boulevard der besten
: Jürgen Gottschlich

Foto: taz

Es gibt sie noch, die echten Überzeugungstäter. So einer ist Jürgen Gottschlich. Seit fast 20 Jahren berichtet der 63-Jährige für die taz aus der Türkei. Auch als im Juli 2016 Gegner des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan den Aufstand probten, war er vor Ort. „Damals dachte ich nur, das kann nicht sein. Ich habe das zuerst nicht glauben können. Und es war überhaupt nicht abzusehen, was sich daraus entwickeln würde“, sagt Gottschlich.

Das wusste der Mann aus dem Ruhrpott wohl auch 1979 nicht, als er sein Studium der Philosophie und Publizistik in Berlin Studium sein ließ und sich eher den praktischen Dingen des Lebens zuwandte – will heißen die taz mitbegründete.

In den folgenden Jahren ließ er nichts aus und rotierte, nach ersten Gehversuchen in der Sozialredaktion, geschmeidig durch alle nacheinander entstehenden Ressorts. Anfang der 90er Jahre landete er schließlich in der kommissarischen Leitung der taz – ein Experiment, das wegen interner Streitigkeiten 1994 abrupt endete. Nach einem kurzen Intermezzo als taz-Autor ging Gottschlich fremd und zwar bei der Wochenpost, deren stellvertretender Chefredakteur er wurde.

1996 holte ihn die taz als Autor zurück, bevor sich Gottschlich dann Ende 1998 nach Istanbul aufmachte. Da war er bereits vorbelastet, hatte er doch schon 1979 seine ersten Schnupperstudien dort absolviert und interessante Beobachtungen gemacht. „Das Veränderungspotenzial in der Türkei war immer viel größer als in Deutschland“, sagt Gottschlich. Einer der Höhepunkte war für ihn die Gezi-Bewegung, das heißt mitzuerleben, wie sich Widerstand über alle Grenzen hinweg formiert.

Seit fast 20 Jahren berichtet er für die taz aus der Türkei. Auch als 2016 Gegner Erdoğans den Aufstand probten

Davon ist jetzt, wo sich Erdoğan anschickt, sein autokratisches Regime zu zementieren, nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil: Die Repressionen gegen Kritiker und Andersdenkende veranlassten Gottschlich, mit seiner Frau Dilek für mehrere Monate ins Exil nach Rhodos zu gehen. Jetzt pendeln die beiden – auch eine Erfahrung, die Gottschlich nicht gebraucht hätte. Was er braucht, sind Lammkoteletts (Pirzola) und ein guter Fisch aus dem Bosporus. Das alles wird mit einem kühlen Efes heruntergespült. Und dann sieht die Welt gleich etwas freundlicher aus. Barbara Oertel