Präsidentschaftswahl in Brasilien: Der Donald Trump vom Zuckerhut

Er vergöttert Brasiliens frühere Militärregierung und predigt ultrakonservative Gedanken. Der Kandidat Jair Bolsonaro legt in den Umfragen zu

Vor einem grünen Bühnenhintergrund winkt Jair Bolsonaro in die Menge

Jair Bolsonaro bei seiner offiziellen Kür als Kandidat für die Präsidentschaft Brasiliens Foto: ap

RIO DE JANEIRO taz | Dass in zehn Wochen ein neues Staatsoberhaupt gewählt wird, scheint die Menschen in Brasilien nicht sonderlich zu interessieren. Was Politik angeht, ist die Stimmung eher fatalistisch. Zumal völlig unklar ist, wer und in welchen Koalitionen kandidieren wird. Favorit Lula da Silva sitzt wegen Korruption im Gefängnis, der Regierungskandidat kommt in Umfragen mit Mühe auf 1 Prozent, und die Rechte ist zerstritten.

Nur ein Bewerber ist in aller Munde: Jair Bolsonaro, der mit rechtsradikalen und frauenfeindlichen Sprüchen die Medien auf Trab hält und lieber heute als morgen wieder eine Militärregierung an der Macht sehen würde.

Wahlprognosen sehen ihn seit Längerem auf dem zweiten Platz, und sollte Lula wie erwartet nicht antreten dürfen, ist er einsamer Spitzenreiter. Am vergangenen Wochenende hat ihn seine kleine Partei PSL offiziell zum Kandidaten gekürt.

Allerdings fehlt ihm noch ein Vize. Von einem ranghohen General, einem evangelikalen Pastor mit Sitz im Senat und auch von der Rechtsanwältin, die die juristische Munition für die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff 2016 lieferte, bekam Bolsonaro Absagen. Offenbar will kaum jemand neben ihm auf dem Podium stehen, noch.

„Er spricht die Sprache des Volkes“

Der Landwirt Felipe Bretas und der Handwerker José Ricardo sind zu Bolsonaros Kandidatenkür extra nach Rio de Janeiro gekommen. „Wir müssen das Recht haben, Waffen zu besitzen, um unsere Familien und unser Hab und Gut zu verteidigen“, sagt Bretas. „Die Polizei braucht mehr Unterstützung“, ergänzt Ricardo.

Vor allem müssten minderjährige Banditen und Killer endlich zur Rechenschaft gezogen werden. Für die beiden ist der Ex-Militär und heutige Abgeordnete der erste Politiker, dem sie eine Reform des Waffengesetzes und eine Senkung des Strafmündigkeitsalters zutrauen. Ricardo ist überzeugt: „Er ist ein ehrlicher Mann und spricht die Sprache des Volkes. Ganz anders als das politisch korrekte Gerede!“

Der 63-jährige Bolsonaro ist Katholik und predigt lautstark seine Werte. Statt Genderdebatte und Gleichberechtigung stellt er die Familie über alles. Quoten für Afrobrasilianer und ausgeprägte Sozialpolitik sind überflüssig. Aus dem Pariser Klimaabkommen will er aussteigen, das Umweltministerium abschaffen.

Diverse Ministerposten sollen an Militärs gehen. Dies sei besser als Ämter für „Korrupte“ oder „Terroristen“, sagt Bolsonaro mit Blick auf zahlreiche Linkspolitiker*innen, die einst gegen die Diktatur (1964–1985) in den Untergrund gegangen sind.

„Bolsonaro wird’s richten“

Das Oberste Gericht soll auf 21 Rich­te­r*innen aufgestockt werden. „Auf diese Weise können dort zehn Unvoreingenommene eingesetzt werden“, sagt Bolsonaro. Migranten, zum Beispiel die Venezolaner, die im Norden des Landes über die Grenze kommen, sollen in Lagern untergebracht werden. Die Begründung: „Wir haben schon genug eigene Probleme.“

„Allein schon Bolsonaros Diskurs rückt das Land immer weiter nach rechts. Schon bald könnte die Grenze zwischen traditionell-konservativ und rechtsextrem verblassen“, befürchtet der Student Enrico Tavares.

Wirtschaftspolitisch hält sich Bolsonaros hingegen bedeckt. Gerne wiederholt er, weniger Staat und mehr Markt und Privatisierungen seien notwendig – offenbar um auch Stimmen in Unternehmerkreisen zu fischen.

Bei vielen kommt das Image des starken Saubermanns gut an. „Bolsonaro wird’s richten“ ist schon eine Art Standardantwort, wenn einer der zahlreichen Missstände im Land Thema ist. Zugleich inszeniert er sich als Opfer: „Die Massenmedien stellen alles, was er sagt, falsch dar“, findet die 50-jährige Ivaneide Almeida, die sich als Weiße durch Quoten diskriminiert fühlt. „Er ähnelt dem US-Präsidenten Trump. Beide werden noch viel Gutes für ihre Nationen tun“, glaubt Almeida.

Der Trump Brasiliens ist nicht nur bei den sogenannten Verlierern beliebt. Bei Menschen mit guter Schulbildung schneidet er im Schnitt besser ab. Bei den Reicheren ist er deutlich beliebter und könnte sogar auf knapp 25 Prozent der Stimmen hoffen.

Noch machen sich die Linke und der Mainstream gegenseitig Mut, dass das Phänomen Bolsonaro bald ­ausgereizt ist und er spätestens in der Stichwahl chancenlos sei. Doch sicher ist das nicht.

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Journalist und Soziologe, lebt seit neun Jahren in Rio de Janeiro und berichtet für Zeitungen, Agenturen und Radios aus der Region. Arbeitsschwerpunkt sind interkulturelle Medienprojekte wie der Nachrichtenpool Lateinamerika (Mexiko/Berlin) und Pulsar, die Presseagentur des Weltverbands Freier Radios (Amarc) in Lateinamerika.

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