Widerstand gegen Regime in Nordkorea: Subversive Flaschenpost

Von einer südkoreanischen Insel aus schicken Aktivisten Botschaften nach Nordkorea. Der Annäherung zwischen Nord und Süd trauen sie nicht.

Leute befüllen Plastikflaschen

Hier füllen AktivistInnen Plastikflaschen mit Reis und USB-Sticks Foto: Fabian Kretschmer

SEOUL taz | Es ist ein nebliger Morgen, als Park Jeong Oh seinen blauen Pritschenwagen am Ende eines Trampelpfades parkt. Hier vom nördlichsten Zipfel der Insel Seong­modo ist die innerkoreanische Seegrenze nur wenige Kilometer entfernt.

„Wir haben nach Wegen gesucht, wie wir unsere Landsleute mit freien Informationen erreichen können. Alles, was wir dafür brauchen, ist die Gezeitenkraft des Meeres“, sagt der Aktivist.

Er fährt alle paar Wochen mit rund 20 Gleichgesinnten von der Hauptstadt Seoul aus an Koreas Westküste. Die Aktivisten eint ihre Herkunft aus Nordkorea und den Willen, das dortige Regime zu stürzen.

Park reicht von der Ladefläche Säcke an die Männer, die sie zum Strand tragen. Dort sitzen ältere Frauen und präparieren die Ladung: gewöhnlich Plastikflaschen, mit je 700 Gramm Reis gefüllt. Darin ist jeweils ein USB-Stick versteckt, auf dem südkoreanische TV-Serien zu sehen sind, aber auch untertitelte Reden von US-Präsident Donald Trump sowie digitale Bibeln.

„Ein USB-Stick kann Dein ganzes Leben verändern“

„Der Reis ernährt dich für ein, zwei Tage“, sagt Park: „aber der USB-Stick kann dein ganzes Leben verändern.“ Der Beweis ist Frau Lee, 70, großer Strohhut, faltige Haut. Ihren richtigen Namen möchte sie nicht nennen, denn im Norden habe sie Mann und Sohn zurückgelassen.

Die Seniorin erinnert sich noch daran, wie sie in den 90er Jahren in ihrem Dorf ein Flugblatt entdeckte: „Ich traute mich nicht es aufzuheben, weil mich das in Schwierigkeiten bringen konnte.“ Mit ihren Füßen habe sie es vorsichtig gewendet, bis sie es lesen konnte: Karikaturen, die den damaligen Machthaber Kim Jong Il als korrupten Autokraten zeigten.

Park Jeong Oh, Flaschenpost­aktivist und Ex-Flüchtling

„Wir wollen Frieden mit dem Volk, nicht mit dem Regime!“

Das tat sie als plumpe Propaganda ab, aber das Hochglanzpapier beeindruckte sie. In Nordkorea habe es nur vergilbtes Papier miserabler Qualität gegeben. „Das gab mir zu denken, dass uns die Regierung nicht die Wahrheit erzählt. Damals hieß es nämlich, der Süden sei bettelarm.“

Im Kalten Krieg hatte Südkorea seine Grenzpropaganda als Teil der psychologischen Kriegsführung perfektioniert. Mit Heißluftballons wurden jedes Jahr Hunderttausende Botschaften gen Norden geschickt. Später jedoch beschränkte sich die Grenzpropaganda auf akustische Beschallung.

Riesige Lautsprecher baute das Militär an der Grenzzone auf. Ob scheinbar harmlose Nachrichten oder einfach nur koreanische Popmusik: Nordkoreas Regime wertete dies regelmäßig als Kriegserklärung.

Keine offiziellen Propagandalautsprecher mehr

Nach dem innerkoreanischen Gipfel am 27. April wurden die Lautsprecher endgültig abgebaut. Moon Jae in und Kim Jong Un bekundeten in ihrer gemeinsamen Erklärung nicht nur den Willen zur Denuklearisierung der Halbinsel, sondern versprachen auch, alle Propaganda an der Grenze einzustellen. Von der Zivilgesellschaft erhofft sich Südkoreas linksliberaler Präsident, dass sie den gerade begonnenen Friedensprozess nicht durch Provokationen zu gefährden.

„Ich habe mir das Gipfeltreffen nicht mal angeschaut. Allein bei dem Gedanken, dass Kim Jong Un im Süden zum Bankett eingeladen wurde, kocht mein Blut in den Adern“, sagt Jung Gwang Il, während er einen Sack Reisflaschen an den Strand trägt.

Der 56-Jährige saß in seiner Heimat im politischen Gefangenenlager, nachdem ihn ein Nachbar wegen angeblicher Spionage angezeigt hatte. Nach zehn Monaten stellten die Behörden zwar seine Unschuld fest und ließen ihn frei, doch Jung war schon auf 40 Kilogramm abgemagert.

Die 16 Stunden tägliche Zwangsarbeit hatten seine Gesundheit ruiniert. „Jetzt reden viele über Frieden. Dabei sollten wir uns fragen: Frieden mit wem? Wir wollen Frieden mit dem Volk, nicht mit dem Regime“, sagt er.

Studien unter den 30.000 nordkoreanischen Flüchtlingen im Süden zeigen, wie sehr geschmuggelte USB-Sticks die Außenwahrnehmung der Bevölkerung verändern. Eine Umfrage ergab, dass im Jahr 2010 bereits ein Viertel aller geflüchteten Nordkoreaner mit USB-Datenträgern in Berührung kamen. 2017 sollen es über 90 Prozent gewesen sein.

Im Norden wächst der Wunsch nach Freiheit

Jedes Jahr befragt das Vereinigungsministerium in Seoul Neuankömmlinge zu ihren Fluchtgründen. Während der Wunsch nach Freiheit eine immer größere Rolle spielt, nehmen die Gründe Armut und Hunger ab. Der Freiheitsdrang, glauben Experten, werde durch gesteigerten Informationszugang ausgelöst.

Als die Flut an der Seongmodo-Insel die nötige Höhe hat, werfen die Aktivisten Hunderte Plastikflaschen in die Strömung. Ob sie sicher sein können, dass diese tatsächlich Nordkoreaner erreichen? „Südkoreas Küstenwache hat mehrfach beobachtet, wie Küstenbewohner unsere Flaschen vom Strand auflasen“, sagt Park: „In sechs Stunden kommt unsere Fracht an.“

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