Diversity House in Russland verboten: Sicherheit durch Sichtbarkeit

Das Diversity House ist ein Safe Space für Minderheiten in Moskau. In Sankt Petersburg wurde die Eröffnung nahe einer Fanmeile verboten.

Ein Mann, Alfred Minachmetow

Alfred Minachmetow, Koordinator des Diversity House in Sankt Petersburg Foto: Mary Gelman

Schluss, Aus, Zapfenstreich. Alfred schaut aus dem Fenster, zur offiziellen Fanmeile, diesem grell leuchtenden Fifa-Zirkus, in dem so viele Zuschauer die Spiele der Weltmeisterschaft verfolgen. Nun sind sie, die Aktivisten, die Verfolgten. Die Zeit rennt.

Eigentlich schien alles ausnahmsweise mal glatt zu laufen. Alfred Minachmetow, 29 Jahre, groß, kleiner Ring im linken Ohr, hatte mit anderen lokalen Aktivisten unweit der Fifa-Fanzone das „Diversity House“ errichtet: ein Safe Space für alle Minderheiten sowie Bildungs­einrichtung für Vorträge und Workshops, beispielsweise über die Situation von Homosexuellen in Russland. Alles war fertig, bis ihnen nur einen Tag vor WM-Beginn der Mietvertrag gekündigt wurde. „Der Vermieter hat uns ziemlich grob zum Gehen aufge­fordert, einfach den ganzen Strom abgestellt, ohne Angabe von Gründen“, erzählt eine beteiligte Aktivistin.

Alfred und seine Mitstreiter haben das ganze Projekt zusammen mit FARE (Football Against Racism in Europe) entwickelt, einer NGO, die sich gegen Ausgrenzung im Fußball einsetzt. Geschäftsführerin Piara Powar ist sich sicher, „dass das Projekt in Sankt Petersburg einem politisch motivierten Angriff ausgesetzt war, der zeigt, wie die Debatten über Menschen­rechte durch konservative politische Kräfte in Russland beschnitten werden“. Anders sieht es in Moskau aus: Da wurde das zweite Diversity House im Beisein lokaler Behördenvertreter eröffnet.

Auch in Sankt Petersburg konnte das Projekt planmäßig starten – an einem neuen Ort, den die Aktivisten schnell aufgetan hatten. Das Diversity House zog ins Berthold-Zentrum, eine hippe Innenhof-Location mit veganen Cafés und kleinen Läden. Von da aus soll nun „die positive Kraft des Fußballs“ versprüht werden, wie es Pavel Klymenko, Koordinator für Osteuropa bei FARE, formuliert. Dazu gibt es Public Viewing, Vorträge, Ausstellungen und Treffen zwischen Fans und lokalen Einwohnern sowie Aktivisten.

Anfeindungen gegen Homosexuelle

Pawel Klymenko ist am Telefon sehr gesprächig, doch zu seiner Person will er aus Sicherheitsgründen nichts veröffentlicht sehen. „Leider ist es so, dass Menschen, die sich für die Rechte von Schwulen einsetzen, in Russland gefährlich leben“, sagt er. Auch für das Diversity House wurde die Polizei eingewiesen und ein privater Sicherheitsschutz engagiert, um mögliche Störungen zu unterbinden. Störungen, die sich gegen Russlands Tabuthema schlechthin richten: Homosexualität.

Wer sich in Russland als schwul outet, läuft akut Gefahr, gesellschaftlich ausgegrenzt zu werden und wegen seiner Sexualität den Job zu verlieren. Auch Menschen, die sich wie Alfred seit vielen Jahren für die Rechte Homosexueller einsetzen, kann genau so etwas passieren. „Nahezu jeder Aktivist, den ich kenne, hat schon einmal Gewalt erfahren“, erzählt Alfred. Ein Bekannter von ihm, der vergangenes Jahr an einer nicht angemeldeten Demonstration gegen die Diskriminierung von Schwulen in der russischen Kaukasusrepublik Tschetschenien teilgenommen hat, wurde verhaftet und für eine Nacht ins Gefängnis gesteckt. Seinen Job als Arzt in einem Krankenhaus war er danach los.

