Ganz schwierig: einfach mal auf der Straße spielen

Im Kreuzberger Graefekiez wollen Initiativen eine temporäre Spielstraße für Kinder ein-
richten. Das Beispiel Prenzlauer Berg zeigt, was für ein Verwaltungsaufwand dafür nötig ist

Ein kleines Stückchen, gesperrt für Kinder, sorgte für große Aufregung: die Gudvanger Straße in Prenzlauer Berg Foto: Karsten Thielker

Von Brigitte Denck

„Alle haben das Recht, die Straße zu benutzen“, sagt Ahmad Al-Sadi vom Verein Kannste auch! Und eine Mitarbeiterin des Projekts Aufeinander zählen!, das bürgerliches Engagement im Kiez stärken will, ergänzt: „So eine Bürgerbeteiligung kann man sich für soziale Projekte nur wünschen!“

Es geht um die Einrichtung einer temporären Spielstraße in Kreuzberg, für die sich beide Projekte einsetzen. An diesem Mittwochnachmittag Ende Mai ist es heiß, sehr heiß – ein Hitzerekord. Es scheint, als bewegten sich die Menschen langsamer als sonst. Nur die motorisierte Spezies behält ihr Tempo. FahrradfahrerInnen und FußgängerInnen haben ihr gegenüber oft das Nachsehen, sind sie doch die Schwächeren im täglichen Kampf des Straßenverkehrs.

Das schwächste Glied jedoch sind die Kinder. Deswegen haben Kinder- und Schülerläden, Jugendeinrichtungen und Nachbarschaftsprojekte rund um die Böckhstraße an diesem heißen Tag eine Demonstration für eine temporäre Spielstraße organisiert. Denn obwohl der Grae­fekiez schon seit den 80er Jahren verkehrsberuhigt ist, halten sich nur wenige AutofahrerInnen an das vorgeschriebene Schritttempo. Deshalb soll hier ein Ort entstehen, an dem Kinder einmal wöchentlich für ein paar Stunden gefahrlos auf der Straße herumtoben können.

Doch um 14.30 Uhr ist in der Böckhstraße zunächst kaum jemand zu sehen. Ein Gewitter kündigt sich an, erste Regentropfen fallen. Ein paar unerschrockene Vorschulkinder warten vor einem Kinderladen auf die Erfrischung: „Es regnet, es regnet“, singen sie und hüpfen auf und ab. Als der Regen nachlässt, setzt sich vom Kinderladen an der Straßenecke schräg gegenüber mit Rasseln und Schellen ein Kinderzug in Bewegung. ErzieherInnen lotsen die Zwei- bis Vierjährigen über die schmale Graefe- in die Böckhstraße. „Spielstraße, Spielstraße!“, skandieren die.

Etwa hundert Meter weiter sind Tische aufgebaut, an denen gebastelt werden kann. Folien schützen vor dem Regen. Allerlei Spielgeräte stehen herum und warten auf die Benutzung. Es ist schon die zweite Demonstration dieser Art. Spielstraße zum Anfassen, nennt das Stefan Rohner, ein Erzieher des Schülerladens Hasenbau: „Wir wollten keine theoretische Versammlung, der Mehrwert für alle soll erfahrbar sein.“ Denn Ziel sei auch, dass man sich kennenlernt und dadurch die Nachbarschaft stärkt: „Ich kenne nicht einmal die anderen Kinderläden in der Straße.“

Natürlich wisse man von den Gerichtsstreitigkeiten, die bislang eine Spielstraße im Prenzlauer Berg verhindern, so Rohner. Für eine temporäre Spielstraße sei die Böckhstraße aber gut geeignet. Wegen einer Fahrbahnverengung vor der Lemgo-Grundschule fielen nur wenige Parkplätze weg, deshalb erwarte man kaum Anwohnerklagen. Vor Ort sammeln die Unterstützer 1.000 Unterschriften für einen Anwohnerantrag, der bei der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zur Abstimmung eingereicht werden soll. Bis jetzt seien die Reaktionen der AnwohnerInnen durchweg positiv.

„Die Initiative ist zuversichtlich, dass das Projekt ab Mai 2019 erfolgreich realisiert werden kann“, sagt Rohner: „Schließlich sind wir hier in Kreuzberg!“

Wo kein Kläger, da kein Richter, kommentiert dies der Pankower Bezirksstadtrat Torsten Kühne (CDU) trocken: „Es wird immer jemanden geben, den es stört.“ Kühne spricht aus Erfahrung, denn der Antrag einer Bürgerinitiative, einmal wöchentlich in der Gudvanger Straße im Prenzlauer Berg eine Spielstraße einzurichten, fiel bis 2017 in seinen Zuständigkeitsbereich. Die Pankower BVV hatte dem bereits im Februar 2015 einstimmig zugestimmt. Schließlich stehen den Kindern in diesem Kiez nur 0,3 statt 1 Quadratmeter Spielfläche pro Einwohner zur Verfügung, wie es das Berliner Spielplatzgesetz tatsächlich vorsieht.

