Rollstuhlgerechte Wohnungen in Bremen: Rolli-Quote auf Eis

Die Quote für rollstuhlgerechte Wohnungen kommt vorerst nicht, da niemand weiß, welche dieser „R-Wohnungen“ überhaupt benötigt werden. Das soll sich nun ändern.

Ein Rollstuhl steht unter einem Treppenaufgang

Garantiert nicht rollstuhlgerecht: Ein Treppenhaus Foto: Imago

BREMEN taz | Bremen soll ein bedarfsgerechtes Wohnungsangebot für RollstuhlfahrerInnen bekommen. Dafür haben Bausenator Joachim Lohse (Grüne), der Landesbehindertenbeauftragte Joachim Steinbrück und Thomas Tietje, Vorsitzender der „agWohnen“, eine freiwillige Selbstverpflichtung unterzeichnet. Allerdings wird im Gegenzug die ursprünglich geplante Quote für den Bau rollstuhlgerechter Wohnungen, sogenannter „R-Wohnungen“, auf Eis gelegt.

Die Novellierung der Landesbauordnung, die unter anderem eine Quote von fünf Prozent R-Wohnungen in Neubauten vorschreibt, soll nach der Sommerpause verabschiedet – die Quote aber direkt für drei Jahre ausgesetzt werden. Das kling erst einmal absurd, aber: „Eine Quote bedeutet nicht automatisch, dass es die passenden Wohnungen gibt“, sagt Jens Tittmann, Sprecher des Bausenators. Das hätten die in den letzten Jahren entstandenen Neubauten gezeigt: Durch sie seien zwar mehr R-Wohnungen entstanden, allerdings nicht unbedingt solche, die benötigt würden.

Das bestätigt Joachim Steinbrück: „An der Marcuskaje hat man R-Wohnungen gebaut, aber keine Mieter gefunden. Eine Frau hat mir gesagt, dass sie dort nicht wohnen könne, weil es keine Straßenbahn gebe.“ Die Infrastruktur sei also wichtig – genauso wie die Wohnungsgröße: „Eine R-Wohnung mit zwei Zimmern nützt einem Rollstuhlfahrer, der für die ganze Familie eine Wohnung sucht, wenig“, so Steinbrück.

R-Wohnungen seien, anders als barrierefreie Wohnungen, wenig attraktiv für Menschen, die nicht auf einen Rollstuhl angewiesen sind, sagt Tittmann: „Sie haben sehr große Badezimmer und Küchen – alles Raum, der mitbezahlt werden muss.“

Joachim Steinbrück, Landesbehindertenbeauftragter

„Eine R-Wohnung mit zwei Zimmern nützt einem Rollstuhlfahrer, der für die ganze Familie eine Wohnung sucht, wenig“

Das bestätigt Steinbrück und sagt, dass Wohnungsbauer deswegen das finanzielle Risiko von R-Wohnungen scheuten. Denn niemand wisse, wie viele und welche Wohnungen tatsächlich benötigt würden. „Im Land Bremen gibt es rund 4.300 Menschen, die als außergewöhnlich gehbehindert gelten – höchstwahrscheinlich also zum größten Teil auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Wie viele davon aber bereits bedarfsgerecht wohnen, das wissen wir nicht“, sagt er. Eine systematische Bedarfsanalyse habe bisher nicht stattgefunden.

Das soll sich ändern, und dafür sorgen soll der Verein „kom.fort“, der seit Jahren Beratung und Informationen zum Thema barrierefreies und rollstuhlgerechtes Wohnen anbietet. Er soll Einrichtungen wie Pflegedienste und Sozialverbände über die Bedarfsermittlung informieren. „Ihnen werden wir einen Online-Erhebungsbogen schicken mit der Bitte, ihn an möglichst viele Menschen weiterzuleiten“, sagt die Vereinsvorsitzende Meike Austermann-Frenz.

Sie hofft, dass sie bis Anfang 2019 verwertbare Ergebnisse hat. Umgekehrt soll eine Karte hergestellt werden, auf der die aktuellen Bauprojekte verzeichnet sind: „Auf dieser Basis hoffen wir, dass in Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft tatsächlich bedarfsgerechte R-Wohnungen entstehen.“

Gesucht: Familiengerechte Wohnungen

Auch sie kann wenig über die Bedarfe an R-Wohnungen sagen: „Bei uns sind zwischen 20 und 30 Menschen gelistet – aber wir sind ja nicht die einzige Anlaufstelle.“ Aus ihrer Erfahrung wisse sie aber, dass vor allem familiengerechte Wohnungen gesucht würden: „Davon gibt es aber zu wenig, dafür viele 2-Zimmer-Wohnungen.“

Eine Quote ohne Kenntnis der Bedarfe wäre ein recht sinnloses Unterfangen, findet auch Austermann-Frenz. Sie hat dennoch Verständnis für die Vertreter der privaten Wohnwirtschaft, die – anders als die aus Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften bestehende „agWohnen“ – die Selbstverpflichtung nicht unterschrieben haben: „Die haben damit argumentiert, dass eine Bedarfsermittlung und -bestimmung Aufgabe des Staates sein müsse.“ Nun teilen sich die Kosten für die Bedarfsermittlung die Baubehörde, die „agWohnen“ und die private Wohnungswirtschaft; die kooperiert nämlich trotzdem, wenn auch ohne Unterschrift.

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