Wie die AfD gegen ihre Gegner mobilisiert: Demokraten im Visier

„Miteinander“ kämpft für eine offene Gesellschaft. Das findet die AfD gar nicht gut. Sie versucht, solchen Gruppen das Wasser abzugraben.

Wenige Meter vor einem AfD-Zelt steht ein Aufsteller mit der Aufschrift: Achtung, Sie verlassen die demokratische Meile

Aktion gegen die Teilnahme der AfD an der „Meile der Demokratie“ in Magdeburg Foto: Christian Schrödter

MAGDEBURG/BERLIN taz | Der Verein hat seine Räume in einem alleinstehenden Haus im Süden Magdeburgs, der Putz an den Wänden ist grau. Im Erdgeschoss ist eine Versicherung untergebracht, die Treppe hoch im ersten Stock ist die Geschäftsstelle des Vereins „Miteinander“ untergebracht. Pascal Begrich, 44, Historiker und seit neun Jahren Geschäftsführer, lässt sich zum Gespräch auf einem der alten, rot gepolsterten Stühle an dem kleinen Tisch in seinem Büro nieder. „Was wir machen, ist Demokratieförderung“, sagt Begrich, „das gefällt der AfD nicht“.

„Miteinander e. V. Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt“, wie es vollständig heißt, hat sich vor 20 Jahren gegründet, als die rechtsextreme DVU mit 12 Prozent in den Magdeburger Landtag eingezogen war. Heute gibt es 27 MitarbeiterInnen, drei Standorte, ein Jahresbudget von 1,7 Millionen Euro. Das Geld kommt vor allem aus den Bundes- und Landesprogrammen gegen Rechtsextremismus und für Demokratie. Die MitarbeiterInnen recherchieren zu Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, geben ihr Wissen an Politik und Medien weiter, führen Workshops an Schulen und Fortbildungen mit SozialarbeiterInnen durch, beraten Opfer rechter Gewalt und dokumentieren diese Attacken. 2017 waren das 198. In ihrer Bilanz für das Jahr beschreibt die Arbeitsstelle Rechtsextremismus, die auch zu „Miteinander“ gehört, wie sich die Strukturen der radikal Rechten in Sachsen-Anhalt umgruppiert haben. „Umfangreich belegt ist, dass und wie Personen, die zuvor im offen neonazistischen Kontext politisch aktiv waren, nun im Umfeld der AfD tätig sind“, heißt es da.

„Die AfD will eine illiberale Gesellschaft etablieren“, sagt Begrich. Vor diesem Hintergrund müsse man auch die parlamentarischen Initiativen der Partei sehen. Eine davon: die Drucksache 7/2246 des Landtags von Sachsen-Anhalt, 236 Fragen zur „Fördermittelvergabe an den Verein ‚Miteinander e. V.‘ und angeschlossene Projekte“. Die AfD-Fraktion hat sie Ende vergangenen Jahres an die Landesregierung gestellt. Die AfD will wissen, ob ein nachgewiesener Kontakt mit Linksextremen den Verein als Träger der Jugendhilfe ausschließen würde. Welche Erkenntnisse oder Verdachtsmomente der Landes­regierung über die Zusammenarbeit mit Extremisten vorliegen. Unter welchen Umständen die Gemeinnützigkeit des Vereins aberkannt werden könnte. So geht das 26 Seiten lang. „Natürlich können Fraktionen zu öffentlichen Fördergeldern Fragen stellen“, sagt Begrich. „Aber der AfD geht es nicht um eine sachlich fundierte Auseinandersetzung, sondern um Diskreditierung.“

André Poggenburg, früher Landes- und Fraktionschef der AfD, heute ihr Sprecher gegen Extremismus, hält „Miteinander“ für einen „staatlich subventionierten linken Verein“, der Meinungsmache gegen die AfD betreibe: „Da darf kein Cent Fördergeld mehr reingehen.“

Das Ziel: öffentliche Mittel entziehen

Als sich die Landesregierung vor den Verein und seine Arbeit stellte, setzte die AfD nach. Vor einigen Wochen beantragte sie, „Miteinander“ die öffentlichen Mittel zu entziehen. Der Antrag scheiterte. Doch einige Mitglieder der CDU enthielten sich. „Die CDU steht hinter dem Landesprogramm für Demokratie und der Förderung von uns als Träger“, sagt Begrich. „Die Frage ist, ob das so bleibt.“ Der gesellschaftliche Diskurs habe sich schon stark nach rechts verschoben.

