Rechtsextreme in der Ukraine: Neonazis bekommen Staatsgeld

In der Ukraine bekommen Rechtsextreme finanzielle Unterstützung aus Steuergeldern. Eine der Gruppen hat ein Roma-Lager zerstört.

Eine ältere Frau sitzt auf einem Bett in einem bunt dekorierten Raum

Die Großmutter eines Jugendlichen, der im Juni bei einem Angriff auf ein Roma-Lager in der Westukraine getötet wurde Foto: dpa

Die militante rechtsextremistische Gruppe S 14 bekommt in der Ukraine staatliche Gelder. Das bestätigte der stellvertretende Minister für Jugend und Sport, Mykola Danevych, in einem Schreiben an die taz. Er sieht kein Fehlverhalten bei seiner Behörde. Sein Ministerium finanziere keine Organisationen. Es würden ausschließlich „Realisierungen von Projekten zivilgesellschaftlicher Organisationen gefördert.“

Weiter schreibt Danevych, das Ministerium lasse sich von „zivilisierten europäischen Prinzipien und der Verfassung der Ukraine“ leiten.

Ukrainische Medien wie Hromadske und später auch die Ukrainska Prawda hatten bereits im Juni berichtet, dass die gewaltbereiten Rechtsextremen fast 440.000 Griwna (mehr als 14.000 Euro) bei einem vom Ministerium für Jugend und Sport verantworteten Wettbewerb bekommen haben. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Nettolohn in der Ukraine beträgt etwa 210 Euro.

An dem Wettbewerb nahmen die Gruppe S 14 selbst teil, aber auch die Gruppe „Bildungsversammlung“, zu deren Gründern laut Hromadske auch Ewgenij Karas, der Anführer von S 14 zählt. S 14 behauptet unter anderem von sich, am 20. April dieses Jahres ein Roma-Lager in der ukrainischen Hauptstadt Kyiv zerstört zu haben. Außerdem haben sie Veranstaltungen von LGBT attackiert. In sozialen Netzwerken hatte S 14 auch dieses Jahr zu Maßnahmen gegen die KyivPride aufgerufen.

Hanna Hrytsenko über S 14

„Sie verüben Hasskrimininalität und sie benutzen Neonazi-Symbole“

Auf dem kurzen Video, das die Zerstörung des Roma-Lagers am 20. April dieses Jahres zeigt, sind Männer, Frauen und Kinder zu sehen, die vor teilweise maskierten Männern davonlaufen. Einer der Maskierten wirft einen Gegenstand, andere sprühen eine Substanz in Richtung der Fliehenden.

Der Angriff steht in einer Reihe von Überfällen auf Roma-Lager in der Ukraine, vor kurzem töteten Maskierte nahe der westukrainischen Stadt Lwiw einen Rom.

Bei dem Wettbewerb wählte eine Kommission, so heißt es im Schreiben des Ministeriums, „national-patriotische Erziehungsprojekte“ aus, die mit staatlichen Geldern gefördert werden. Die Ideen für diese Projekte kamen von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Die Gruppe S 14 will mit dem Geld ein Erziehungszentrum finanzieren. So steht es jedenfalls in der Auswahlliste, die das Ministerium dem Schreiben seines stellvertretenden Ministers begefügt hat.

Am 21. April hat ein Führungsmitglied von S 14 die Zerstörung des Roma-Lagers auf seinem Facebook-Account beschrieben und mit Fotos dokumentiert. Dennoch sieht der stellvertretende Minister für Jugend und Sport die Verwicklung von S 14 in den Angriff auf das Lager als nicht bewiesen an. Die taz hatte gefragt, ob man im Ministerium von diesem Angriff wusste. Danevych schreibt: „Solange die Schuld einer Person an einem Verbrechen nicht rechtmäßig bewiesen ist und sie vor Gericht keinen Schuldspruch erteilt bekommt, gilt diese Person als schuldlos und kann nicht strafrechtlich belangt werden.“

Stellvertretender Minister sitzt in Auswahlkommission

In seiner Antwort schreibt der stellvertretende Minister für Jugend und Sport außerdem, die Kommission sei unabhängig. Jegliche Einmischung in ihre Entscheidung sei daher „eine gravierende Verletzung des Menschenrechts auf freie Meinungsäußerung und öffentliche Tätigkeit.“

Tatsächlich sitzt Mykola Danevych selbst in der Kommission. Das zeigt eine Mitgliederliste. Wie Hromadske berichtet, ist er der Vorsitzende des Gremiums. Außerdem war der Abteilungsleiter für national-patriotische Erziehung im Ministerium für Jugend und Sport ebenfalls in der Kommission.