Um das Projekt schnell umsetzen zu können, entschied man sich, eine Veranstaltung zu beantragen, ähnlich einem Wochenmarkt. Paragraf 29 der Straßenverkehrsordnung sieht vor, dass dafür eine Erlaubnis beantragt werden muss. Zudem muss der Veranstalter dafür Sorge tragen, dass Verkehrsvorschriften sowie etwaige Bedingungen und Auflagen befolgt werden. Wegen der hohen Sondernutzungsgebühren trat das Pankower Jugendamt als Veranstalter auf.

Doch schon nach kurzer Zeit stoppten Klagen von AnwohnerInnen das Pilotprojekt. Das Verwaltungsgericht Berlin hob die Genehmigung wegen eines Formfehlers auf und wies darauf hin, dass zu einer Veranstaltung mehr gehöre als das freie Spielen auf der Straße.

„Alle haben das Recht, die Straße

zu benutzen“

Ahmad Al-Sadi vom Verein Kannste auch

Im Juni 2017 endete das Tauziehen mit einem schlechten Kompromiss für die Pankower Kinder. Ab Mai 2018 sollte nun eigentlich ein 100 Meter kurzer Abschnitt einmal im Monat für vier Stunden gesperrt werden. Das scheitert im Moment allerdings an der Personalfrage, denn als Veranstalter muss das Jugendamt das Personal stellen. Auch die Rechtsgrundlage bleibt schwierig, denn der gerichtliche Vergleich bindet nur die beiden Parteien. Andere Betroffene können trotzdem wieder klagen.

Laut einem im November 2017 veröffentlichten Gutachten des Abgeordnetenhauses, beauftragt vom einstigen Berliner und jetzigen Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar (Grüne), ließe die Straßenverkehrsordnung auch die Schaffung dauerhafter Spielstraßen zu. Demnach sind Sport und Spiel auf Fahrbahnen, Seitenstreifen oder Radwegen möglich, wenn ein Verkehrszeichen zugelassene Sport- oder Spielarten anzeigten. Das Gutachten schließt, dass dies auch als Grundlage für die Festsetzung temporärer Spielstraßen dienen könne. Als Beschilderung müsste dann zudem das Verkehrszeichen „Fahrverbot“ mit dem seit den 70er Jahren kaum noch verwendeten Zusatzzeichen „Ballspielendes Kind“ kombiniert werden. Ergänzt würde dies von einem weiteren Schild, auf dem die Wochentage mit der Uhrzeit des Fahrverbots angegeben sind.

Um Rechtssicherheit zu erlangen, müsse das jetzt von der Oberen Verkehrsbehörde bewertet werden, meint Kühne: „Ich vermute trotzdem, dass es noch mal gerichtlich geklärt wird.“ Auf Nummer sicher gehe man allerdings erst, wenn der Gesetzgeber eine Ergänzung in der Straßenverkehrsordnung vornehme. Einstweilen rät er der Anwohnerinitiative Böckh­straße, eine echte Veranstaltung mit allen Rechten und Pflichten vorzulegen. Dazu gehören ein Programm, gewisse Aufbauten, ein gemeinsames Ziel und ein Sicherheitskonzept. Denn, das stellt Kühne heraus: „Wir wissen bis heute nicht, ob unser Veranstaltungskonzept wirklich anerkannt würde!“

Die Böckhstraße füllt sich mittlerweile mit Passanten. Die Regenwolken haben sich verzogen, ohne für Abkühlung zu sorgen. Doch trotz der hohen Temperaturen ist die Stimmung gut: Menschen sitzen zusammen, unterhalten sich, andere basteln oder spielen mit Kindern. Im Rahmen der Protestaktion sperrt die anwesende Polizei den kurzen Straßenabschnitt vor der Lemgo-Grundschule für 15 Minuten. Berlins Nachwuchs erobert die Straße mit Gejohle.

Am 13. und am 27. Juni sind jeweils von 14.30 bis 17.30 Uhr noch zwei weitere Protestaktionen geplant. Unter anderem soll dann ein Clown für Spaß sorgen. Als besondere Attraktion kommt die vom Schülerladen Biberzahn gebaute Schokokuss-Weitwurf-Maschine unter freiem Himmel zum Einsatz. Und natürlich darf nach Herzenslust gespielt werden.