Bei den Landtagswahlen im März 2016 erzielte die AfD in Sachsen-Anhalt mit 24,3 Prozent der Stimmen ihr bislang bestes Ergebnis. Die CDU musste sich mit SPD und Grünen zusammenschließen, damit der Christdemokrat Reiner Haseloff zum Ministerpräsidenten gewählt werden konnte. Nicht allen Christdemokraten gefällt dieser Kurs, manche haben, so heißt es, mit der AfD mehr gemein als mit ihren Koalitionspartnern. Einmal schon stimmten weite Teile der CDU-Fraktion für einen Antrag der AfD: als diese vor knapp einem Jahr die Einsetzung einer Enquetekommission zur Untersuchung von Linksextremismus beantragte. Vorsitzender wurde André Poggenburg.

Die Kampagne gegen „Miteinander“ ist nicht der erste Versuch der AfD in Sachsen-Anhalt, gegen zivilgesellschaftlich Engagierte vorzugehen. Bereits im Februar 2017 legte die AfD-Fraktion einen „Alternativen-Haushaltsplan“ vor, in dem sie nach eigenen Angaben 4,5 Millionen bei „ideologischen Projekten in den Bereichen Kampf gegen Rechts / Willkommenskultur / linkes Vereinswesen“ streichen wollte. Im September beantragte sie, die linken Recherchenetzwerke „rechercheMD“ und „Sachsen-Anhalt rechtsaußen“ zu verbieten. Im Mai forderte die AfD im Landtag, „Schule ohne Rassimus“ die Fördermittel zu entziehen. 137 Schulen machen in Sachsen-Anhalt bei dem Netzwerk mit, das Vorurteile abbauen und Rassismus und Antisemitismus bekämpfen will. Die Begründung der AfD: Schule ohne Rassismus sei „linke Indoktrination, Meinungs- und Gesinnungsdiktatur“. „Bei ‚Schule ohne Rassimus‘ geht es um Demokratieförderung und Menschenrechtsbildung, damit hat die AfD offensichtlich ein Problem,“ sagt Cornelia Habisch von der Landeszentrale für politische Bildung dazu, die das Netzwerk koordiniert. Viele PolitikerInnen aus der Landesregierung seien Paten von „Schule ohne Rassismus“-Lehranstalten, darunter Ministerpräsident Haseloff.

Im Januar meldeten die Rechtspopulisten sich bei der „Meile der Demokratie“ an. Anlass für deren Gründung war 2009 der Versuch von Rechts­extremen, den Jahrestag der Zerstörung Magdeburgs während des Zweiten Weltkriegs revisionistisch aufzuladen. Ein breites Bündnis setzte demonstrierenden Neonazis einen Ak­tionstag entgegen.

Demokratiefreunde auseinanderdividiert

Aber jetzt gemeinsam mit der AfD? Einer Partei, die im Landtag vertreten ist, die Teilnahme zu verwehren, schien juristisch nicht durchsetzbar. „Miteinander“ und einige andere Organisationen blieben der Meile fern, andere wollten sich das Projekt von den Rechtspopulisten nicht nehmen lassen. Eine Spaltung. „Die Debatte dazu in dieser Schärfe habe ich nicht erwartet“, sagt Begrich. „Da hat sich etwas verändert, auch durch die Verunsicherung.“ Schließlich veröffentlichten 54 Organisationen und Einzelpersonen eine Erklärung: „Gegen ein Klima der Angst und Denunziation. Angriffe auf die pluralistische Zivilgesellschaft zurückweisen.“

