Sammelabschiebung nach Afghanistan: Brandenburgs Kehrtwende

Die rot-rote Regierung will drei Afghanen abschieben. Der Flieger soll Dienstagabend abheben. Dagegen gibt es Protest – und Klagen.

Schild "Afghanistan ist nicht sicher" vor Fluganzeige

Protest gegen Abschiebungen nach Afghanistan Foto: dpa

BERLIN taz | Um 21.15 Uhr soll die Maschine vom Münchener Flughafen starten. Das Ziel des Abschiebefluges am Dienstagabend ist die afghanische Hauptstadt Kabul. Wie viele abgelehnte afghanische Asylbewerber darin sitzen werden ist noch nicht bekannt. Zudem sind viele Fälle bis zur letzten Minute umkämpft, wie Agnes Andrae vom bayerischen Flüchtlingsrat sagt. Anwälte versuchen die Abschiebung ihrer Mandanten zu stoppen, außerdem engagieren sich Unterstützer, Ärzte oder ehemalige Arbeitgeber. Am Abend soll zudem eine Demo durch München ziehen.

Für drei Betroffene aus Brandenburg – aus Cottbus, Forst und dem Landkreis Oberhavel –, versucht sich die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (Linke) einzusetzen. Sie ist in München vor Ort, um das Geschehen zu beobachten, wie sie der taz sagt. „Zwei der drei Fälle halte ich für rechtswidrig“, so die asylpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Die beiden Männer wurden erst am Montag und Dienstagmorgen in Haft genommen. Sie sind weder straffällig geworden, noch als Gefährder eingestuft, einer sei zudem suizidgefährdet.

Laut der Berliner Anwältin Myrsini Laaser, die die drei Afghanen vertritt, habe der am Montag Inhaftierte noch nicht einmal ein abgeschlossenes Asylverfahren. Er sei vor der Taliban geflohen und psychisch labil. Das Verfahren des zweiten Mandanten sei aufgrund eines nicht zugestellten Gerichtsurteils ebenfalls nicht abgeschlossen. Gegen die Abschiebungen hat sie Eilanträge am Verwaltungsgericht Cottbus gestellt. „Ich halte die für nicht ablehnbar“, so Laaser zur taz.

Ein dritter Afghane, ebenfalls suizidgefährdet, saß schon eine Weile im Abschiebegefängnis in Hannover. Als verurteilter Straftäter sei die rechtliche Situation bei ihm deutlich schwieriger. Auch gegen seine Abschiebung läuft ein Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Potsdam.

Zuständigkeit liegt in Brandenburg

Johlige sagte in Richtung der Brandenburger Landesregierung aus SPD und Linken und des sozialdemokratischen Innenministers Karl-Heinz Schröter: „Ich erwarte von dieser Regierung, dass sie sich nicht an Abschiebungen nach Afghanistan beteiligt.“ Die einzige Abschiebung aus Brandenburg nach Afghanistan fand im März 2017 statt. Auch damals traf es einen gut integrierten Mann, der seinen Lebensunterhalt selbst bestritt und eine eigene Wohnung hatte.

Das Innenministerium bestätigte auf Anfrage die geplanten Abschiebungen und teilte mit: „Die Zuständigkeit für Rückführungen liegt in Brandenburg bei den örtlichen Ausländerbehörden.“ Diese „orientieren sich bei Abschiebungen nach Afghanistan grundlegend an den Lageberichten des Auswärtigen Amtes (…) sowie der politische Meinungsbildung im Land Brandenburg selbst.“

Auf Bundesebene wurden im Juni Einschränkungen bei der Rückführung nach Afghanistan aufgehoben. Seit einem Anschlag auf das deutsche Botschaftsgebäude in Kabul im Mai 2017 beschränkten sich die Abschiebungen auf Straftäter, Gefährder und Menschen, die sich weigern, bei ihrer Identitätsfeststellung mitzuwirken.

„Dass Brandenburg diese Einschränkung nicht aufrecht erhält und nun erstmals wieder nach Afghanistan abschiebt, ist ein Schock nicht nur für uns, sondern für alle AfghanInnen, die seit Jahren in Brandenburg leben“, sagt Lotta Schwedler vom Brandenburger Flüchtlingsrat der taz. „Hier scheint eine Kehrtwende zu passieren“, so Schwedler.

Weiter sagte sie: „Sollten die gesundheitlich schwer angeschlagenen jungen Männer abgeschoben werden, wäre das rechtswidrig und ein Zeichen für die moralische Verrohung der Brandenburger Landesregierung in Sachen Abschiebepolitik.“

„Eine Eskalation“

Auch die oppositionellen Grünen sprechen von einer „Kehrtwende“ der brandenburgischen Asylpolitik. Der Vorsitzende der Landtagsfraktion Axel Vogel sagte: „Das geplante Vorgehen der Behörden stellt eine Eskalation im Umgang mit afghanischen Geflüchteten dar, welche man allenfalls in Bayern vermuten würde, aber niemals dem Innenminister einer rot-roten Landesregierung in Brandenburg zugetraut hätte.“

Im Juli sollen sich die kommunalen Ausländerbehörden und die Zentrale Ausländerbehörde bei einem Treffen darauf geeinigt haben, die Einschränkungen aufzuheben. Johlige bezeichnete dies als „Affront gegen den Landtag“. Dieser hatte im März 2017 beschlossen, dass die „Ausländerbehörden im Rahmen einer sorgfältigen Einzelfallprüfung die Ermessensspielräume der gesetzlichen Regelungen des Aufenthaltsrechts“ nutzen sollten. Ein genereller Abschiebestopp wurde damals jedoch abgelehnt.

Innenminister Schröter hatte in der letzten Sitzung des Innenausschusses am 21. Juni angekündigt, dass das Land bei der Passersatzbeschaffung, bei der Begleitung der Abschiebungen und auch bei der Buchung von Fliegern unterstützen wolle.

Die geplante Sammelabschiebung am Dienstagabend ist die insgesamt 15. in das bürgerkriegsgebeutelte Land. Seit Dezember 2016 wurden mehr als 300 Menschen nach Kabul ausgeflogen. Zuletzt machte der 13. Abschiebeflug überregional Schlagzeilen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte sich danach gefreut, dass ausgerechnet zu seinem 69. Geburtstag 69 Menschen abgeschoben worden seien. Einer von ihnen nahm sich kurz nach der Ankunft das Leben.

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