Schwarzer Musiker über Rassismus: Der Mann, der Nazis zweifeln lässt

Daryl Davis ist Afro-Amerikaner. Er hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Ku-Klux-Klan-Mitglieder zu bekehren. Bis zu 60 hat er schon zum Ausstieg bewegt.

Daryl Davis streift eine KKK-Kapuze über seine Hand

Daryl Davis präsentiert in der Doku „Accidental Courtesy“ ein Stück aus seiner Sammlung: die Kapuze eines KKK-Aussteigers Foto: Matt Ornstein/Sound & Vision Productions

Daryl Davis sitzt an einem hellen Augustmorgen in seinem kleinen Häuschen in Maryland; selbst vor dem Bildschirm während des Skype-Gesprächs ist er eine echte Erscheinung: ein schwarzer Mann, dicker Bauch, breites Gesicht, fransiger Schnäuzer, Halbglatze, der mit ruhiger, sonorer Stimme spricht. Davis hat als Pianist unter anderem mit Chuck Berry, Muddy Waters und B. B. King zusammengespielt. Bekannter aber wurde er dadurch, dass er sich als Afroamerikaner mit Ku-Klux-Klan-Mitgliedern und anderen Rassisten an einen Tisch setzt. Mit ihnen spricht. Mit ihnen Freundschaft schließt. Und sie manchmal erfolgreich zum Ausstieg bewegt.

taz: Daryl Davis, Sie treffen sich seit 35 Jahren mit dem Ku-Klux-Klan, Nazis und White Supremacists, um mit ihnen zu sprechen. Warum tun Sie das?

Daryl Davis: Weil die USA das brauchen. Es ist ein gespaltenes Land, das den Rassismus nie überwunden hat. Ein Problem antirassistischer Gruppen ist es, dass Menschen, die ohnehin alle die gleichen Überzeugungen haben, unter sich bleiben. Nichts ist erreicht, wenn man nicht mit der anderen Seite spricht. Ich setze mich hin und höre denen zu. Das führt meistens dazu, dass sie mir auch zuhören.

Ihr Ansatz war: „Ich will herausfinden, warum diese Menschen mich hassen, obwohl sie mich nicht kennen.“ Verstehen Sie das nun besser?

Eher im Gegenteil: Die Leute verstehen besser, dass sie mich nicht hassen können. Sie kennen mich nicht, aber sie hassen mich wegen meiner Hautfarbe – das ist irrational. Natürlich gibt es aber auch Unverbesserliche, die Rassismus mit ins Grab nehmen. Aber solange man einander zuhört, gibt es Hoffnung.

Wann waren Sie mit dieser Strategie zuletzt erfolgreich?

60, ist ein US-amerikanischer Pianist, der unter anderem mit Chuck Berry, Jerry Lee Lewis und Muddy Waters zusammenspielte. Nachdem er 1983 in einer Bar auf ein Ku-Klux-Klan-Mitglied traf und mit ihm in Kontakt kam, begann er, sich regelmäßig mit Mitgliedern der Organisation zu Gesprächen zu treffen. Er hat seither nach eigenen Angaben zwischen 40 und 60 KKK-Mitglieder zum Ausstieg bewegt. Davis ist in Chicago geboren, er lebt heute in Maryland.

Ständig. In Kürze treffe ich mich mit einem Klan-Mitglied in Florida, das aussteigen will; die Initiative ging von ihm aus. Oft ist es so, dass Familien nichts mehr mit Rassisten zu tun haben wollen, nachdem sie dem Klan beigetreten sind. Sie selbst leisten einen Bluteid, um in der Organisation zu sein. Irgendwann stellen sie fest, dass es irre ist, was sie machen – und entschließen sich auszusteigen. Dann sind sie allein. Also kommen sie zu mir, weil sie sich darauf verlassen können, dass ich ihnen zuhöre.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie mit überzeugten Rassisten sprechen?

