Ausstellung Dokumentarfotografie: Verantwortungsvolle Fotos

Das Museum für Photographie in Braunschweig zeigt preisgekrönte Dokumentar-Fotografie, die das Genre sehr weitläufig auslegt.

Vier Vertragsarbeiter aus Mozambique, die in der Zeit nach 1979 in der DDR gearbeitet haben.

Malte Wandel legt in seiner Arbeit ein Archiv der Vertragsarbeiterinnen der DDR an Foto: Malte Wandel

BRAUNSCHWEIG taz | Ein Klassiker im Programm des Braunschweiger Museums für Photographie ist alle zwei Jahre die Ausstellung zu dem renommierten Förderpreis Dokumentarfotografie der Wüstenrot-Stiftung. Seit 1994 in Zusammenarbeit mit der Fotografischen Sammlung des Museums Folkwang Essen ausgeschrieben, können sich AbsolventInnen deutscher Hochschulen bewerben. Vier von ihnen werden mit einer Projektförderung prämiert, sie dürfen dann ein selbst gewähltes Thema in Angriff oder eine begonnene, aufwendige Arbeit vollenden.

Die Ergebnisse werden zu einer Wanderausstellung mit Katalog zusammengestellt, derzeit touren die Preisträger der 11. Auslobung von 2015. Seit Ende 2017 arbeiten aber bereits die nächsten vier an ihren Projekten. Unter ihnen: die Südkoreanerin Jiwon Kim, sie konnte mit ihrer poetischen Abschlussarbeit an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig in der 12. Jurierung punkten.

So vielfältig wie die Teilnehmerschar ist mittlerweile auch ihre Auslegung des Begriffs „Dokumentarfotografie“. Denn wer bei diesem Genre an Heroen wie Walker Evans oder Dorothea Lange denkt, die nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 in staatlichem Auftrag die ärmlichen Lebensverhältnisse in den ländlichen Regionen der US-Südstaaten aufzeichneten – im Falle Evans mit nahezu unmenschlich innerer Distanz –, muss seine Vorstellung erweitern. Das betrifft nicht nur einen sich stärker subjektiv ermächtigenden und künstlerischen Bildzugriff der jungen Generation, sondern auch ihre Techniken.

Seit dem letzten Förderpreis-Durchgang etwa zählt die Präsentation als audiovisuelle Installation zum Repertoire. In diesem kommen die großformatige „Tapete“ und das filmische Bewegtbild hinzu. Und: im Nachhinein stellte sich erstmals ein verbindendes Thema für die vier Ansätze heraus. „The Voids“, also Lücken oder Leerstellen bestimmten die Sichtweisen der in den 1980er Jahren geborenen BildautorInnen.

Die Fotografie hat angesichts verbreiteter Fake-News auch eine immens aufklärerische Bedeutung und Verantwortung

Am sinnfälligsten zeigt sich dieses Phänomen in dem 2-Kanal-Video „We can“ von Alina Schmuch, zusammen mit Franca Scholz. Wer Angela Merkels freie Transformation des Barack Obama-Slogans zu „Wir schaffen das“ assoziiert, liegt inhaltlich schon mal richtig.

Die Arbeit zeigt HelferInnen, HandwerkerInnen und Orte, die sich 2015 auf die Ankunft von Flüchtlingen einstellen. Diese sieht man dann aber während der gesamten 16-minütigen Dauer der Projektionen kein einziges Mal, allenfalls ist eine physische Existenz mittels Kameraschwenk über 1.000 drangvoll belegte Boxen im Hangar Tempelhof spürbar. Die Menschen sind dabei also vor allem abwesende Subjekte der Fürsorge und Auseinandersetzung – bis hin zum fremdenfeindlichen Pegida-Aufmarsch in Dresden.

Per Slide-Show durch den Kosovo

Die Schweizerin Susanne Hefti, Absolventin der Folkwang Uni Essen, fuhr für ihre zweiteilige Slide-Show durch den Kosovo. Das kleine Land mit nicht einmal zwei Millionen Einwohnern kann ein Netz nagelneuer Autostraßen eines amerikanisch-türkischen Investors aufweisen, als „Highway to the Future“ von ihm beworben. Daran reihen sich sagenhafte 1.500 Tankstellen. Sie firmieren unter fantasievollen Mineralölnamen: „Exfis“, „Ilirian“, „Alb-“ oder „Sophia-Petrol“, „Beki-“ oder „Bingo-Benz“.

Sie machen in der Regel einen gepflegten Eindruck, mit kleinen Grünflächen und Blumenrabatten. Auffällig: meist ist kein Benzinpreis ausgewiesen, selten sieht man ein tankendes Auto. Dafür häufig ein Motel nebenan: Orte der Prostitution, Geldwäsche, des Menschenhandels, der organisierten Kriminalität eines „Human Trafficking“. In ihrer begleitenden Tonspur erzählt Hefti von Anmachen kosovarischer Männer auf diesen Straßen, versucht, ihnen romantische Aspekte abzugewinnen.

Isolierte „Madgermanes“

Malte Wandel aus München hat ein komplettes Archiv aus Fotos und persönlichen Dokumenten zu sogenannten VertragsarbeiterInnen angelegt, die ab 1979 aus dem sozialistischen Bruderstaat Mozambique in die DDR kamen. Über die Jahre waren es 16.000 der in ihrer Heimat als „Madgermanes“ Bezeichneten, sie lebten bis zur Wiedervereinigung isoliert und kaum öffentlich wahrgenommen in Berlin, Halle oder Dornburg an der Saale. Um die Hälfte ihres Lohnes betrogen, der, statt in Mozambique angespart, Staatsschulden tilgte, verbindet sie seit ihrer Rückkehr ein hoher Organisierungsgrad beim Eintreiben ihrer Außenstände, die Erinnerung – und die Tristesse der Arbeitslosigkeit.

Eine dokumentaristische Auslegung des Porträts steuert Andrzej Steinbach bei. Der gebürtige Pole folgt einer These des Soziologen Ulrich Bröckling, dass eine Gemeinschaft dreier Personen bedarf, um als solche zu funktionieren. Wie schon in einer vorherigen Arbeit, dem 2015 im Sprengel Museum Hannover ausgestellten Projekt „Figur I, Figur II“, lässt er nun drei markante Protagonistinnen in einer ausgeklügelten Choreografie in unterschiedliche Business- und Streetwear schlüpfen, will so die Ambiguität von persönlicher Aura und äußeren Attributen vorführen.

„Dokumentarfotografie Förderpreis 11 – The Voids“: bis 16. September, Braunschweig, Museum für Photographie. Umfangreiches Begleitprogramm unter www.photomuseum.de; der 79-seitige Katalog ist kostenfrei über die Wüstenrot-Stiftung erhältlich

Das erinnert an den großen Porträtisten August Sander, der in den 1920er Jahren allerdings noch daran glaubte, dass der Habitus eines Menschen von seinem gesellschaftlichen Status zeugt. Steinbach arbeitet mit dem wohl offensten System der vier Ausstellenden, seine, wenngleich eindringliche, fotografische Perfektion legt keine Deutungserschließung mehr nahe.

Gleichwohl wünschte man sich die neuerliche Engführung des Begriffs „Dokumentarfotografie“. Sie ist laut Museumsleiterin Barbara Hofmann-Johnson sowohl ein Genre, als auch eine gesellschaftsorientierte Bildsprache, eine fotografische Haltung. Und der käme angesichts massenmedial verbreiteter Fake-News eigentlich eine immens aufklärerische Bedeutung, vor allem: Verantwortung zu.

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