Kolumne Fremd und befremdlich: Bitte weniger Hass

Wir sollten keine Gräben aufmachen zu den Leuten, die zum Schlagermove gehen und Helene Fischer mögen. Wir sollten lieber Verbündete suchen.

Schlagermove-Besucher bei ihrem Umzug durch die Stadt.

Hören schlimme Musik, sind aber vielleicht trotzdem in Ordnung: Schlagermove-Besucher*innen Foto: dpa

Hamburg hatte ein hartes Wochenende. „Wir können heute aufgrund einer sportlichen Veranstaltung nicht die Haltestelle Großer Burstah bedienen“, sagt der Busfahrer in dem Bus, mit dem ich fahre. Und ich denke über die deutsche Sprache nach und wie man eine Bushaltestelle bedient.

Das ist am Freitag. Da gibt es die ersten Sperrungen wegen des Triathlons. Die Briefkästen an der Große Bleichen sind zugeklebt. „Werden derzeit nicht entleert.“ Am Abend dann die ersten Schlagermove-Fans in der S-Bahn. Acht Männer, verkleidet, betrunken, laut, und leider auch ein bisschen aggressiv.

Die anderen Leute, die, die jetzt zum Feierabend nach Hause fahren, sind nicht so fröhlich drauf, die gucken nicht auf die richtige, lustige Art, das passt den Schlagermove – Männern nicht. Da sind sie ein bisschen angepisst. Sie könnten sich glatt mit solchen Spaßbremsen anlegen. Jetzt schon. Am Freitag, um 17.30 Uhr. An der Haltestelle St. Pauli verpassen sie fast den Ausstieg.

Ich bin auf dem Weg zu einer Demonstration gegen die derzeitige Flüchtlingspolitik. Ich sehe Menschen, die jetzt von mir, von der Demonstration genervt sind, weil sie, zum Beispiel, mit ihrem Auto nicht weiterfahren können. Sie müssen warten, bis der Demonstrationszug vorbei ist, das dauert, da hupen sie, da sind sie genervt. Es ist nicht ihr Interesse, zu demonstrieren. Es ist ihr Interesse, nach Hause zu kommen, am Freitagabend.

Ich weiß, dass der Schlagermove eine Zumutung ist. Aber ich möchte weniger Hass

Am Samstag dann explodiert die Stadt von Schlagermusik und Sport und Helene Fischer. Ich sehe die Fans zum Stadion ziehen. Helene Fischer ist für viele Leute ein ähnliches Ärgernis wie der Schlagermove. Für die Leute, die weder Schlager noch Helene Fischer hören, die Schlager und Helene Fischer verabscheuen, die einen Hass auf diese Menschen haben, die Helene Fischer hören, schlimmstenfalls auch irgendwo ihre Lieder singen. Ich habe Helene-Fischer-Lieder in einem Regionalzug von einem Junggesellenabschied-Freundeskreis gesungen gehört, das war keine schöne Zugfahrt.

Aber ich sehe mich gezwungen, all diese Leute, deren Musik auch ich verabscheue, zu verteidigen. Sie stehen vielleicht, in einigen sehr viel wichtigeren Dingen, auf meiner Seite. Was den Schlagermove angeht, da muss ich meinen Hass bremsen. Es sollen in diesem Jahr über 500 WC-Einheiten aufgestellt worden sein und über 600 Ordner eingesetzt. Spielplätze sollen bewacht worden sein. Man gibt sich Mühe. Man weiß, wie unbeliebt man ist.

Beseelte Helene-Fischer-Fans

Und was tun sie denn? Sie singen. Sie trinken Bier. Es ist nicht mein Bier und es sind nicht meine Lieder. Aber will ich ihnen das Singen und das Biertrinken verbieten? Will ich ihnen diese mir zutiefst unangenehme Art von Lustigkeit nicht gestatten? Ich weiß, dass der Schlagermove eine Zumutung ist, für die Anwohner, das ist er. Aber ich möchte weniger Hass.

Ich habe gesehen, wie Helene-Fischer-Fans sich über das Konzert gefreut haben. Wie euphorisch sie waren, wie beseelt. Es ist falsch, ihnen das nicht zu gönnen, sie dafür zu verurteilen. Es ist überhaupt falsch, wegen solcher Dinge, andere Menschen abzuwerten oder gar, sie zu hassen. Wenn sie das glücklich macht, dann sollten wir den Großmut haben, es auszuhalten. Es ist nichts, was uns viel abverlangt.

Respektvolles Zusammenleben

Sie stehen nicht grundsätzlich, in menschlicher und moralischer Hinsicht, auf der anderen Seite. Es ist wichtig, so wenig Gräben wie möglich aufzumachen, es ist wichtig, sich nicht wegen ästhetischer Meinungsverschiedenheiten in einen Zwist zu begeben.

Wir brauchen Freunde, Verbündete, wir müssen die Menschen nicht von unserem musikalischen Geschmack überzeugen, aber wir müssen sie in moralischer Hinsicht überzeugen. Das ist momentan die dringendste Aufgabe. Eine starke, moralische Gemeinschaft zu finden, gegen denn Hass, gegen Rassismus und Sexismus. Und da hilft es nicht, sich nach allen Seiten hin abzugrenzen.

Das taugt zur Selbstfindung in der Pubertät. Aber nicht für Erwachsene, die in erster Linie respektvoll miteinander leben wollen.

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Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

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