Comicautor aus Spanien: „Ich vermied alles Liebliche“

Korruption und Mord: Der spanische Comicautor Miguelanxo Prado über seinen sozialkritischen Graphic-Novel-Thriller „Leichte Beute“.

Ein Ausschnitt aus einem Comic: Fünf Personen sind zu sehen, eine weitere liegt im Vordergrund auf dem Waldboden, anscheinend tot. Die Mitarbeiter begrüßen die Kommisarin.

Aus der neuen Graphic Novel „Leichte Beute“ von Miguelanxo Prado Illustration: Carlsen Verlag

Die meisten Werke des 1958 geborenen spanischen Comiczeichners Miguelanxo Prado zeichnen sich durch pralle Farbigkeit aus. Vor allem „Ardalén“, seine preisgekrönte Graphic Novel von 2013, wies ihn als vollendeten Zeichner aus, der Stimmungen und komplexe Charaktere auf feine Weise zu visualisieren versteht.

Seine neueste Graphic Novel „Leichte Beute“ ist wie gewohnt großartig gezeichnet, jedoch visuell deutlich spröder, vor allem wegen der schwarz-weißen Bleistiftzeichnungen, die die Geschichte in ein stumpfes Grau tauchen.

Surreale Traumbilder sucht man vergebens, es überwiegt ein eher nüchterner Realismus, der dem Genre entspricht, dem sich Prado diesmal widmet: dem Krimi. Doch Prado wäre nicht der gewitzte Erzähler, als den wir ihn kennen, wenn er nicht auch dieses Genre subtil unterwandern würde. Schon in seinem wichtigen Frühwerk, der Sammlung satirischer Kurzcomics „Der tägliche Wahn“, lag der Weg vom Alltag in den Abgrund ganz nahe beieinander.

Die jetzige Story: Im Jahr 2014 werden mehrere Bankmanager kurz hintereinander tot aufgefunden. Alles Unfälle? Die abgebrühte Kommissarin Tabares und ihr forscher Assistent Sotillo kommen schnell dahinter, dass es eine Verbindung zwischen den Toten und der nationalen Finanzkrise gibt.

Ein weiteres Indiz: In der Nähe mehrerer Tatorte hielten sich ältere Leute auf. Tabares und Sotillo kommen auf die Spur sogenannter Genussscheine, unsicherer Wertpapiere, die Banken älteren Kunden andrehten, die dadurch ihr gesamtes Erspartes verloren.

Miguelanxo Prado konstruiert eine schwarze Satire auf die spanische Finanzkrise, indem er erst die mühselige Polizeiarbeit skizziert, um sich dann ganz auf die nuancierte Charakterzeichnung der Beteiligten zu konzentrieren.

taz: Herr Prado, im Gegensatz zu früheren farbigen Graphic Novels wie „Ardalén“ ist „Leichte Beute“ deutlich realistischer und in Schwarz-Weiß gezeichnet.

Miguelanxo Prado: Nachdem ich das Szenario zur neuen Geschichte fertig hatte, wurde mir bewusst, dass man sie nicht in Farbe erzählen konnte. Deshalb vermied ich alles Liebliche, allzu spektakuläre Perspektiven, und auch die Kommissarin sollte nicht allzu attraktiv werden. Der Leser sollte die ganze Zeit auf die Story fokussiert sein. Die Graphic Novel sollte einen dokumentarischen Charakter haben, denn sie spiegelt die Tragödie vieler Menschen wider.

Zu Beginn des Buchs steht der Selbstmord eines alten Ehepaars, dem eine Zwangsräumung drohte. Den Hintergrund bildet die spanische Wirtschaftskrise.

Rund zehn Jahre habe ich zwei inhaltlich verwandten Projekten, dem Trickfilm „De Profundis“ und der Graphic Novel „Ardalén“, gewidmet, die sich mit Nostalgie, Erinnerung und Vergangenheit beschäftigten. Dann wollte ich etwas vollkommen anderes machen. Ein Thriller reizte mich. Da las ich von dem Selbstmord des Rentner­ehepaars und war fassungslos, wie so etwas heute passieren konnte. Ich begann mit der Recherche über diesen Fall, der in Spanien einer der ersten und zugleich aufsehenerregendsten war, die im Zusammenhang mit der Finanzkrise standen.

Es wurden immer mehr Fälle bekannt von Menschen, die all ihr Gespartes verloren. In Spanien war das Besondere, dass wir drei Krisen gleichzeitig hatten: die allgemeine ökonomische Krise in Europa, die geplatzte Immobilienblase und die spanische Bankenkrise, die mit den amerikanischen Krisenbanken zusammenhing. Unsere Banken benötigten dringend Geld für den Stresstest und gingen so einen Deal mit Immobiliengesellschaften ein.

