Kolumne Kapitalozän: Die große Verwirrung unserer Tage

Wir reichen Kinder des Westens versuchen ja die Welt zu retten. Dank Trump müssen wir uns aber erst einmal um die Globalisierung kümmern.

Ein Eisbär spring von Eisscholle zu Eisscholle

Vom Aussterben bedroht? Egal, jetzt geht es um Zölle Foto: dpa

Im Namen der internationalen Solidarität, der Zärtlichkeit zwischen den Völkern, inklusive der Bienenvölker, im Namen des Weltgeistes, der Korallenriffe, der Wirbel- und Weichtiere und natürlich im Namen der geknechteten Lohnsklav*innen dieses Planeten: Wir, die reichen Kinder des Westens, wir werden euch erlösen.

Nicht sofort, sondern irgendwann mal. Wisst ihr ja. Wir haben da viele Abkommen für euch, Mensch und Natur, gemacht. Auf G7-, G8-, G20-, EU-, WTO-, UN- Etc.-pp.-Ebene. Aber momentan haben wir ein paar andere Dinge am Laufen. Nicht, wie sonst, Kinobesuche und Fernreisen, ich rede von einer großen, metaphysischen Verwirrung, die ein gewisser Donald J. Trump über uns brachte.

Viele von uns haben die real existierende Globalisierung stets verabscheut. Wir haben uns vor uns selbst geekelt – uns ging es zu gut mit eurer Armut. Da blitzt bei jeder Jeans, die du kaufst, das Bild verschütteter NäherInnen auf, bei jedem Handy schaut dich ein Sklavenkind traurig an, bei jeder formvollendeten Ananas sehe ich eine öde Monokultur in Mittelamerika vor mir, gewachsen auf glyphosatsterilisierter Erde, wo einst Urwald wogte.

Herrgott, bin ich pathetisch, aber es ist doch wahr: Seit Trump einer auf Zöllen abgeht, hat die Globalisierung dem Eisbären das Image geklaut: Das arme Ding sitzt auf einer schmelzenden Scholle und droht auszusterben.

Merkel, du geile Sau

Haben Sie Angela Merkel bei Anne Will gesehen? Wie sie vor Übermüdung beinahe aus dem Sessel kippte nach ihrem heroischen Kampf für die liberale Weltordnung auf dem G7-Gipfel? Ich dachte da: Ja, Merkel, du geile Sau, wie du den Trump mit Blicken erdolcht hast! Mach ihn fertig, das widerliche, sexistische Rassisten­arschloch! Ich sehe EU-Häuptling Jean-Claude Juncker im Fernsehen und mich überkommt Stolz darauf, dass wir zurückschlagen. Wir! Europa! Gemeinsam! Zölle auf Whiskey, eat this! 512 Millionen Stimmen schmettern Beethovens „Neunte“ vor dem Weißen Haus: „Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium.“

Das Kapitalozän ist ein eigenes Erdzeitalter. In dieser Kolumne geht es ums Überleben in selbigem. Vielleicht kennen Sie bereit das Anthropozän. Super Palaverthema. Wie die Kreidezeit, das Jura oder das Paläoproterozoikum, so ist auch das Anthropozän ein eigenes Erdzeitalter. Es besagt, dass die Menschheit durch Acker- und Bergbau, durch Städte, Atombomben und Straßen die Erde so sehr umgegraben hat, dass man das noch in 1000 Millionen Jahren im Gestein erkennen wird.

Das Kapitalozän ist die linksökologische Erweiterung des Anthropozäns. Demnach ist es nicht der Mensch an sich, der Ánthropos, der den Planeten geologisch verändert. Nein, es sind die Kapitalisten. Schließlich können, global gesehen, die meisten Menschen nichts für die Naturzerstückelung.

Wir kämpfen Seit an Seit für die liberale Weltordnung. Jetzt mal Hirn an Bauchgefühl: Was für eine liberale Weltordnung? Es gibt keine. Es gibt Regeln für den Welthandel zugunsten multinationaler Konzerne und diese Regeln kennen keine Demokratie, keine Menschenrechte, keinen Umweltschutz, keinen Feminismus. Wir treiben seit jeher Handel mit Folterknechten und Sklaventreibern.

Aber gegen Religion ist kein Kraut gewachsen. Der Glaubensgrundsatz unserer Tage ist, dass Freihandel gleich Freiheit ist. Momentan lese ich oft: Der US-Präsident läutet mit seinem Protektionismus eine neue Ära ein. Es wird genau das Gegenteil geschehen: Der Glaube an die Globalisierung wird stärker, weil die Alternative auf einmal die blöde Fresse von Donald Trump ist. Doof für alle, die für einen gerechteren Welthandel kämpfen. Aber drauf geschissen: Hauptsache Angie tritt dem Sack in die Eier.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.