Revolutionsdesign im Bröhan-Museum: Hier spricht das Kollektiv

In einer Ausstellung geht es um ein französisches Grafikerkollektiv. In den 70ern wollte es „der Arbeiterklasse schöne Bilder zur Verfügung stellen“.

Plakat des Grafikerkollektivs Grapus mit Smiley, der Hammer und Sichel als linkes Auge hat und Hitlerbart trägt.

Bunt, wild und ironisch: Grapus-Plakat „Grapus au musée de l’affiche – Paris“, 1982. Foto: Fonds Grapus/VG Bild-Kunst

„Plakate aus Frankreich: l’atelier Grapus“, lautete der Titel der Ausstellung zum Werk des Grafikerkollektivs Grapus in der Galerie Mitte in der Reinhardtstraße im Jahr 1984. Dass die Pariser damals im Ostteil der Stadt ausstellten, mag auch dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass seine Gründungsmitglieder Kommunisten waren. Dass diese Schau aber bis 2018 die einzige Berliner Präsentation der einflussreichen Gruppe blieb, erstaunt aber doch.

Wenn das Bröhan-Museum nun als „Landesmuseum für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus“ zum 50. Jubiläum von 1968 eine umfangreiche Grapus-Ausstellung ausrichtet, dann weniger, weil die Pariser zum funktionalistischen Kanon gehört hätten. Im Gegenteil, sind die in kollektiver Autorenschaft gestalteten Plakate, Aufkleber, Zeitungen und so weiter aus den 1970er und 1980er Jahren doch gerade für ihren freien Ausdruck, ihre Motivaneignungen, ihre Farb- und Formexplosionen bekannt, bei denen sich eine Vielzahl von Techniken, Formaten, Stilen und Medien mischten. Lenin mit Sprechblase, Marx als Tramper, typografisch gab es keine Grenzen.

Die Ausstellung "Das französische Grafikerkollektiv Grapus" ist derzeit im Berliner Bröhan-Museum, Schloßstr. 1a, zu sehen. Di.–So. 10–18 Uhr. Bis 3. Oktober.

Den Kuratoren der Ausstellung, Anna Grosskopf und Tobias Hoffmann, dürfte auch nicht entgangen sein, dass sich eine jüngere DesignerInnen-Generation wieder mit Grapus beschäftigt. Das Buch „What, you don’t know Grapus?“ (2014) des in Berlin lebenden Grafikdesigners Léo Favier, etwa hatte dazu beigetragen.

Faviers Mentor und ehemaliger Professor war das aus dem Saarland stammende Grapus-Mitglied Alex Jordan, ein seinerzeit in der BRD mit dem Klima der Berufsverbote hadernder und 1976 die „Al­lianz Die Ausstellung „Das französische Grafikerkollektiv Grapus“ ist derzeit im Berliner Bröhan-Museum, Schloßstr. 1a, zu sehen. Di.–So. 10–18 Uhr. Bis 3. Oktober.der linken Kräfte“ suchender und darob nach Paris gegangener Beuys-Schüler. Von 1993 bis 2013 lehrte er Visuelle Kommunikation an der Kunsthochschule Weißensee.

Nicht revolutionär

Grapus wird, neben Jordan, mit den Gründern Pierre Bernard, François Miehe und Gérard Paris-Clavel sowie dem 1974 hinzugestoßenen Jean-Paul Bachollet in Verbindung gebracht. Über die Jahre gehörten dem Kollektiv jedoch viele weitere Mitglieder an, Frauen wie Männer. Darunter auch der spätere documenta-Teilnehmer Thomas Hirschhorn. Er bezeichnete die Arbeitsweise entgegen manchen Vorstellungen einer „realisierten Utopie“ später als „nicht revolutionär“ und sich von derjenigen kommerziell wirkender Agenturen in nichts unterscheidend.

Es war dies in etwa jene Zeit in den 1980ern, in der Grapus das (bis heute genutzte) Logo des Louvre entwarf. Alex Jordan fasst diese Endphase zusammen: „Konnten wir weiter Aufträge vom Staat annehmen und seine Kritiker unterstützen?“ Die Antwort war negativ. Als Grapus 1991 den Prix National des Arts Graphiques erhält, arbeiten die Mitglieder schon in anderen Konstellationen weiter, manche politisch engagiert, andere eher kommerziell.

Hier spricht die Polizei

Am Anfang jedoch stand der politische Aufbruch: Im Mai 1968 lernten Pierre Bernard und Gérard Paris-Clavel, Studenten an der École nationale supérieure des arts décoratifs, die sich gerade in Warschau von dem Plakatkünstler Henryk Tomaszewski hatten beeinflussen lassen, François Miehe am „Atelier Populaire“ kennen: Die Kunsthochschule war von Studierenden besetzt und in eine basisdemokratische Produktionsstätte umgewandelt worden.

Es entstehen Plakate für den revolutionären Kampf: Die Fabrik mit kapitalistischem Zigarrenschlot und einem „NON“ oder der schwer bewaffnete Polizist, der die Nachrichten des öffentlich-rechtlichen Senders spricht: „La Police vous parle“, hier spricht die Polizei.

Soliplakate für Streikaktionen

Mit der Grapus-Gründung 1970 ging es darum, „der Arbeiterklasse schöne Bilder zur Verfügung stellen“. Die Ausstellung zeichnet dies unter anderem anhand des Grapus-Engagements für die Kommunistische Partei Frankreichs (PCF) und die Gewerkschaft CGT nach. Dazwischen Protestplakate ­gegen den Vietnamkrieg, Soliplakate für Streikaktionen, Besetzungen, die Ästhetik für die damalige Zeit neu und herausfordernd in jeder Hinsicht, politische und visuelle Zumutungen überall.

Um 1983, Grapus hatte sich mittlerweile kulturellen und ministeriellen Auftraggebern zugewandt, scheint sich die Arbeiterklasse in eine Zielgruppe von KonsumentInnen aufzulösen: Auf einem Plakat stehen nunmehr „Philips“ und „phonogram“ und nicht mehr PCF und CGT.

Spirituell, geradezu religiös sei das gemeinsame Gestalten gewesen, behauptet Jean-Paul Bachollet in einem in der Ausstellung zu sehenden Video. War man bei Grapus im Besitz einer höheren kreativen Wahrheit oder schuf man, an Roland Barthes geschult, auch Mythen des heutigen DesignerInnenalltags? Die historische Skepsis entscheidet sich für Letzteres, was der Brillanz der Arbeiten jedoch nicht schadet.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.