Kolumne Unter Leuten: Winter, Frost und Eis

Die Extremtemperaturen in Europa verleiten dazu, sich an Frost und Kälte zu erinnern. Zum Beispiel an 30 Grad Minus am kanadischen Lake Louise.

Winterlandschaft mit zugefrorenem See und weißen Berghängen

Der mit Eis bedeckte Lake Louise in den kanadischen Rocky Mountains Foto: imago/Gepa

Die ersten Schritte sind die härtesten. Wenn die Kälte an Mund und Nase zwickt wie kleine Nadelstiche und sich durch alle vier Kleidungsschichten gräbt. Minus 30 Grad sind es am Lake Louise, einem von Bergen und Wäldern umgebenen See in den kanadischen Rocky Mountains. Unter den Schuhen knirscht der trockene Schnee. Es klingt, als gehe man auf Styropor.

„Vorsicht, glatt!“, ruft ein Mann im rot-weiß gemusterten Wollpullover. Es ist der Wanderführer Michael Vincent. Ich treffe ihn vor einer Hütte am Rande des Kiefernwaldes. Er lacht, schüttelt den Kopf. „Mit den leichten Stiefeln kommt ihr Europäer hier draußen nicht weit.“

Vincent verschwindet in der Hütte und kommt mit Schneeschuhen wieder heraus. Schon zur Steinzeit gab es Vorläufer solcher Schuhe, erklärt Vincent. Für die Menschen waren sie die einzige Möglichkeit, sich im Tiefschnee fortzubewegen. Die bekannten Modelle, die an übergroße Tennisschläger erinnern, kommen ursprünglich aus Skandinavien und verbreiteten sich im 19. Jahrhundert in den Alpen.

Mit den schmalen Bügeln haben die altertümlichen Ungetüme allerdings nicht mehr viel gemein. Moderne Schneeschuhe sind kurz, handlich, leicht – und haben gegenüber Skiern einen wichtigen Vorteil: „Während man mit Skiern nur die Piste runterkommst, bringen einen diese Schuhe überall hin“, sagt Vincent.

Wir brechen auf zu einer kurzen Tour. Die ersten Meter fühlen sich noch recht wackelig an. Besonders an Abhängen rutsche ich als Anfänger mehr, als dass ich gehe. Schon nach einer halben Stunde aber habe ich den Dreh raus.

Schneeschue statt Skier

Seit 20 Jahren arbeitet Vincent am Lake Louise. Zuletzt haben immer mehr Gäste ihre Skier gegen Schneeschuhe eingetauscht. Einige der 69 Provinzparks im Bundesstaat Alberta haben inzwischen eigene Wege extra für Schneeschuhwanderer markiert.

Unser Pfad führt über einen Hang zwischen Kiefern entlang, deren Äste sich unter Eisschichten biegen. Bei jedem Schritt wirbeln kleinste Schneekristalle wie Kreidestaub durch die Luft, glitzern in der Sonne. Auf einer Anhöhe verschnaufen wir für einen Moment. Rings herum nichts als weiße Wipfel, zwischen denen sich Sonnenstrahlen brechen. Stille. Nicht ein Windzug ist zu spüren, auch von den Wildtieren fehlt jede Spur. Grizzlybären und Biber halten Winterruhe, die nordamerikanischen Wapitihirsche haben sich schon im Herbst ins Tal zurückgezogen, um dort den nächsten Frühling abzuwarten.

Trotz Daunenjacke und gefütterter Hose bin ich bei den frostigen Temperaturen durchgefroren. So ist eben der kanadische Winter, sagt Vincent. Im Notfall hat er für unbedarfte Großstädter wie mich auch immer ein zweites Paar Handschuhe und eine Decke im Rucksack.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Freier Journalist und Gründer von EINS.STUDIO.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.