G20-Aufarbeitung: Zur Jagd auf Italiener geblasen

Erstmals urteilt ein Hamburger Gericht, das Vorgehen der Polizei während des G20 sei „grob rechtswidrig“ gewesen

Gefangenennahme durch die Polizei beim G20-Gipfel: Nicht immer rechtmässig. Foto: dpa

HAMBURG taz | In seiner Urteilsbegründung wählt Richter Dietrich Hölz, klare Worte. Tulio B. sei „schwerwiegendes Unrecht“ geschehen. Verursacher sei die Stadt Hamburg, vertreten durch den Polizeiapparat. Der nahm am Rande des G20-Gipfels Tulio B. und 14 italienische Landsleute am Rande des G20-Gipfels in Gewahrsam und brachte diese in die zentrale Gefangenensammelstelle im Bezirk Hamburg. Dort wurden sie teilweise über 24 Stunden festgehalten und mit Schikanen überzogen. „Das Einzige, was an diesem ganzen Prozedere rechtmäßig war“, sagte Hölz, „war die Freilassung“.

Verhandelt vor dem Hamburger Verwaltungsgericht wurden am Dienstag die Anträge von acht der 15 von der Polizei einkassierten ItalienerInnen, ihre Ingewahrsamnahme für rechtswidrig zu erklären, um daraus Schadensersatzansprüche herleiten zu können. Die Leute waren am Nachmittag des 8. Juli 2017 am Rande der Großdemo „Grenzenlose Solidarität statt G20“ nicht etwa festgesetzt worden, weil ihnen irgendeine Straftat vorgeworfen wurde, sondern präventiv als Maßnahme zur staatlichen „Gefahrenabwehr“.

Das Vorspiel: Der Verfassungsschutz hatte kurz zuvor dem polizeilichen Lagezentrum schriftlich die Einschätzung übermittelt, Gruppen italienischer DemonstrantInnen hätten für den Abend noch schwere Straftaten geplant. Der Lagedienst, weder Willens noch in der Lage, die Substanz der Prognose zu prüfen, gibt sie als „Warnmeldung“ an die Leiter verschiedener Polizeizüge weiter. Die werden aufgefordert, südländisch aussehende DemonstrantInnen, speziell ItalienerInnen „offensiv einer Identitätsfeststellung zu unterziehen“.

Mit dieser Botschaft, sagte Ralph Monneck, Anwalt von fünf der KlägerInnen, habe die Polizei zur „Jagd auf Italiener geblasen“ und ein „Racial Profiling“ eingeläutet. Auch Richter Hölz wird später erklären, die Warnung sei „unverantwortlich in die Welt gesetzt worden“.

Als am Rande der Großdemo dann eine Gruppe auffällt, die sich auf italienisch unterhält, ordnet der Erste Kriminalhauptkommissar Jürgen E. ihre Ingewahrsamnahme an. Dass die Gruppe dunkel gekleidet ist, wertet er als „szenetypisch“, dass einzelne Mitglieder etwa einen schwarzen Regenmantel dabeihaben, legt er ihnen als Mitführen von „Wechselkleidung“ aus, die es der Polizei erschweren soll, sie nach einer Straftat zu identifizieren.

Dass die Gruppe unter dem Schutz des Versammlungsgesetzes steht, mag der Zugführer nicht erkennen, da sie sich ein paar hundert Meter vom Kundgebungsort entfernt aufhält. Auch dass die Demoleitung von der Bühne aus über die Umzingelung der Italiener informiert und der damalige Bundestagsabgeordnete und Demoanmelder, Jan van Aken, vor Ort interveniert, führt bei dem Polizisten nicht zu der Erkenntnis, dass die Gruppe Teil der Demo sei. Beides bestärkt ihn nur in seinem Entschluss: „Mir wurde durch diese Aufmerksamkeit klar, dass die Gruppe relevant ist – auch das war ein Grund, sie in Gewahrsam zu nehmen.“

Dort schmoren sie schließlich bis zu 24 Stunden, die Frauen müssen sich in Anwesenheit männlicher Polizeibeamter entkleiden, der Schlaf wird ihnen durch ständige Kontrollen entzogen, die ganze Nacht durch brennt das Licht.

Verwaltungsrichter Dietrich Hölzl

„„Den Klägern ist durchweg Unrecht geschehen, nur ihre Freilassung war rechtmässig“.

Den Klägern sei „durchweg Unrecht geschehen“, sagte Richter Hölz und sprach von einem „weitgehenden Eingriff in ihre Freiheitsrechte“. Jeder dürfe sich friedlich und unbewaffnet versammeln, nichts anderes hätten die KlägerInnen getan. Der Schutz des Versammlungsrechts gelte auch für Personen, die sich auf dem Weggang von einer Demo befänden. Es gab „keine einzige Tatsache, die darauf hingedeutet hätte, dass von dieser Gruppe eine Straftat ausgehen würde, die nur durch ihre Ingewahrsamnahme zu verhindern sei“, urteilte Hölz.

Dass dann nicht einmal eine richterliche Anordnung zur Fortsetzung der Ingewahrsamnahme erging, runde das „grob rechtswidrige“ Prozedere ab. Der Hamburger Senat kann nun Berufung gegen das Urteil einlegen, was nicht unwahrscheinlich ist. „Auch dieses Verfahren zeigt: Es gibt bis heute keine Fehlerkorrektur und keine Einsicht der Polizei in ihr Fehlverhalten“, klagt Anwalt Monneck.

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