Spionagethriller „Aus nächster Distanz“: Paranoia im Safe-House

Der israelische Regisseur Eran Riklis hat sein sensibles Agentinnen-Kammerspiel „Aus nächster Distanz“ zu großen Teilen in Hamburg gedreht.

Die Informantin Mona sitzt mit ihrer Beschützerin Naomi beim Essen.

Am Anfang herrscht Misstrauen: Die libanesische Informantin Mona und ihre Beschützerin Foto: Gordon Timpen © NFP marketing & distribution

BREMEN taz | Lange galt Berlin als das Agentennest, in dem Genre-Autoren gerne ihre Spionagethriller ansiedeln. Doch die unvermeidlichen Assoziationen zum Kalten Krieg sind auch Ballast und so wird seit einigen Jahren Hamburg immer mehr zur Film-Agenten-Stadt. Nach der John-Le-Carré-Adaption „A Most Wanted Man“ siedelte auch der israelische Regisseur Eran Riklis seinen Film „Aus nächster Distanz“ in Hamburg an – vielleicht als versteckte Hommage an den Großmeister des Genres, denn Riklis sagt selbst von seinem Film, er habe einen „Hauch von Le Carré“.

Riklis hat sich mit sensiblen und oft erstaunlich poetischen Filmen über den Nahostkonflikt wie „Die syrische Braut“ und „Lemon Tree“ auf internationalen Festivals und in Programmkinos einen Namen gemacht. Mit diesem Film nun möchte er aus der Arthouse-Nische herauskommen. Ein Agententhriller hat ein viel größeres potenzielles Publikum, aber Riklis hat hier keinen Actionfilm für den Massenmarkt gedreht, sondern bleibt seinen Themen und auch seinem Stil treu.

Oft arbeitete er mit starken Frauenfiguren und so ist es nur konsequent, wenn er auch hier von zwei Protagonistinnen erzählt: Naomi ist eine Agentin des israelischen Geheimdienstes Mossad, für den wiederum Mona aus Jordanien als Informantin gearbeitet hat. Nun ist ihr die Hisbollah auf die Spur gekommen, und sie muss schnell fliehen und ihre Identität verändern. Der Mossad organisiert eine Gesichtsoperation und versteckt sie in einem sogenannten Safe-House in Hamburg, wo Naomi sie beschützen soll.

Zwei Wochen lang müssen die beiden Frauen dort untertauchen, bis die Nähte der Operation soweit verheilt sind, dass Mona mit ihrem neuen Gesicht und neuer Identität ins sichere Kanada weiterreisen kann. Bis dahin jedoch sitzt sie mit einem Gesichtsverband, der ihre Schönheit nur erahnen lässt und sie deshalb noch verletzlicher wirken lässt, in der Hamburger Wohnung, wo sie und Naomi sich langsam näherkommen.

Riklis hat keinen Film für den Massenmarkt gedreht, sondern bleibt seinen Themen und auch seinem Stil treu

In Grunde ist „Shelter“, so der Originaltitel, ein Kammerspiel. Die Innenaufnahmen wurden zwar in Bad Honnef gedreht, weil auch Fördergelder aus Nordrhein-Westfalen im Geberland ausgegeben werden mussten. Die Außenaufnahmen aber sind in Hamburg entstanden – und davon gibt es eine ganze Menge, denn Naomi sucht für die Kontaktanrufe bei ihrem Chef öffentliche Fernsprecher in der Stadt und macht bei ihren Spaziergängen dorthin kleine Stadtrundgänge.

Die feindlichen Agenten wiederum haben ihren Unterschlupf in einem Betonklotz im Stadtteil Eimsbüttel. Riklis zeigt dabei auch Details wie die „Stolpersteine“ des Künstlers Gunter Demnig. Und im Fernsehen läuft ein Film mit Romy Schneider.

In den ersten Tagen ihrer gemeinsamen Isolation belauern sich Naomi und Mona gegenseitig. Selbst aus ihren tatsächlichen Namen machen sie dabei ein Geheimnis. Aber dieses Misstrauen schwindet immer mehr, als sie glauben, dass sie beobachtet werden und befürchten, das Safe-House könnte für sie zur Falle werden. Da schaut ein Mann von der anderen Straßenseite in die Fenster oder ein junger Mann klingelt an der Tür, weil er angeblich eine Wohnung im gleichen Haus mieten will. Der Besitzer des Kiosks an der Ecke wiederum sieht orientalisch aus und blickt Naomi auffällig lange hinterher.

Existentielles Schwindelgefühl

Die zunehmende Paranoia der beiden Frauen ist es, die Riklis am meisten interessiert. Um sie spürbar zu machen, greift er in die filmische Trickkiste: Ein Überfall auf die Wohnung, bei dem alle Verdächtigen eine Rolle spielen, entpuppt sich allerdings allzu vorhersehbar als Angsttraum. Subtiler ist da schon die 360-Grad-Kreisbewegung um Naomi auf der Straße, die deren existenzielles Schwindelgefühl ausdrücken soll und vom Kameramann Sebastian Edschmid bei Michael Ballhaus abgekupfert wurde, der sie für „Martha“ von Fassbinder erfand.

Dass die Dialoge zwischen Naomi und Mona dabei immer interessant bleiben, obwohl sich hier nicht etwa langsam ein labyrinthisches Intrigenspiel im Stil eben von Le Carré offenbart, liegt eher an den beiden Darstellerinnen als an einem besonders raffinierten Drehbuch. Die israelische Schauspielerin Neta Riskin spielt Naomi als eine Agentin mit Zweifeln, die daran glaubt, dass Vereinbarungen auch gehalten werden müssen. Auch mit einer Pistole in der Hand wirkt sie nie wie ein Genre-Klischee, sondern wie eine komplexe Filmfigur voller Widersprüche.

"Aus nächster Distanz". Regie: Eran Riklis. Mit Neta Riskin, Golshifteh Farahani, Doraid Liddawi u.a. Deutschland, Israel, Frankreich 2018, 93 Min.

Golshifteh Farahani gibt dagegen sehr überzeugend die tragische Schönheit, die schwer an der Last ihres Verrats trägt und es fast als gerecht zu empfinden scheint, dass sie getötet werden soll. Die iranische Schauspielerin arbeitet gerade sehr erfolgreich an einer internationalen Karriere und war im letzten Jahr in dem Hollywood-Blockbuster „Fluch der Karibik: Salazars Rache“ als Seehexe Shansa zu sehen.

An den für einen Thriller unvermeidlichen Action-Szenen ist Riklis übrigens nicht interessiert, denn er ist nun mal kein Genre-Regisseur. Dramaturgisch arbeitet er mit einem großen Spannungsbogen, dem eine befriedigende Auflösung fehlt – mit „Aus nächster Distanz“ hat sich Riklis deshalb ein wenig zwischen die Stühle gesetzt. Für jene, die seine anderen Filme mochten, dürfte dieser zu einfach gestrickt sein. Und für jene, die Thriller mögen, passiert zu wenig. Höhepunkt ist nicht der Showdown, sondern eine Szene, in der die beiden Frauen sich zusammen vor einem Spiegel schminken. So etwas würde John Le Carré nicht einfallen.

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