Pascal Begrich beobachtet, dass kleinere Initiativen das scharfe Vorgehen der AfD im Parlament verunsichert. „Wir halten da stand, wir sind es gewohnt, von weit rechts angegriffen zu werden“, sagt er. „Aber andere Organisationen werden vorsichtiger, auch in der Zusammenarbeit mit uns.“ Ein anderer „Miteinander“-Mitarbeiter wird deutlicher: „Kleinere Projekte – Fraueninitiativen, Migrantenvereine, Organisationen aus der Kinder- und Jugendarbeit – haben große Angst, von der AfD an den Pranger gestellt zu werden. Sie fragen sich: Halten wir das durch? Können wir uns gegen die AfD positionieren?“

Pascal Begrich, Verein „Miteinander“

„Wir halten da stand, wir sind es gewohnt, von weit rechts angegriffen zu werden. Aber andere Organisationen werden vorsichtiger“

Parlamentarische Anfragen der AfD, die zivilgesellschaftliche Initiativen aufs Korn nehmen, hat es auch in anderen Landtagen wie Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen gegeben. Im Bundestag zieht die AfD mit einer Anfrage gegen die Publikation „Aktivitäten gegen den ‚Gender-Wahn‘“ des Soziologen Andreas Kemper zu Felde, der sich seit Jahren mit Antifeminismus beschäftigt. In Bremen geht die AfD gegen einen Lehrer vor, der die Neutralitätspflicht verletzt haben soll, weil er Schüler auf die Website „AfD-Watch Bremen“ aufmerksam gemacht hat. „Die AfD will kritische Stimmen verunsichern und mundtot machen“, sagt Begrich.

Drucksache 18/12127 im Berliner Abgeordnetenhaus. 129 Fragen zu „Linksextremistischen Netzwerken in Berlin“, wie der AfD-Abgeordnete Thorsten Weiß seine Anfrage nennt. Rund 50 Organisationen rückt die AfD darin in die Nähe zum Links­extremismus, darunter das Anne Frank Zentrum, den Türkischen Bund Berlin-Brandenburg, den DGB und die Amadeu Antonio Stiftung.

Die Stiftung und ihre Chefin Anetta Kahane hat die AfD besonders im Visier. An einem Dienstag Anfang Juli sitzt Robert Lüdecke auf einem Podium im Reichstag, die Fraktion der Linkspartei hat zu einem Fachgespräch unter dem Titel „Angriffe auf Demokratie und Menschenwürde“ geladen. Lüdecke ist der Pressesprecher von Amadeu Antonio. Er berichtet vom Frühjahr und Sommer 2016, als sie erst eine Handreichung zum Umgang mit der AfD und dann eine zum Umgang mit Hetze gegen Geflüchtete veröffentlichte. „Danach brach eine unglaubliche Welle des Hasses über uns ein“, sagt Lüdecke. „Wir wurden bedroht.“ Mit dem Gerede von „Stasi 2.0“ und der „Stiftung der Schande“ habe die AfD dies angeheizt. „Seitdem ist für uns der Druck enorm gewachsen. Psychisch und materiell.“ Die Stiftung fuhr die Sicherheitsvorkehrungen hoch, aber auch die einzelnen Mitarbeiter machen sich Sorgen. Was ist, wenn ich alleine abends am Bahnhof stehe? Veröffentlichungen werden inzwischen akribisch geprüft. „Das alles kostet Zeit und Geld, unsere inhaltliche Arbeit leidet massiv darunter“, so Lüdecke.

Auch auf dem Podium sitzt Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen. „Wir haben die Gnade der frühen Wahl“, sagt er. Sachsen war im August 2014 das erste Bundesland, in dem die AfD in den Landtag einzog – mit knapp 10 Prozent. Von den 14 Abgeordneten sind noch 9 übrig geblieben. „Die stellen auch solche Anfragen, haben aber nicht die Kraft, das weiterzuverfolgen“, so Nattke. Im kommenden Jahr könnte das vorbei sein. Bei der Landtagswahl will die AfD das Ergebnis in Sachsen-Anhalt toppen. Und stärkste Kraft in Sachsen werden. Ausgeschlossen ist das nicht.

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