„Formal hat das Ministerium mit seiner Antwort recht“, sagt Hanna Hrytsenko, eine Soziologin aus Kyiv, die zu Rechtsextremen forscht. In der Ukraine entscheiden oft unabhängige Kommissionen über die Vergabe von Staatsgeldern, zum Beispiel auch bei der Filmförderung. „Aber das hier ist ein ethisches Problem“, sagt Hrytsenko, „das hat nichts mit der Gesetzeslage zu tun.“

Warum berichtet die "taz" erst jetzt über diese Entscheidung, obwohl ukrainische Medien den Fall schon viel früher aufgegriffen haben? Zum einen arbeiten wir, gerade bei offiziellen Dokumenten, mit ÜbersetzerInnen und das dauert manchmal etwas länger. Zum anderen haben wir die erste Mail mit drei Fragen an das Ministerium für Jugend Sport bereits am 16. Juni verschickt. Wir wurden bei telefonischen Nachfragen mehrfach vertröstet. Wir fragten am 22. Juni und am 4. Juli nochmal per Mail nach.

Zwischendurch versuchten wir auch Antworten über das ukrainische Informationsfreiheitsgesetz zu bekommen. Die Antwort auf diese Anfrage war allerdings wenig aussagekräftig, was aber auch an unserer mangelnden Erfahrung mit diesem Gesetz liegen kann.

Für Hrytsenko ist S 14 eine Neonazi-Gruppe. „Sie verüben Hasskrimininalität und sie benutzen Neonazi-Symbole“, sagt Hrytsenko. Die Zahl 14 im Namen verweise auf die 14 words, ein bekannter Neonazi-Code.

Auch Anton Shekhovtsov, der sich mit rechtsextremen Bewegungen in ganz Europa beschäftigt, sagt: „S 14 kann gegenwärtig wegen der Attacken auf Roma und Drohungen gegen die KyivPride als Neo-Nazi-Gruppe eingeordnet werden.“

Die Gruppe selbst lehnt die Bezeichnung ab. S 14 hat Hromadske dafür verklagt, sie in einem anderen Fall als Neonazis bezeichnet zu haben.

Andere Rechtsradikale bekommen ebenfalls Geld

Auch andere von Rechtsradikalen gegründete Organisationen bekamen von der Auswahlkommission Staatsgelder zugesprochen. 760.000 Griwna (knapp 25.000 Euro) gingen an die Organisation „Holosiivska Kryivka“, die laut Hromadske von Mitgliedern der rechtsradikalen Partei „Swoboda“ gegründet wurde.

Holosiivska ist der Bezirk von Kyiv in dem am 20. April das Roma-Lager zerstört wurde. Mykola Danevych war selbst einmal Teil der Bezirksverwaltung. Der Bezirk hat laut seiner Facebook-Seite im Dezember 2017 auch eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit der Polizei mit einer Miliztruppe getroffen, die von einem S 14-Mitglied angeführt wird.

Es sei im Übrigen nicht ausgeschlossen, dass rechtsradikalen Organisationen die Gelder auch wieder entzogen werden könnten, das schreibt Mykola Danevych auch. Im „Falle einer gerichtlichen Verbotsverfügung“, so der stellvertretende Minister, könne die Entscheidung der Auswahlkommission wieder rückgängig gemacht werden.

Am Dienstag durchsuchte die Polizei die Wohnung des Mannes aus dem Führungskader von S14, der auf Facebook geschrieben hatte, seine Organisation habe das Roma-Lager in Kyiv zerstört. Ob die Beamten jetzt, zweieinhalb Monate nach der Tat, noch etwas Verwertbares gefunden haben, ist noch nicht bekannt.

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