Filmkunstprojekt „Dau“ in Mitte: Diktatur als Performance

Für ein umstrittenes Kunstprojekt soll in Mitte die Mauer wieder aufgebaut werden. Scheitern könnte das an der deutschen Bürokratie.

St-Hedwigskathedrale mit Zaun im Vordergrund, Leute sind angelehnt an den Zaun

Blick von Unter den Linden auf die St. Hedwigs-Kathedrale – bald von einer Mauer versperrt? Foto: dpa

Abgetrennt durch eine fast drei Kilometer lange Betonmauer, aufgestellt in einem der prominentesten Teile der Stadt, soll in Mitte für einen Monat die Replik eines totalitären Staates entstehen – zumindest, wenn es nach dem russischen Regisseur Ilya Khrzhanovsky geht.

Vom 12. Oktober bis zum 9. November soll das Areal um die St. Hedwigs-Kathedrale und das Kronprinzenpalais Teil des ebenso geheimnisumwobenen wie monumentalen Filmkunstprojekts „Dau“ werden. „Dau“ war der Spitzname des sowjetischen Physikers und Nobelpreisträgers Lew Landau (1908–1968), dessen Leben Khrzhanovsky verfilmte.

Für die 2008 bis 2011 andauernden Dreharbeiten ließ der Regisseur im ukrainischen Charkiw eine Kunststadt nach dem Vorbild eines sowjetischen Forschungsinstituts der 50er Jahre nachbauen. 400 Freiwillige lebten und wohnten darin dauerhaft und wurden permanent gefilmt. Sie verschmolzen allmählich mit ihren Rollen, stritten und verliebten sich. Berichten zufolge wurden während der Dreharbeiten mindesten 14 Kinder gezeugt.

Aus dem Projekt entstanden bisher über 700 Stunden Filmmaterial, 13 Spielfilme und mehrere Serien. Die sollen nun in Berlin Premiere feiern. Die hiesige Kunstaktion ist dabei nur Auftakt einer europaweiten Reihe von Veranstaltungen, die in Paris und London fortgeführt werden sollen.

Geplant sind neben den Filmvorführungen Theater, Performances und Konzerte. Konkrete Details über das Programm oder die Rolle, die dabei die Mauer spielt, sind bisher nur schwer zu erfahren. Alle Beteiligten geben sich verschwiegen. Dazu gehören übrigens auch Tom Tykwer mit seiner Produktionsfirma X Filme sowie das Medienboard Berlin-Brandenburg, das das Projekt fördert.

Stalinistische Enklave

Die veranstaltenden Berliner Festspiele verweisen auf Nachfrage auf ihre Presseerklärung, in der von einer „Stadt in der Stadt“ die Rede ist, „die ein Leben nach anderen Regeln zeigt und erfahrbar macht“.

Denkbar ist, das in der Enklave ein stalinistisch-autoritärer Staat simuliert werden soll, inklusive Passkontrollen, Überwachung, eigener Währung und Schikanen. Das legen Informationen nahe, die über den gescheiterten ersten Umsetzungsversuch des Projektes bekannt sind. Vergangenes Jahr wollte die Berliner Volksbühne die DAU-Mauer um den Rosa-Luxemburg-Platz herum errichten, scheiterte aber an behördlichen Schwierigkeiten.

Auch diesmal droht die Bürokratie Khrzhanovsky einen Strich durch die Rechnung zu machen. Denn die Hürden für ein solches Mega-Projekt sind enorm. Anwohner müssen befragt, Baugenehmigungen eingeholt, Brandschutzkonzepte entwickelt und Verkehrsbehinderungen überprüft werden.

Die entsprechenden Anträge wurden beim Bezirk Mitte erst Ende Juli gestellt, für ein Projekt dieser Größenordnung viel zu spät. Nach Informationen der taz rechnet der Bezirk deshalb nicht mit einer erfolgreichen Prüfung des Antrages.

Am 30. August soll es mehr Klarheit geben, bis dahin will der Bezirk „die dringendsten Fragen zur Durchführung und mögliche Problemstellungen identifizieren.“

Opferverbände sehen die Kunstaktion kritisch

Opferverbände sehen die Kunstaktion ohnehin kritisch: „Das hat einen zu hohen Event-Charakter“, kritisiert etwa Christian Sachse von der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), „die Machtmechanismen waren viel subtiler.“

Deshalb werde der Lerneffekt eher gering ausfallen, statt dessen würden die Gefühle der tatsächlichen Maueropfer verletzt. Koste der Eintritt, wie vom RBB berichtet, tatsächlich 15 bis 45 Euro, könnten sich diese die Veranstaltung aber ohnehin nicht leisten, so Sachse.

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