Wo sind nur die jungen, edlen Ritter?

PSYCHOGRAMM Gefangen in einem Teufelskreis: Mit dem beklemmenden Roman „Teheran, Stadt ohne Himmel“ beendet der iranische Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan seine Teheran-Trilogie

VON INGO AREND

Unzivilisierte Zionisten“. Als der iranische Präsident Ahmadinedschad Ende September vor der UNO in New York wieder einmal Israel angriff, begründete er das mit der Kultur. Ob es mit der islamischen Zivilisation, die er vertritt, so viel besser bestellt ist, lässt sich freilich bezweifeln. Jedenfalls solange man dem Bild traut, das die iranische Intelligenz von ihrem Land zeichnet.

Literarische Produkte sollte man nicht wie Sozialstudien lesen. Doch mit seiner Teheran-Trilogie hat der 1956 auch dort geborene Amir Hassan Cheheltan, ein gelernter Elektrotechniker, so etwas wie ein Psychogramm seiner Heimat vorgelegt, das es in sich hat. Nicht umsonst spielen „Teheran, Revolutionsstraße“, „Amerikaner töten in Teheran“ und „Teheran, Stadt ohne Himmel“ alle in der 16-Millionen-Metropole. Die darin, bei aller Detailtreue, durchaus als Metapher steht: ein Moloch zwischen Tradition und Moderne, Moral und Doppelmoral, Aufklärung und Aberglaube.

Und Cheheltan müsste seine fiktiven Geschichten auch nicht so präzise historisch verorten. Vom Ende der Dynastien bis zur erodierenden Theokratie: Ihr zeitlicher Horizont reicht vom Beginn des letzten Jahrhunderts bis in die unmittelbare Gegenwart. Auch für den Iran war das 20. Jahrhundert ein Zeitalter der Extreme: „100 Jahre Krise“ nannte Cheheltan die Abfolge blutiger Umstürze einmal. Im Mittelpunkt steht immer das große Trauma: der CIA-Putsch gegen den gewählten Premier Mossadegh im August des Jahres 1953.

Den zivilisatorischen Zustand seiner Heimat arbeitet Cheheltan aber vor allem über seine Protagonisten heraus. Von denen viele in allen drei Bänden auftreten, mitunter in textgleichen Passagen. So entfaltet Cheheltan ein Panorama ineinander verflochtener Schicksale. Und spiegelt die große Geschichte in der kleinen, individuellen.

Held von „Teheran, Stadt ohne Himmel“, Cheheltans viertem Roman, ist Keramat. 1929 in einem Provinzdorf geboren, arbeitet er sich in der Hauptstadt vom Obstverkäufer über das Rotlichtmilieu bis zum Direktor des berüchtigten Evin-Gefängnisses empor, in dem schon in „Teheran, Revolutionsstraße“ so viele Hoffnungen endeten.

Den Untertitel „Eine Chronologie von Albtraum und Tod“ hat Cheheltan nicht umsonst gewählt. Mit unerbittlicher Empathie folgt Cheheltan der Perspektive seines trostlosen Helden. Aus der er das Bild einer traumatisierten Gesellschaft ableitet, die an ihren inneren Widersprüchen erstickt.

Erst marodiert Keramat als Schläger für den Schah, später für die Mullahs. Wie sehr in dieser Welt die moralischen Maßstäbe auf dem Kopf stehen, zeigt sich daran, dass die Verbrecherbanden, zu deren Mitglied Keramat wird, sich als Ordnungsmacht begreifen. „Wo waren sie nur, die jungen, edlen Ritter, die die Ehre der Menschen vor den Klauen teuflischer Schurken beschützten“, murmelt der selbsternannte Rächer vor einem seiner Einsätze erbittert.

Die Geschichte schildert die letzten 24 Stunden im Leben dieses Mannes. Sie beginnt, als plötzlich eines Tages, Keramat ist längst verheiratet und hat drei Kinder, seine ehemalige Geliebte Tala auftaucht. Das löst bei dem Schergen der Diktatur eine Art verklärende Selbstreflexion aus. In diesen Erinnerungsschüben kehrt immer wieder ein Bild zurück, das sich auch wieder kaum anders als metaphorisch lesen lässt. Mit dem zwölfjährigen Jungen, den ein englischer Unteroffizier da an einem Tag des Jahres 1941 auf offener Straße sexuell missbraucht, wird auch eine ganze Nation entehrt.

Die Lektüre von „Amerikaner töten in Teheran“ (2011) beschwerte noch das Übermaß an historischer Information. Mit dem beklemmenden „Teheran, Stadt ohne Himmel“ ist Cheheltan ein großes Buch gelungen, in dem er den Teufelskreis aus Gewalt, der Unfähigkeit zur Selbstkritik und der Inszenierung als Opfer, in dem das iranische System gefangen ist, ganz in eine lebendige Person verlegt. Und aus dem Cheheltan, das deutet der Titel des Buches an, keinen Ausweg sieht – auch keinen metaphysischen.

Es gehört zu der Dialektik von Cheheltans beeindruckendem Werk, dass ausgerechnet das Bild düsterer Unzivilisiertheit, das er darin so kunstvoll zeichnet, dieZivilisationsbilanz des Iran ins Positive wendet.

Amir Hassan Cheheltan: „Teheran, Stadt ohne Himmel“. Aus dem Persischen übersetzt und mit einem Nachwort von Kurt Scharf. Beck, München, 224 Seiten, 19,95 Euro