Zunächst sind sie noch überzeugt. Aber je länger ich mit ihnen rede, desto mehr müssen sie nachdenken über das, was sie sagen. Jeder kann eine Meinung haben und sie ändern, aber ein Fakt lässt sich nicht ändern. Deshalb argumentiere ich mit Fakten. Auch nach unseren Treffen haben meine Gesprächspartner das im Kopf. Und dann kommen ihnen irgendwann Zweifel.

„Je länger ich mit ihnen rede, desto mehr müssen sie nachdenken über das, was sie sagen. Jeder kann eine Meinung haben und sie ändern, aber ein Fakt lässt sich nicht ändern.“

Das heißt, Sie brauchen Geduld?

Ja, es dauert. Es ist nicht so, dass man sich einmal unterhält und mein Gegenüber sagt: „Du hast recht, wie blöd von mir, Rassist gewesen zu sein!“ Es dauert Monate, teils Jahre.

2016 entstand der Dokumentarfilm „Accidental Courtesy: Daryl Davis, Race & America“ über Ihre Geschichte. Am meisten geraten Sie da mit Black-Lives-Matter-Aktivisten aneinander. Warum?

Was Sie da sehen, sind ein paar Minuten, in Wirklichkeit kam es fast zu einer Schlägerei. Die haben nicht verstanden, was ich mache. Sie haben sich ein vorschnelles Bild von mir gemacht: Die haben nur Fotos von mir gesehen, wie ich Ku-Klux-Klan-Leuten, die Hand reiche – und dachten, ich sei ein Verräter. Inzwischen verstehen sie übrigens besser, was ich mache. Aber ich werde oft kritisiert für meinen Aktionismus. Wie ich überhaupt dazu käme, mit denen zu reden.

Wie lautet Ihre Antwort?

Weil sie auch Menschen sind, sage ich – und weil ich reicher bin als sie. Nicht im monetären Sinne, aber ich habe – erst als Sohn eines Botschafters und dann als Musiker – 56 Länder bereist und die Welt gesehen. Sie haben oft nicht mal ihre Städte verlassen. Sie können nicht die gleiche Sicht auf die Dinge haben wie ich.

Sie haben von vielen KKK-Aussteigern Roben und Kapuzen gesammelt und wollen diese ausstellen. Klingt verrückt.

Warum gibt es Holocaust-Museen? Damit die Leute lernen, was jüdischen Menschen in der Geschichte angetan wurde. Mit dem Rassismus in den USA ist es genauso: Dieses Land muss sich damit auseinandersetzen, wo es herkommt, wo wir aktuell stehen und was dazwischen lag. Die Leute müssen begreifen, was der Ku-Klux-Klan ist, wie er funktioniert. Das ist der Zweck eines Museums.

Als der Film gedreht wurde, da war Trump noch nicht im Amt – zeigt sich der Rassismus seither offener in den USA?

Viele Leute machen Trump für Rassismus verantwortlich, davor haben auch viele Obama für Rassismus verantwortlich gemacht. So einfach ist es nicht. Rassismus gab es lange vor Obama, lange vor Trump. Aktuell ist es nur so, dass Rassisten Aufwind haben. Weil sie das Gefühl haben, sie können sagen, was immer sie sagen wollen und tun, was immer sie tun wollen – weil sie spüren, dass sie einen Präsident haben, der das akzeptiert. Als ich ein Kind war, hatte die schwarze Bevölkerung in den USA einen Anteil von knapp 12 Prozent, Hispanics 4 Prozent, Asiaten wenige Prozent – und über 80 Prozent waren Weiße. Heute sind es immer noch rund 12 Prozent Schwarze, etwa 18 Prozent Hispanics, zirka 6 Prozent Asiaten – und immer noch mehr als 60 Prozent Weiße. Sie sehen die weiße Mehrheit langsam kippen, Demografen prognostizieren, dass 2042 mehr Nicht-Weiße als Weiße in Amerika leben. Weiße sehen die Macht schwinden.

Dass man die Minderheiten fürchtet, ist ja nicht nur in den USA so.