Sie gaukelten alten Leuten vor, es sei eine sichere Anlage, ihr Geld in Genussscheine zu investieren. In Wirklichkeit waren das Hochrisikogeschäfte. Später kamen diese Geschäfte vor Gericht; die betrogenen Anleger bekamen recht und konnten ihr Geld zurückfordern. Doch aufgrund des hohen Alters dieser Betroffenen waren schon viele verstorben, was eine zusätzliche Tragik bedeutete.

Sie haben intensiv recherchiert, einen Kriminalkommissar als Berater gehabt, rund zwei Jahre an dem Buch gearbeitet.

Diese Zeit war sehr bedrückend. Bei früheren Arbeiten konnte ich meinen jeweiligen Stoff, auch wenn er traurig war, durch einen Spaziergang vergessen. Doch während dieser Arbeit war es unmöglich, das Thema war noch hochaktuell, und jedermann im Supermarkt erzählte von ähnlichen Erfahrungen in der Verwandtschaft oder in seinem Umfeld.

Zwei Jahre hat mich das Thema beschäftigt, mir aber auch gezeigt, dass es die Menschen weiterhin berührte. Auch Leser aus anderen Ländern, in denen das Buch bisher veröffentlicht wurde (Frankreich, Belgien, Portugal und Spanien) bestätigten meine Geschichte. Das zeigt: Eine Graphic Novel kann, genau wie ein Film oder ein Roman, gesellschaftliche Missstände aufzeigen.

Sie haben daraus einen intelligenten Rachekrimi gemacht. Wie ist die Situation heute in Spanien? Hat sich die Lage normalisiert?

Als die Gerichtsprozesse abgeschlossen waren und die Banken das Geld zurückzahlen mussten, konnten die so­zia­len Spannungen dadurch unter Kontrolle gebracht werden. Ich denke, all diese speziellen wirtschaftlichen Probleme in Europa sind Symptome eines allgemeineren Problems. Meiner Meinung nach stammt unser Konzept von Europa noch aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Heute haben wir neue Probleme unter veränderten Bedingungen: dem globalen Wirtschaftsmarkt, der immensen Kraft großer Finanzunternehmen et cetera.

Wir reagieren mit Korrekturen, aber immer nur partiell. Wir müssen einen neuen Gesellschaftsvertrag erarbeiten. Gegenläufige, antieuropäi­sche Entwicklungen kommen aus Russland, aber auch von der Lega Nord in Italien oder dem katalanischen Separatismus. Wir brauchen globale Lösungen. Die Krise ist zwar überstanden, aber die Probleme werden nicht gelöst. Es ist eine Überlebensfrage, auch für die EU. Um mitzuhalten mit den großen Konkurrenten China oder Russland, muss die EU, deren stärkste Wirtschaftskraft Deutschland hat, einen neuen Weg finden, der die Gesellschaft mitnimmt.

Ist die spanische Gesellschaft sehr gespalten, in Arm und Reich?

Ja. Die Anzahl wohlhabender Bürger ist während der Krise sogar gestiegen. Und auf der anderen Seite gibt es die Menschen, deren Einkommen bei 8 bis 12 Stunden Arbeit am Tag nicht zum Leben ausreichen. In Spanien finden die am besten ausgebildeten jungen Leute keine Arbeit. Sie gehen ins Ausland, arbeiten etwa in China oder in den Emiraten.

Seit 21 Jahren findet das Comicfestival, das Sie auch gegründet haben, im August in La Coruña statt. Wie schätzen Sie die spanische und die europäische Comicszene heute ein?

In Spanien gab es ein großes Sterben der Comic­magazine. Dann ergaben sich zwar neue Möglichkeiten durch den Graphic-Novel-Boom, aber die Auflagen für junge, unbekannte Zeichner wurden kleiner. In Deutschland sehe ich die Entwicklung positiver: Es scheint sich eine richtige Szene zu entwickeln mit ganz unterschiedlichen Handschriften. Ich sehe eine Aufbruchsstimmung bei den deutschen Zeichnern. Wobei der Markt für Comics deutlich kleiner ist als in Frankreich, Italien oder Spanien. Insgesamt sehe ich heute in Europa trotz der Schwierigkeiten ein goldenes Zeitalter für junge, arrivierte Zeichner, mit sehr verschiedenen Stilen und Themen, die nahe an der Realität sind. Gerade im Vergleich zu japanischen Mangas und US-Superheldencomics haben wir diese Qualität der Vielfalt, die sich dauerhaft halten müsste. Es gibt so viele junge Leute, die dafür Interesse zeigen.

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