„Labor für Protestformen“

Heute wird beim Kunstfestival „MS Artville“ über Möglichkeiten diskutiert, kreativ Widerstand zu leisten. Nina Los von „Peng! Collective“ erklärt, worum es dabei geht

Ein Herz für die Leidtragenden: Mit der Aktion „Deutschland sagt Sorry!“ fakte Peng! eine Entschuldigung des Arbeitsministeriums bei Opfern der Agenda 2010 Foto: Martinadella Valle

Interview Robert Matthies

taz: Nina Los, das Peng! Collective hat gerade den Aachener Friedenspreis für seine „mutigen, humorvollen Aktionen“ bekommen. Ist die Zeit reif für subversiven Protest?

Nina Los: Insgesamt sind die Zeiten sehr schlecht, Stichworte: Rechtsruck, Grenzpolitik, Weiterbestehen der kapitalistischen Ausbeutung. Aber sie sind so schlecht, dass es auch Hoffnung gibt, dass jetzt mehr Leute aktiv werden. Und die Zeiten sind gut, weil die Digitalisierung es möglich macht, dass sehr viele sehr schnell zu erreichen sind. Die Seebrücke-Bewegung hat ja gerade gezeigt, dass sehr wenig Vorbereitung reicht, um eine riesige Bewegung zu ini­tiieren, mit Demos überall, mit Tausenden von Menschen.

Als in den 90ern die Kommunikationsguerilla in Deutschland entdeckt wurde, wurde noch diskutiert, ob Spaß, Kreativität und ernst gemeinter Protest überhaupt zusammenpassen. Steht es heute um den Humor besser?

Vielleicht lachen die Leute heute mehr, auch aus der Verzweiflung heraus. Und warum soll politisches Engagement auch keinen Spaß machen, wenn die Inhalte ernst und radikal genug sind? Das ist doch eine ganz komische Erwartung, das alles ernst sein soll. Es kann sehr ermächtigend sein, kurz über Missstände zu lachen und damit die Machtasymmetrie umzukehren. Von da muss man dann weitermachen. Vor allem aber vergrößert sich die Reichweite, wenn man nicht nur akademisch argumentiert und Mittel des Gegners ausleiht, um sie mit anderen Inhalten gegen den Gegner zu benutzen. Kommunikationsguerilla ermöglicht, radikale Inhalte in eine leichtere Form zu verpacken und die Schwelle für Leute runterzusetzen, die nicht so stark politisiert sind.

Das Peng! Collective wird oft eine politische Künstler*innen-Gruppe genannt. Oder sind Sie eher Aktivist*innen, die Mittel der Aktionskunst nutzen?

Die Frage der Kunst ist in unserer Geschichte eher eine Fremdzuschreibung gewesen. Irgendwann haben die Leute angefangen zu sagen: Das ist Kunst und die Kunst ermöglicht es, gewisse Forderungen in die Öffentlichkeit zu bekommen, Förderungen zu bekommen und auch einen gewissen rechtlichen Schutz. Aber von uns hat niemand das Ziel gehabt, in die Kunst zu kommen. Uns sind diese Etiketten auch nicht so wichtig, wir wollen einfach unsere Arbeit machen und möglichst viele Leute damit erreichen. Wenn dafür der Begriff der Kunst nötig ist, okay. Was ist denn Kunst heute überhaupt? Wir sagen oft: Kunst ist eine brennende Barrikade, hinter der wir uns verstecken.

Sie haben ein breites Spektrum an Themen, von Hartz IV über Waffenexporte bis zu Feminismus.

Normalerweise spezialisieren sich NGOs oder politische Gruppen auf Einzelthemen wie Umwelt, Tierschutz oder Menschenrechte. Wir haben aber über die Jahre gemerkt, dass es wichtig ist, alle Themen zu beackern, die wir als zusammenhängend sehen, wenn auch nacheinander und punktuell. Wir beschränken uns nicht nur auf Migration und Flucht oder Umwelt, sondern bearbeiten alle Themen, von denen wir denken, dass sie für eine emanzipatorische Bewegung wichtig sind.

Mit Ihren Aktionen reagieren Sie sehr schnell.

Peng! ist ein Kollektiv von Aktivist*innen, Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Journalist*innen, das seit 2013 mit neuen Protestformen experimentiert, „um der Zivilgesellschaft die Zähne zu schärfen“.

