrscht“. Das kann man in der Tat. Der Idealtypus einer Habermas’schen Debatte geht von der Situation eines geschützten Raums aus, man spricht und hört zu, intersubjektiv wird an einem tieferen, aktuelleren Verständnis gearbeitet. Es ist schon häufiger bemerkt worden, dass Habermas das Modell eines Uniseminars auf die Gesellschaft überträgt. Schirrmachers Debattenstil, vor allem seine Eröffnungen von Debatten – wenn man an das seitenlang abgedruckte Genom denkt oder an seinen offenen Brief an Martin Walser – beschreibt Angele ganz anders. Wörter wie „Überwältigung“ und „Drama“ fallen. Statt um einen sachlichen Austausch von Argumenten war es Schirrmacher um ein Agendasetting durch Schocks gegangen. Angele: „Erst die Bombe zünden, dann die Trümmer neu zusammensetzen.“

Tatsächlich hat, wenn man es cool sieht, die Schirrmacher-Methode gewisse Vorteile. Bei Habermas tauscht man rationalisierte Sprecherpositionen aus, wer mitsprechen will, muss von seinen subjektiven Befindlichkeiten absehen. Schirrmacher-Debatten dagegen konnten eine fast körperliche Qualität gewinnen. Erregungen spielten hinein, Leidenschaften, Ängste, Empörungen. Es war Leben in der Bude, und das Ganze hatte etwas Egalitäres: Jeder hatte das Gefühl, sich beteiligen zu können, auch ohne Begriffsvorklärungen; Meinungen oder Affiziertheit reichten.

Nachteile hatte die Paukenschlagmethode allerdings auch. Schirrmacher neigte dazu, diskursive Entscheidungssituationen zu setzen: Bist du auf meiner Seite oder gegen mich? Gegner waren von vornherein in eine defensive Position gedrängt. Und es gab die Neigung, den Gegenstand aus dem Auge zu verlieren. Die Wellen, die die Debatte auslöste, bezogen sich immer auch auf die Chuzpe und die Gedankenschnelligkeit Schirrmachers, nicht nur auf die Sache.

Im Erzwingen war er gut

Schirrmachers performative Setzungen versus Habermas’ Diskursideale also: Nun kann man es sich in diesem Gegensatz bequem machen, und womöglich haben das sowohl Anhänger als auch Gegner Schirrmachers bislang allzu sehr getan, indem sie sich gegenseitig Entdifferenzierung beziehungsweise Verschnarchtheit vorwarfen. Wirklich interessant an Angeles Debattenkapitel ist aber ein weiterer Punkt, den er leider nur streift. Er schreibt: „Bevor Einsichten gewonnen werden können, muss die Bereitschaft dazu erzwungen werden. Empörung und Erregung gehen dem Argument voran.“

Es ist nicht ganz klar, ob Angele hier die Position Schirrmachers referiert oder eine eigene mögliche Lesart aufzeigen will. Sollte es eine Schirrmacher-Position gewesen sein, hätte der sich jedenfalls selbst meistens nicht dran gehalten. Im Erzwingen von Debatten war er gut, aber dann auch meist wieder zu schnell von ihnen gelangweilt, um sie tatsächlich dann auch zu führen. Nach seinem fulminanten Aufschlag hat er doch vor allem die Schleusen des Feuilletons geöffnet. Eine Zeitlang konnte dann halt jeder (ich übertreibe) alles mögliche über Wissenschaft, Überalterung oder die Gefahren des Internets schreiben, Hauptsache, es fand in der FAZ statt. Argumente waren da manchmal sekundär.

Michael Angele jedenfalls bringt einen darauf, einmal wieder grundsätzlich über Debatten nachzudenken. Es ist vielleicht kein fauler Kompromiss, wenn man sich dabei im Grunde eine Kombination aus Paukenschlag und Argumentaustausch wünscht. Toll ist es ja immer, wenn es gelingt, Erregung in Argumente zu überführen. Aber das zum Beispiel ist ein Thema – auch diesen Eindruck kann man aus Angeles Porträt mitnehmen –, über das man mit Schirrmacher nicht gut hätte debattieren können. Dirk Knipphals