Schwarzers Postkarte

„VALIE EXPORT. Forschung – Archiv – Werk“ im n.b.k. kann mit einer frappanten Auswahl von selten gezeigten Arbeiten der 78-jährigen Künstlerin punkten

Spröder Titel, spröde Präsentation: VALIE EXPORT. Forschung – Archiv – Werk. Ausstellungsansicht Foto: Jens Ziehe/n.b.k.

Von Tilman Baumgärtel

Ein Vorlass ist ein „Nachlass zu Lebzeiten“ – Relikte eines Menschenlebens, die weitergegeben werden, wenn der Gebende noch am Leben ist. Der Vorlass der österreichischen Künstlerin Valie Export wird seit 2017 in einer eigens dafür eingerichteten Institution in Linz in Österreich aufgearbeitet. Im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.) ist nun zu sehen, was die Kuratorin Sabine Folie bislang in den Kartons und Ordnern gefunden hat. Die Ausstellung unter dem spröden Titel „VALIE EXPORT. Forschung – Archiv – Werk“ ist darum auch eine Art Mini-Retrospektive der 78-Jährigen, mit Arbeiten von den 60er Jahren bis nahe an die Gegenwart.

Spröde ist allerdings auch die Präsentation. Gerne gezeigte Schock-Arbeiten wie das „Tapp-Tast-Kino“ von 1967 (bei dem man durch einen Bildschirm vor der Brust der Künstlerin deren Busen befummeln konnte) oder „Genitalpanik“ aus demselben Jahr (eine Jeans, bei der der Schritt ausgeschnitten war), sucht man vergebens. Dafür findet man hier eine frappante Auswahl von selten gezeigten Arbeiten, was deutlich macht, wie vielseitig die Themen und wie disparat die Darstellungsmethoden waren, die Valie Export seit den 60er Jahren genutzt hat: Installationen, Filme, Video, Fotografie, Gedichte, Zeichnungen Collagen, Performance gehörten alle zum künstlerischen Vokabular von Valie Export.

Die eigentlichen Werke sind hier umgeben von Dokumenten, die in Tischvitrinen gezeigt werden: Briefe, Notizzettel, Zeitungsausschnitte, Poster, Kontaktabzüge und Skizzen zeigen nicht nur die Vorarbeiten der Werke. Sie geben auch eine Ahnung von dem Zeitgeist und dem Milieu, in dem diese Werke entstanden sind: Alice Schwarzer antwortet auf eine Einladung zu einer Gesprächsveranstaltung per Postkarte und mit der Bitte, nicht auf Englisch diskutieren zu müssen: „Ich bin Deutsche.“

Valie Export gehörte zu einer Gruppe von Künstlerinnen, die – wie Hannah Wilcke, Carolee Schneemann oder Eleanor Antin – die bilderstürmerische Tabula rasa der Konzeptkunst der 60er Jahre nutzte, um eigene Bilder in die männlich dominierte Kunstwelt einzuschleusen.

Bei Performances brachte sie ihren nackten Leib in extreme Situationen – etwa wenn sie sich bei der Aktion „Eros/ion“ von 1971 auf Glasscherben rollte oder sich ein Strumpfband auf den Oberschenkel tätowieren ließ. Auch wenn manche Arbeiten etwas verkopft wirken (wovon Titel wie „Zyklus zur Zivilisation. Zur Mythologie der zivilisatorischen Prozesse“ künden), sind gerade die Arbeiten aus den 70er Jahren von verblüffender Aktualität.

Wenn sie etwa bei der Fotoserie „Der Mensch als Ornament“ (1976) Treppen, Mauervorsprünge und Straßenecken als Ablagefläche für ihren eigenen Körper nutzt, erinnert das stark an das Internetphänomen des Plankings. Und auch ein anrührendes Video wie „Hauchtext: Liebesgedicht“ (1970), bei dem sie mit großer Ausdauer eine Glasscheibe vor dem Kameraobjektiv anhaucht, erinnert an experimentellere ­YouTube-Videos der Gegenwart. Aus vielen dieser Ideen hätten andere Künstler ein ganzes Werk gemacht, aber bei Valie Export kamen die Ideen offenbar eruptiv, wurden umgesetzt und dann sich selbst überlassen.

Das alles hat ihr den Ruf der feministischen Kunstpionierin eingebracht, doch darauf reduzieren sollte man sie nicht: Ihre Kunst hat auch Berührungspunkte mit dem Expanded Cinema, der Video- und Medienkunst, dem Wiener Aktionismus, dem strukturalistischen Film und der konzeptuellen Fotografie. Letztlich ist Valie Export eine Kunstrichtung ganz für sich allein. Dass sie mit ihrer Arbeit zum Vorbild für nachfolgende Künstlerinnen wurde, ist übrigens auch so ein Gemeinplatz, den man langsam mal ad acta legen kann. Das Werk von ­Valie Export ist so extensiv und so vielseitig, dass jeder etwas darin für sich finden kann. Dafür muss man nun wirklich keine Frau sein.

Valie Export nutzte die Konzeptkunst der 60er Jahre, um eigene Bilder in die männlich dominierte Kunstwelt einzuschleusen

Insgesamt hinterlässt die Ausstellung einen bereicherten, wenn auch leicht melancholischen Betrachter: Schön, das alles gesehen zu haben, doch das vergilbende, mit Schreibmaschine vollgetippte DIN-A4-Papier erinnern einen auch an die Endlichkeit allen kreativen Strebens, auch des eigenen. Vorläufig können dessen Relikte noch von beflissenen Kuratoren aus Kellern und Dachböden wieder in die Galerie verbracht werden. Bei den Künstlern der Gegenwart werden wohl nicht mehr so viele Daseinsrelikte zu zeigen sein: Die digitalen E-Mails, Word-Dateien und PDFs, die heute die Medien kreativen Schaffens sind, dürften wohl eine wesentlich geringere Halbwertzeit haben als die Archivalien, die in dieser Ausstellung zu sehen sind.

Valie Exports Karriere scheint indes erst in der Gegenwart ihren Höhepunkt erreicht zu haben. Nicht nur, dass die Künstlerin Anfang des Jahres von der Kunstzeitschrift Trend vor Erwin Wurm zur wichtigsten Künstlerin Österreichs gekürt wurde. Das VALIE EXPORT Center Linz, in dem ihr Vorlass beforscht wird, befindet sich in einer Tabakfabrik, in der früher auch Zigaretten der Marke Smart Export hergestellt wurden. Diesen Markennamen hatte die Künstlerin – die mit bürgerlichem Namen Waltraud Stockinger heißt – einst zu ihrem künstlerischen Pseudonym umgewidmet. Nun übernimmt sie gleich den ganzen Laden – viel mehr kann ein Gegenwartskünstler wohl nicht er­reichen.

Bis 12. August, n.b.k., Berlin