Seit das russische Parlament 2013 das Gesetz gegen „homosexuelle Propaganda“ be­schlossen hat, wird bestraft, wer sich in Anwesenheit von Minderjährigen positiv über Homosexualität äußert. Würde das Diversity House also kein geschlossener Raum, sondern ein Diversity Square sein, könnten Strafen von umgerechnet bis zu 2.500 Euro verhängt werden. Und Ausländer, die sich nicht an diese Regeln halten, können bis zu 15 Tage festgenommen und des Landes verwiesen werden. Da hilft auch kein WM-Ticket. Doch Angst vor Gewalttaten haben die Aktivisten ausnahmsweise keine. „Unser bester Schutz ist das internationale Rampenlicht“, meint Alfred und lächelt dabei.

Das Diversity House und die Aktivisten dahinter sind Teil eines größeren Netzwerks, das sich „The Cup for People“ nennt. Auf einer Onlineplattform präsentieren Aktivisten auf Englisch und Russisch verschiedene Einrichtungen und Aktionen, die sich der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit sowie Bürgerrechten verschrieben haben. So wird eine alternative Stadtkarte mit Cafés, die nachhaltig wirtschaften, präsentiert, Stadtführungen werden angeboten, die auf Probleme Obdachloser hinweisen, oder Informationen zum Bau des Stadions von Sankt Petersburg bereitgestellt.

Einer der Köpfe hinter The Cup for People ist Olga Polyakowa. Die 30-Jährige ist auch im Diversity House involviert und wohnt in einer Sechser-WG im Zentrum von Sankt Petersburg. An vielen Abenden haben Olga und ihre Mitbewohner eine alternative Antwort auf die Frage gesucht: Was bleibt von der WM? „Das Turnier bringt uns Sichtbarkeit – und Sicherheit, da die Mächtigen nicht an schlechten Schlagzeilen interessiert sind.“ Außerdem habe die Großveranstaltung dafür gesorgt, dass sich die Aktivisten besser vernetzen. „Für die Weltmeisterschaft wurde das ganze Land mobilisiert und sehr viel Geld ausgegeben. Also machen wir jetzt das Beste draus.“

Stolpersteine in Russland

Mittlerweile sind Olga, Alfred und die anderen Aktivisten froh, Sankt Petersburg nicht während der WM verlassen zu haben. Sie hatten darüber nachgedacht, da sie keine Lust auf dieses Fake-Bild aus einer Hochglanzbroschüre hatten, das von ihrem Land entworfen wird, dabei alle Missstände ignoriert. „Das wäre aber feige gewesen“, erzählt Olga in der Küche ihrer WG, in der sich alte Sowjettapeten lösen und der Müll der vergangenen Tage getrennt wird. Lieber kümmert sie sich nun um alternative Stadtführungen in Sankt Petersburg.

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Bei diesen Führungen werden die Touristen nicht vor die zahlreichen Paläste an der mächtigen Newa aus der Zeit des Stadtgründers Peters des Großen geführt – sondern vor Wohnungen verfolgter Dissidenten, sowohl aus der Sowjetzeit als auch dem heutigen Russland. An diesen Häusern haben Menschenrechtsaktivisten kleine Gedächtnistafeln angebracht, auf denen die Namen der zu Unrecht Verfolgten stehen. Das erinnert nicht von ungefähr an deutsche Stolpersteine.

Die Steine, die den Aktivisten aus Sankt Petersburg in den Weg gelegt wurden, konnten zwar zum größten Teil beseitigt werden, doch problemlos war der Umzug trotzdem nicht. Dadurch, dass die Miete laut Olga im Berthold-Zentrum „etwas teurer“ ist, muss zusätzliches Geld aufgetrieben und noch mehr Werbung gemacht werden. Schließlich kann man sich nun nicht mehr von der offiziellen Fanzone dahin verlaufen.

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Dafür gefällt es Olga und ihren Mitstreitern, nun etwas weiter weg vom ganzen WM-Trubel zu sein, gegen dessen Lärm „schwer anzureden ist“, wie Olga selbst sagt. Zumal dieser Lärm nicht weniger wird, da Russland sportlich überraschend stark auftritt und durch zwei Siege in den ersten zwei Spielen viele seiner Fans in einen nationalen Freudentaumel gestürzt hat. Im Diversity House läuft derweil das anvisierte Programm an. Die Aktivisten laden etwa zum „Diversity-Ballett“ oder zum demokratischen Diskussionsclub. Allen Widrigkeiten zum Trotz.

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