Kolumne Die eine Frage: Liebe Abschlussklasse von 2018!

Sollen unsere Abiturienten die Welt retten wollen? Der Schriftsteller und Vogelbeobachter Jonathan Franzen kann da weiterhelfen.

In einem großen und edel geschmücktem Saal mit Esstischen tanzen Menschen vor einer Bühne

Nach dem Abi wird heutzutage meist erstmal groß gefeiert (Archivbild) Foto: dpa

An einem Freitagabend im Juni saß ich bei einer Abifeier in Berlin und hörte zu, wie eine hinreißende junge Frau sich von der Bühne herab bei einem Mitschüler entschuldigte. Er habe auf die Frage, was er nach dem Abi plane, gesagt: „Die Welt ein bisschen besser machen.“ Sie habe ihn ausgelacht. Ihm dann mit gespielter Abgeklärtheit erklärt, dass es an ihrer Jugend liege, sich jetzt der Weltverbesserungsduselei hinzugeben. Und in zehn Jahren würden sie alle müde an irgendwelchen Schreibtischen dem ersten Bandscheibenvorfall entgegentippen. Dafür entschuldige sie sich jetzt bei ihm. Das sei falsch. „Wenn wir uns jetzt nicht Weltverbesserungsziele setzen, wann dann?“, sagte sie.

An dieser Stelle wird man ein tiefes Aufseufzen der Elternschaft erwarten, dass ihr grünes Bullerbü-Phrasenschwein der Weltrettungsrhetorik auch von der nächsten Generation brav gefüttert wird. Aber so weit kam es nicht, denn die 19-Jährige sprach schon von der Aufgabe, „realistische Utopien“ zu formulieren, die – ich paraphrasiere – nicht schön im Himmel rumhingen, während man sein Zeug mache, sondern die das Zeug seien, das diese Abiturienten zusammen in zehn Jahren umgesetzt haben würden.

Bei diesen Worten musste ich an zweierlei denken. An meine eigene Abifeier, bei der ich mit einer Mitschülerin im Bett gelandet war, nachdem wir uns neun Jahre nicht mit dem Arsch angekuckt hatten. Offenbar hatten wir beide so große Angst vor der großen, unbekannten Welt, dass wir uns an irgendjemand klammern mussten. Auch ohne das Kunzelmann-Problem war Weltrettung da echt zu viel verlangt.

Der zweite Gedanke galt einem Essay des kalifornischen Schriftstellers Jonathan Franzen mit dem Titel „Pain won’t kill you“, den er vor einer College-Abschlussklasse gehalten hat. Verkürzt sagt er: „Alle“ lieben wollen ist gefahr- und inhaltslos. Erst wenn du jemanden Bestimmtes liebst und mehr von dir entblößt als die Oberfläche, bekommst du Probleme. Love is where our troubles begin. Aber erst da beginnt Leben.

Man kann die Welt nicht retten

Franzen erzählt, wie er als sehr junger Mensch von der Kritischen Theorie angefeuert die Dinge suchte und fand, die in der Welt schieflaufen, bei ihm auf sozialökologisch-kultureller Grundlage. Je intensiver er die Missstände und die dafür Verantwortlichen anprangerte, im Namen der ganzen Menschheit, desto verzweifelter, wütender und menschenhassender wurde er. Für die Weltrettung brachte seine Wut im Namen der Menschheitsliebe überhaupt nichts. Weil, sagt er: Wer „alle“ liebt, zielt nur auf sich selbst.

Er gab Weltretten auf und begann Vögel zu beobachten – Franzen ist heute der bekannteste Vogelbeobachter der Welt. Was als Rückzug erscheint, war der Schritt in die wirkliche Welt, die Transformation vom routiniert dislikenden Weltbürger zum real liebenden Nichtweltretter. Im Sinne des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa wird aus einer kalten, feindlichen Welt eine resonante, deren gestaltender Teil man ist.

Man kann die Welt nicht retten. Völlig falscher Ansatz. Man kann aber für andere und mit anderen etwas sein und dann auch etwas reißen. „Wenn du rausgehst und richtige Beziehungen zu richtigen Menschen eingehst oder auch nur zu Tieren, dann bist du in Gefahr, dass du am Ende ein paar von ihnen liebst“, schreibt Franzen. Je mehr man sich in die Welt bringt, desto mehr Welt kommt zurück. Desto besser wird sie.

Das alles hätte ich so gern auf dieser Abi-Abschlussfeier gesagt. Wochenlang hatte ich anti­chambriert. Aber die hinreißende junge Frau sagte: „Lass mal schön stecken, Papili, das mach ich selber.“

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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