Bremen beschließt Bleiberecht: Opfer rechter Gewalt dürfen bleiben

Angesichts von Pogromstimmung und rechter Gewalt beschließt Bremen, Betroffenen Schutz zu gewähren und plädiert für ein bundesweite Regelung.

Ein Pappaufsteller von einem Neonazi, auf dem steht: Rechte Gewalt kann jeden treffen

Am häufigsten trifft sie jedoch Schutzsuchende, die oft einen prekären Aufenthaltsstatus haben Foto: dpa

BREMEN taz | Mit den Schlägen einer Eisenkette brachten drei Männer einen 20-jährigen Syrer zu Boden und traten auf ihn ein. Davor hatten sie ihn rassistisch beschimpft und ihm mehrfach ins Gesicht geschlagen. Die drei Tatverdächtigen lauerten dem Syrer auf seinem Heimweg am Mittwochabend in Wismar auf. Laut Pressemitteilung der Polizei Rostock erlitt der Mann einen Nasenbeinbruch, Prellungen und musste ins Krankenhaus. Der Staatsschutz ermittelt, weil laut Polizei ein „ausländerfeindlicher Hintergrund“ nicht ausgeschlossen werden könne. Am Donnerstag wurden ein Tatverdächtiger festgenommen.

Eine rechte Gewalttat, die in der Statistik auftauchen wird. 2017 waren es 1.054 rechte Gewalttaten bundesweit, die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Trotz dem dringenden Bedarf an psychologischer Betreuung, sind viele Opfer rechter Gewalt in Deutschland von Abschiebungen bedroht. Angesichts anhaltend hoher rechter Gewalt und unter dem Eindruck der rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz stimmte die Bürgerschaft in Bremen am Mittwoch dafür, das zu ändern.

Mit den Stimmen der Grünen, der SPD und der Linken wurde ein gemeinsamer Antrag angenommen, der ein „humanitäres Bleiberecht für Opfer rechtsextremistischer und rassistischer Gewalt“ vorsieht. Es ist das erste norddeutsche Bundesland, das sich für eine solche Regelung ausspricht.

Künftig sollen die Ausländerbehörden in Bremen und Bremerhaven frühzeitig über Ermittlungen in Fällen rechter Gewalt und rassistischer Straftaten informiert werden. Bei Betroffenen sollen sie vollumfänglichen Gebrauch machen von den bestehenden Möglichkeiten der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen und Duldungen für die Opfer.

Aufenthaltsgesetz „großzügig“ auslegen

Möglich ist das auf Grundlage einer „großzügigen Anwendung“ des Aufenthaltsgesetzes, wie es in dem Antrag heißt. Es gebe zwar keine spezielle Regelung im Aufenthaltsgesetz, Opfern rechter Gewalt ein Aufenthaltsrecht zu vermitteln, Brandenburg, Berlin und Thüringen weisen ihre Behörden allerdings an, in solchen Fällen das Recht großzügiger auszulegen und sprechen eine Duldung oder ein Bleiberecht aus humanitären Gründen aus. Geprüft werden soll auch die Möglichkeit, eine Aufenthaltserlaubnis im Härtefallverfahren zu erlangen.

Damit will Bremen möglicherweise über die Regelung in Thüringen hinausgehen, wo es derzeit möglich ist, per Duldung den Aufenthalt von Betroffenen um sechs Monate zu verlängern. Björn Fecker, innenpolitischer Sprecher der Grünen, sagte: „Für uns ist die Duldung das mindeste, aber auch ein gesicherter Aufenthaltsstatus wäre wünschenswert.“

Rechte Gewalttaten 2017 (absoluten Zahlen und pro 100.000 Einwohner):

Mecklenburg-Vorpommern: 84/5,21

Schleswig-Holstein: 47/1,63

Niedersachsen: 42/0,53

Hamburg: 15/0,83

Bremen: 4/0,59

Deutschland: 1.054/1,27

(Quelle: BKA)

Wie der Erlass genau aussehen werde, sei noch unklar und müsse zusammen mit der Innenbehörde erarbeitet werden. Ansonsten orientiere man sich an dem Erlass aus Thüringen, wo es ein solches Bleiberecht bereits gibt. Dort gilt es für Menschen, denen eine Abschiebung droht, bei besonders schweren Straftaten wie Landfriedensbruch, Sexualstraftaten, Körperverletzungen – wenn es Anhaltspunkte für einen rassistischen Hintergrund gibt.

Bremen spricht sich in dem angenommenen Antrag auch für eine einheitliche bundesweite Regelung aus und schließt sich der bereits bestehenden Bundesratsinitiative besagter Länder an. In den meisten Bundesländern fehle eine derartige Weisungslage, deswegen will sich nun auch Bremen für eine Änderung des § 25, Abs. 4a, des Aufenthaltsrechts einsetzen, sodass Opfer rassistischer Gewaltstraftaten den Opfern von Menschenhandel, Zwangsprostitution und Ausbeutung gleichgestellt würden, die schon einen besonderen Schutzstatus haben.

CDU und FDP sehen keinen Handlungsbedarf

In der Landtagsdebatte vom Mittwoch unterstrich Björn Fecker diese Ambitionen angesichts der Bilder aus Sachsen: „Es ist es sehr deutlich, dass Landesregierungen unterschiedliche Schwerpunkte und Herangehensweisen im Umgang mit rechtsextremer Gewalt haben – von klarer Benennung bis hin zu Verharmlosung.“ Auch deshalb bräuchte es eine bundeseinheitliche Regelung.

Auch Sükrü Senkal von der SPD sprach sich dafür aus: „Der Staat darf nicht den Eindruck erwecken, er mache da weiter, wo die Täter aufhörten“, so Senkal. Gerichtsprozesse gegen Rechte scheiterten nicht selten daran, dass Opfer und Zeugen bereits abgeschoben seien, bevor die Verfahren eröffnet werden. Sofia Leonidakis von der Linken sprach von einem wichtigen Sig­nal an die Opfer und machte darauf aufmerksam, dass in der Praxis auch Opfer von Ausbeutung und Zwangsprostitution immer wieder vor einer Anhörung abgeschoben wurden.

Gegen den Antrag sprachen sich CDU und FDP aus. Beide Redner der Fraktionen waren sich einig, dass es keinen Handlungsbedarf gebe, weil es bereits jetzt ausreichende Möglichkeiten gebe, Betroffenen von Gewalt ein Bleiberecht einzuräumen.

Bremens fraktionsloser AfD-Mann versuchte mit unsachlichen Beiträgen zu provozieren und trug außer Hass und Vorurteilen inhaltlich nichts bei.

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