Das stimmt. Und es stimmt, dass sie sie fürchten. Wenn wir diese Angst nicht eindämmen können, wird der Hass eskalieren. Die Ursache dafür ist Ignoranz. Da trifft der Satz von Martin Luther King zu: „Men often hate each other because they fear each other; they fear each other because they don't know each other.“ Deshalb will ich Menschen zusammenbringen.

Charlottesville war im vergangenen Jahr eine Zäsur in Sachen rechtsextremer Gewalt in den USA. Wie bewerten Sie die Ereignisse?

Ich kenne Leute, die an den Nazidemos beteiligt waren. Eine halbe Stunde vor Ihrem Anruf habe ich mit einem gesprochen, der bei dieser Scheiße dabei war: Richard Preston, auch er „Klansman“. Als ein Schwarzer in Charlottesville mit einem Flammenwerfer kam, hat Preston in den Boden geschossen. Er sitzt deshalb im Gefängnis und hat mich von da angerufen.

Und Sie glauben, dass er sich ändert?

Absolut! Ich weiß, dass er sich ändern wird. Er steckt ziemlich tief drin, aber schon die Tatsache, dass er mit mir Kontakt hält, spricht dafür. Ich kenne ihn seit fünf Jahren. Bevor er in den Knast ging, bin ich mit ihm ins Afro-American Museum in Washington gegangen. Ich habe verlangt, dass er mitkommt und sich das anschaut. Wir haben uns schon gegenseitig besucht und Musik zusammen gemacht.

Was kann Musik generell gegen Rassismus ausrichten?

Beim Symposium „Infiltration: Challenging Supremacism“ im Berliner Bethanien (Mariannenplatz 2, Berlin-Kreuzberg) hält Davis am 7. September 2018 um 17 Uhr die Keynote. Der Dokumentarfilm „Accidental Courtesy: Daryl Davis, Race & America“, der von Davis‘ Engagement erzählt, wird am 9. September um 19.30 Uhr gezeigt (Spektrum, Bürknerstr. 12, Berlin-Neukölln). Alle Infos zur Konferenz: www.disruptionlab.org/infiltration

Es war der von Schwarzen erfundene Rock ’n’ Roll, der in den USA dazu geführt hat, dass Schwarz und Weiß zusammen tanzten. Diese Kraft hat Musik.

Genauso wie später der HipHop den Afroamerikanern zur Selbstermächtigung diente – bis heute. Was kann aktuell die schwarze Popkultur – die großen Superstars sind heute schwarz – dem Trump-Amerika denn entgegensetzen?

Man darf aber nicht vergessen, dass es in der Unterhaltungsbranche – sei es Hollywood, sei es die Musikindustrie – immer noch viel Rassismus gibt. In der Geschichte war es meistens so, dass schwarze Musiker einen Stil erfunden haben, die Plattenfirmen aber weiße Stars groß gemacht haben. Wenn weiße Kids schwarze Musik mögen und spielen, dann ist das völlig okay! Ich mache da nicht die Musiker verantwortlich, aber den Machtapparat dahinter.

Die zwei größten jungen Protestbewegungen aus den USA, die man zuletzt wahrgenommen hat, waren Black Lives Matter und Schülerproteste nach den Highschool-Shootings. Glauben Sie, dass diese verschiedenen Gruppen zusammenfinden können, um Amerika zum Besseren verändern zu können?

Theoretisch ja, praktisch nein. Anlass für die Schülerinnen und Schüler, gegen die Waffengesetze mit dem March For Our Lives zu protestieren, waren Schießereien an Schulen, bei denen überwiegend Weiße umkamen. Schwarze aber kommen täglich in den USA ums Leben, ohne dass groß Notiz davon genommen wird. Jede Nacht sterben schwarze Kids, erschossen von Weißen oder von Schwarzen innerhalb der Ghettos – und natürlich nicht an einem Ort, über das Land verteilt. Für ihre Leben gibt es keinen Protestmarsch. Das ist der Unterschied.

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