Richtlinienkompetenz der Kanzlerin: Noch ist Merkel die Chefin

Die Zurückweisung von Flüchtlingen ist ein Fall für die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin. So könnte es im Asylstreit der Union weitergehen.

Merkel schaut Seehofer skeptisch an.

Wer darf was? Und was, wenn einer was macht, was er nicht darf? Foto: dpa

FREIBURG taz | Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Innenminister Horst Seehofer (CSU) im Streit um die Zurückweisung bestimmter Flüchtlinge an der Grenze vor einem Alleingang gewarnt. Es sei eine „Frage der Richtlinienkompetenz“, in anderen Staaten registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückzuweisen, sagte Merkel am Montag in Berlin. Doch was ist diese Richtlinienkompetenz?

Für die Zusammenarbeit in der Bundesregierung sieht das Grundgesetz drei Prinzipien vor:

Das Ressortprinzip: Jeder Minister hat die Verantwortung für sein eigenes Haus. Andere Minister können ihm nicht hineinreden.

Das Kollegialprinzip: Bei Meinungssverschiedenheiten zwischen Ministerien entscheidet die ganze Regierung.

Die Richtlinienkompetenz: Die Kanzlerin bestimmt die „Richtlinien der Politik“.

Was gilt nun für die Frage, ob anderswo registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenzen künftig zurückgewiesen werden?

Für Seehofer und die CSU ist das eine einfache Frage des Verwaltungsvollzugs, über die er im Rahmen seiner Ressortverantwortung selbst entscheiden kann. Auch in seinem angekündigten Masterplan für Migration seien die Zurückweisungen nur eine von 63 Maßnahmen, also nur ein Detail.

Seehofers Argumentation ist angesichts der Entwicklung der letzten Tage, aber auch der letzten Jahre geradezu absurd. 2016 hat Seehofer den Verzicht auf Zurückweisungen als „Herrschaft des Unrechts“ bezeichnet und damit in die Nähe einer Diktatur gerückt. Derzeit droht er mit seinem Vorstoß die Koalition zu sprengen.

Auf der anderen Seite hat Kanzlerin Merkel erklärt, es sei eine Frage der Richtlinienkompetenz, sollte Seehofer eine einseitige, nicht abgestimmte Maßnahme zu Lasten Dritter in Kraft setzen.Merkel warnt vor einem „Infragestellen des europäischen Einigungswerks“. Wenn eine Detailfrage so aufgeladen und überhöht wird, kann sich die Kanzlerin hier zweifellos auf ihre Richtlinienkompetenz berufen.

Sollte Seehofer sich weigern, müsste Merkel ihn entlassen

In der Regierungspraxis der letzten Jahrzehnte spielte die Richtlinienkompetenz allerdings fast keine Rolle. Insbesondere bei Konflikten zwischen Koalitionspartnern suchte man fast immer einen Kompromiss. Die Kanzlerin könnte sich zwar im Kabinett mit der Richtlinienkompetenz durchsetzen. Spätestens für ein Gesetz braucht die Regierung aber auch Mehrheiten im Bundestag, die sie nur erhält, wenn sie die Verständigung mit allen Regierungspartnern sucht.

Im Fall von Zurückweisungen ist nun allerdings kein Gesetz erforderlich. Seehofer könnte die neue Linie per einfacher Anordnung an die Bundespolizei realisieren. Merkel könnte dann zwar nicht selbst einen anderslautenden Befehl an die Bundespolizei geben. Sie könnte aber Seehofer unter Berufung auf ihre Richtlinienkompetenz auffordern, die Zurückweisungen wieder zu stoppen. Wenn er sich nun weigert, müsste sie ihn entlassen, um sich durchzusetzen.

Die Entlassung müsste nicht begründet werden

Eine solche Entlassung kann die Kanzlerin jederzeit allein beschließen. Sie braucht dazu weder die Rückendeckung des Bundestags noch der Bundesregierung. Laut Grundgesetz schlägt die Kanzlerin die Entlassung dem Bundespräsidenten vor, dieser muss sie dann umsetzen.

Die Kanzlerin muss die Entlassung eines Ministers auch nicht begründen, weder mit ihrer Richtlinienkompetenz noch mit anderen konkreten Konflikten. Ihre zentrale Machtposition rührt daher, dass sie das einzige Regierungsmitglied ist, das direkt vom Bundestag gewählt wurde.

Im Fall Seehofer hat Merkel am Montag klar gemacht, wann die rote Linie erreicht ist. Er darf Zurückweisungen zwar androhen und auch vorbereiten. Aber wenn die „Maßnahme in Kraft gesetzt würde“, dann würde sie intervenieren.

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