Spektakuläre Peng!-Aktionen: 2015 zeichnete Peng! Fluchthelfer*innen mit dem „Europäischen Verdienstkreuz am Bande“ aus und rief auf, während der Urlaubsreise Fluchthilfe zu leisten. 2016 startete das Kollektiv eine Gegenkampagne zur Bundeswehrwerbung mit einer Mock-up-Webseite. Im Rahmen einer Kampagne gegen Kleinwaffenexporte verlieh Peng! 2017 unter anderem Waffenherstellern einen Friedenspreis.

Wir sehen uns als ein Labor für Protestformen. Einerseits haben wir verschiedene Themen, die uns wichtig sind, andererseits müssen wir reagieren, wenn tagesaktuell politisch etwas passiert. Dann versuchen wir, unsere Erfahrungen aus den vorherigen Aktionen zu bündeln, um eine schnelle Reaktion zu schaffen.

Sie verstehen sich dabei als ein Teil von vielen in linken Protestbewegungen?

Ja, sowohl „beruflich“ als zum Teil auch privat. Aber wir können ja bei all diesen Themen keine nachhaltige Basisarbeit leisten, deswegen verorten wir uns eher in so einer Diskursarbeit, die Momente für Sichtbarkeit schafft, die den einzelnen Kämpfen dienen soll. Und dann geben wir die Arbeit wieder weiter an die jeweiligen Organisationen oder Bewegungen.

Woran bemessen Sie, ob eine Aktion erfolgreich war?

Bis jetzt hat leider noch keine Aktion das System gestürzt, aber es gibt verschiedene Faktoren. Weil wir viel Diskursarbeit machen, ist ein Indikator: Hat die Aktion Reichweite, verbreitet sie sich direkt auf den sozialen Medien, antwortet die Presse darauf und wird sie Teil eines größeren Diskurses? Presse und soziale Medien sind dabei beide wichtige Orte der Öffentlichkeit für einen Diskurs. Andererseits arbeiten wir eben immer eng mit Initiativen und Organisationen zusammen, die schon länger an den Themen dran sind. Deshalb ist ein Indikator für den Erfolg auch: Wie sind die Reaktionen und wie ist die Reichweite in den jeweiligen Communitys? Nutzen ihnen unsere Tools und die Momente der Sichtbarkeit?

Können Sie ein Beispiel geben?

Als wir 2015 einen Aufruf zur Fluchthilfe gestartet haben, sind dem super viele Leute gefolgt. Hunderte Leute haben ihre Urlaubsreise genutzt, um andere, die sich nicht bewegen können, über die Grenzen zu fahren. Dann haben wir noch Geld gesammelt für einen Rechtshilfefonds, sodass wir die Prozesskosten oder einen Teil der Anwaltskosten bezahlt haben für die Leute, die erwischt wurden. Gleichzeitig wurde aber auch der Diskurs in den Medien verschoben. Der Begriff Fluchthilfe ist teilweise an die Stelle von Begriffen wie Schlepper oder Schleuser getreten. Danach gab es leider trotzdem einen starken Backlash in der Grenzpolitik und jetzt ist es noch schlimmer.

Foto: Peng!

Nina Los

34, ist seit 2015 „Dezernatsleiterin für Ethik und Ästhetik“ bei Peng! Collective.

Wenn die Zeiten für subversive Aktionen günstig sind: Wie kann jede*r selbst aktiv werden?

In unserer Kerngruppe kann man nicht mitmachen, aber manchmal machen wir Aktionen, wo wir auf eine große Crowd angewiesen sind. Dann verbreiten wir den Aufruf über soziale Netzwerke oder den Newsletter. Man kann sich als Supporter anmelden und die eigenen Fähigkeiten angeben und dann greifen wir darauf zurück. Und man kann man spenden, um unsere Arbeit zu unterstützen.

Und generell?

Man kann sich zusammenschließen mit denen, die Probleme auf ähnliche Weise als dringend empfinden und einfach aktiv werden, eine Sichtbarkeit schaffen für die Unzufriedenheit. Wir sind ja ein lebendes Beispiel, dass auch Sachen, die rechtlich, technisch oder logistisch sehr schwierig erscheinen, möglich sind und eine große Reichweite haben können. Es geht, auch wenn es oft komplett absurd klingt!

„MS Artville“: Richtfest am Sa, 21. 7., 14 Uhr, MS-Dockville-Gelände, Alte Schleuse 23. Bis 11. August, Di, Mi und Sa 14 bis 20 Uhr

Symposium „The Art of Protest“ mit Peng!, Dies Irae, Zentrum für Politische Schönheit, Tausend Gestalten und Rocco und seine Brüder: Sa, 21. 7., 15 Uhr

Peng Collective: https://pen.gg