Kolumne Mithulogie: E wie Empathie

Gaucks Heimat-Gefasel zeigt: Wir brauchen dringend eine emotionale Alphabetisierungskampagne. Ein Baby als Lehrer könnte helfen.

Ein Säugling mit zum Schreien verzerrtem Gesicht

Warum weint Baby? Foto: *bonsai*/photocase

Normalerweise zitiere ich nicht die Bild. Glücklicherweise muss ich das gar nicht, da Joachim Gaucks Äußerungen zu Heimat und was er darin nicht hinnehmbar findet – nämlich Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben und sich nicht auf Deutsch unterhalten können – bereits in allen anderen Medien sowie als Hashtag heiß diskutiert werden.

Ebenfalls unnötig zu erwähnen, dass er damit nicht die Bayern meint, die in einer Parallelgesellschaft mit eigenen Gesetzen und einer eigenen Kleiderordnung leben, sondern Leute wie meinen Vater. Nun spricht der inzwischen ziemlich passabel Deutsch, doch hat das eine Handvoll Jahrzehnte gedauert.

Stellt sich Herr Gauck vor, dass mein Vater die Arme verschränkt und erklärt hat: „Ich hab es nicht nötig, die Sprache der Einheimischen zu lernen“? Hallo? Mein Vater ist Inder in Deutschland – und nicht Engländer in Indien. Und auch nicht Deutscher in Namibia, wo wir bis 1919 direkt alle gezwungen haben, ebenfalls Deutsch zu sprechen.

Natürlich ist es nicht hinnehmbar, dass wir Menschen seit Jahrzehnten als nicht zugehörig zu diesem Land behandeln. Dass eine der ersten Fragen, wenn ich Leute kennen lerne, noch immer ist: Wann gehst du wieder zurück? Dass wir gar nicht davon ausgehen, dass wir die selbe Sprache sprechen.

Zwanghafte Unterscheidung

So wurde ich erst vor kurzem bei einer Konferenz im Freistaat Bayern, wo ich eine Rede halten sollte, von der Gastgeberin auf Englisch begrüßt. Sie war übrigens ganz entzückend. Es ist nicht ihre Schuld, dass wir in einer Gesellschaft leben, die zwanghaft zwischen uns und nicht-uns unterscheidet.

Deshalb möchte ich auch Herrn Gauck in Schutz nehmen. Seine Aussagen sind nicht in erster Linie ein Zeichen für Rassismus, sondern für ein tragisches Fehlen an Empathie. Dem Mann kann geholfen werden! Was er braucht ist ein Baby. Let me explain.

Das ist nicht Englisch, weil ich noch immer kein Deutsch kann, sondern weil das Konzept in Kanada entwickelt wurde. Von der Pädagogin Mary Gordon, die es Roots of Empathy nennt. Ich nenne es Baby as Teacher, da es genau das ist:

Ein Baby wird alle drei Wochen von seinen Eltern in eine Schulklasse gebracht, die anhand der Reaktionen des Säuglings lernen, Gefühle wahrzunehmen (von happy bis HÄWÄHÄÄÄÄ), darauf zu reagieren (wie kann ich Baby dazu bringen, MIT DEM SCHREIEN aufzuhören?), sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen (warum schreit Baby?) und dass alle Menschen einzigartig sind (alle schreien aus unterschiedlichen Gründen, aber alle wollen getröstet werden).

Und jetzt alle

Hört sich banal an? Führt aber laut WHO zu deutlich weniger Mobbing, weniger ungewollten Schwangerschaften (wahrscheinlich wegen dem ganzen Schreien) und höherer Demokratiefähigkeit. Und die ist gerade echt nötig.

Also bitte mitsingen Herr Gauck: „Hallo Baby Joachim, und wie geht es dir heute?“

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Dr. Mithu M. Sanyal, Kulturwissenschaftlerin und Autorin Themen: Sex, Gender, Macht, (Post)Kolonialismus, Rassismus, Wissen schreibt eine regelmäßige Kolumne für die taz "Mithulogie" Bücher u.a. "Vulva" (Wagenbach), "Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens" (Nautilus.)

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