Umgang mit Geflüchteten in Berlin: Willkommen bei der Asyllotterie

Auch von Seiten der Politik wollte man beschleunigte Verfahren. Das dafür zuständige Amt arbeitet in Berlin immer schneller. Zu schnell, sagen Kritiker.

Asylsuchende beim Warten

Warten muss man immer noch: Im Ankunftszentrum Bundes­allee Foto: Thomas Lobenwein/MDI

Wieder reden alle über Flüchtlinge. Und wenn man nur den Seehofers und Dobrindts dieser Republik zuhört, kann man leicht den Eindruck bekommen, als werde dieses Land „überflutet“ von Menschen, die ohne Grund von einem überforderten Amt Asyl bekommen – Stichwort „Bremer Bamf-Skandal“ –, um dann „Asylgehalt“ zu kassieren. Geschützt von einer „Anti-Abschiebe-Industrie“, die ungeniert unseren Rechtsstaat aushöhlt.

Rettung bringen sollen nun die „Ankerzentren“, in denen Flüchtlinge für das gesamte Asylverfahren kaserniert werden, was nicht nur abschreckend wirken, sondern auch das Verfahren effektiver machen und Abschiebungen erleichtern soll.

Die Wirklichkeit ist freilich komplexer. Beispiel Berlin. Immer weniger Flüchtlinge kommen hier an und beantragen Asyl. So entschied die hiesige Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) von Januar bis April 2017 über 30.400 Asylanträge, die Gesamtschutzquote betrug 47 Prozent, das heißt, die Antragsteller bekamen einen Flüchtlingsstatus oder subsidiären Schutz oder wenigstens einen Abschiebeschutz. Ein Jahr später waren es 3.800 Anträge, die Schutzquote betrug nur noch 31 Prozent.

Zudem wurde das Bamf seit dem chaotischen Flüchtlingsjahr 2015 bereits gründlich umgemodelt und das Asylverfahren so gestrafft, dass es – etwa in Berlin – im Schnitt nur noch wenige Wochen dauert, in einem Drittel aller Fälle sogar nur wenige Tage.

Zur Erledigungsfabrik verkommen

Das Bamf sei zu einer „Erledigungsfabrik“ verkommen, schrieb die Zeit. Auch andere kritisieren, dass das auf Effektivität getrimmte Amt individuelle Schutzgründe oft gar nicht erkennt. „Je schneller Entscheidungen ‚produziert‘ werden, desto größer ist die Fehleranfälligkeit“, erklärte etwa die Neue Richtervereinigung im vorigen Sommer. „Generell entsteht der Eindruck, dass die Anhörungen oft nur noch fragebogenmäßig abgearbeitet werden, ohne auf die Schutz suchende Person und ihr individuelles Schicksal einzugehen.“ Mit entsprechend schlecht begründeten Asylablehnungen hätten VerwaltungsrichterInnen täglich zu tun, so die Richter.

Auch die auf Asylrecht spezialisierte Berliner Rechtsanwältin Berenice Böhlo sagt: „Die politisch vorgegebene Beschleunigung um jeden Preis hat zu vielen unrechtmäßigen Bescheiden geführt, und zwar in der weit überwiegenden Zahl zulasten der Betroffenen. In sehr vielen Verfahren vor Gericht erzielen wir für unsere MandantInnen positive Entscheidungen.“

Berenice Böhlo, Anwältin

„Die politisch vorgegebene Beschleunigung um jeden Preis hat zu vielen unrechtmäßigen Bescheiden geführt“

Tatsächlich klagt fast jedeR Betroffene gegen einen ablehnenden Bescheid vom Bamf. Und zwar mit steigendem Erfolg, sagt die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl und beruft sich dabei auf Zahlen der Bundesregierung. So sei die „Erfolgsquote“ vor Gericht, die 2015 noch bei 4,3 Prozent lag, 2017 auf 22 Prozent gestiegen – sprich: 32.500 Menschen bundesweit hätten erst vor Gericht Abschiebeschutz oder einen besseren Status bekommen.

Wenn man die „bereinigte Quote“ zugrunde lege, so Pro Asyl, das heißt die Verfahren herausrechne, die als „sonstig erledigt“ gelten (etwa weil das Bamf außergerichtlich doch noch Schutz zuspricht oder Anträge von mehreren Familienmitgliedern in einem Verfahren zusammengelegt werden), steige die Erfolgsquote sogar auf über 40 Prozent.

Arbeit für das Verwaltungsgericht

Auch in Berlin hat das Verwaltungsgericht gut zu tun: 14.000 Klagen gegen Ablehnungen vom Bamf gab es im vorigen Jahr, 8.600 Fälle wurden erledigt. Mit welchem Ergebnis, könne man aber nicht sagen, erklärte der Sprecher des Gerichts auf taz-Anfrage, das werde statistisch nicht erhoben. Er wundere sich daher auch, woher die Bundesregierung ihre Zahlen habe.

Afghanen wurden im vorigen Jahr in Berlin zu 55 Prozent anerkannt, in Bayern zu 35, in Bremen zu 63 Prozent.

Was sagt nun die Vielzahl der Klagen über die Qualität der Arbeit des Bamf? Anders als die Neue Richtervereinigung erklärte der Berliner Verwaltungsrichter David Rabenschlag kürzlich auf einer Veranstaltung des Mediendienst Integration: Es sei „ein gängiger Mythos, dass geklagt wird, weil die Bescheide so schlecht sind“. Es werde geklagt, weil eine Klage aufschiebende Wirkung hat, sprich: erst einmal vor Abschiebung schützt.

Aber auch er sehe, so Rabenschlag, wie viele Richter das Problem einer „Asyllotterie“, weil es sowohl in den Bundesländern als auch bei den Verwaltungsgerichten sehr unterschiedliche Schutzquoten gebe.

Zwei Beispiele zeigen das: Afghanen wurden im vorigen Jahr in Berlin zu 55 Prozent anerkannt, in Bayern zu 35, in Bremen zu 63 Prozent. Von den Türken bekamen in Berlin 14 Prozent einen Schutzstatus, in Bayern 24 – in Bremen aber nur 10 Prozent.

Dieser Text ist Teil eines Schwerpunkts zum Asylverfahren. Mehr zum Thema können Sie in der gedruckten taz.berlin an diesem Wochenende lesen.

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