Pionier der Popliteratur: „Sprachen, die es nicht gibt“

Eine Ausstellung in Düsseldorf schöpft aus dem Nachlass des Popautors Wolfgang Welt. Wir haben mit ihrem Kurator Martin Willems gesprochen.

Wolfgang Welt als Pförtner

Konsequenter als Knausgård: Wolfgang Welt 2001 in der Pförtnerloge Foto: Dirk Hoppe/Fotoagentur Netzhaut

Der 2016 verstorbene Schriftsteller Wolfgang Welt ist eine Art ewiger Geheimtipp. Sein 1986 erschienenes Debüt „Peggy Sue“ wird oft als der erste Poproman deutscher Sprache bezeichnet – aber der richtig große Ruhm war Welt nicht vergönnt; bis zuletzt arbeitete er als Nachtwächter am Bochumer Schauspielhaus. Nebenbei schrieb er autobiografische Romane, nachdem aus der Karriere als Musikjournalist nichts geworden war. Einblick gibt er dabei in ein Leben, das sich im Arbeitermilieu des Ruhrgebiets abspielt und zwischenzeitlich in die Untiefen einer schizophrenen Psychose abdriftet. Bereits zu Lebzeiten hatte sich eine kleine, aber hartnäckige Fangemeinde um den Bochumer gebildet, neben Peter Handke setzten sich in einer Initiative 29 weitere UnterstützerInnen dafür ein, ihm den Literaturpreis Ruhr zu verleihen. Martin Willems hat bis zuletzt mit Welt gearbeitet und jetzt in Düsseldorf eine Ausstellung aus seinem Nachlass kuratiert.

Herr Willems, was haben Sie im Nachlass vorgefunden?

Eine Bibliothek, eine umfangreiche Schallplatten- und Zeitschriftensammlung, mehr als hundert Mixtapes und persönliche Gegenstände. Was den handschriftlichen Anteil betrifft, so ist der Nachlass mit zehn Archivkartons nicht gerade riesig, aber gehaltvoll: Es sind zahlreiche Manuskripte und Briefe überliefert, darunter zwei Dutzend von Peter Handke, aus denen hervorgeht, wie detailliert er sich mit Welts Werk auseinandergesetzt hat. Eine Besonderheit ist die Sammlung zu seinem Lieblingssänger Buddy Holly, die von Büchern über Briefmarken bis hin zu Kopien des Obduktionsberichts reicht.

Ihre Highlights in der Ausstellung?

Besonders beeindruckt haben mich Entwürfe aus dem Frühjahr 1983, als er das erste Mal in der Psychiatrie war. Dort hat er sich hingesetzt, ein Radio auf den Tisch gestellt und assoziativ zu Songs geschrieben, die gerade liefen. Die Literatur war aber nicht nur Rettungsanker, sondern auch Katalysator, wie der Ausstellungstitel „Aber ich schrieb mich verrückt“ nahelegt. In diesen Zustand geriet er während der Niederschrift eines nicht erhaltenen „Romanbriefs“ – teilweise in Sprachen verfasst, die es nicht gibt –, anderswo ist die Rede von einer Live-Story, die er theoretisch, so Welt, auch mit Lichtgeschwindigkeit schreiben könne. Das hat mitunter megalomanische Züge. Interessant ist, dass parallel zu Welts Krise gerade der Debütroman „Irre“ von Rainald Goetz erschien. Goetz, der in einer Nervenklinik gearbeitet hat, nimmt darin die Perspektive eines Arztes ein, während Welt sich tatsächlich in Behandlung befindet. Durch entsprechende Medikation rückte der Wahnsinn später in den Hintergrund, wobei Welt stets Sorge hatte, dass die Verlage seine Bücher als zu ruhig empfinden könnten. Gelegentlich reduzierte er sogar die empfohlene Dosierung, um freier schreiben zu können.

Sie haben mit ihm bis kurz vor seinem Tod an einem Roman gearbeitet.

geb. 1984, ist Mitarbeiter des Düsseldorfer Heinrich-Heine-Instituts. Wolfgang Welt liest er seit 2007.

Ja, wir haben uns mehrfach in der Woche ausgetauscht, hauptsächlich per E-Mail. „Die Pannschüppe“ – ein unvollendeter Roman, der bis in die frühe Kindheit zurückgeht – hat er trotz gesundheitlicher Probleme in erstaunlich kurzer Zeit geschrieben. Sobald der erste Satz da war, ging’s relativ schnell: Er hat einfach in E-Mails reingetippt, manchmal nur einige Wörter, oft ganze Absätze. Ich habe alles zusammengefügt, korrigiert, hier und da einen Vorschlag gemacht.

Den wenigsten dürfte sein Werk bekannt sein. Wo setzt die Ausstellung an?

Sie bietet zum einen die Möglichkeit, Welt kennenzulernen, liefert aber auch den Experten neue Einblicke. Es gibt da dieses Zitat, dass 99 Prozent in seinen Büchern so passiert sei – so könnte auch ein Fazit der Ausstellung lauten. In den letzten Jahren gab es sehr viele Au­toren, etwa Karl Ove Knausgård, die umfassende autobiografische Romane vorgelegt haben. Die Konsequenz, mit der Welt seinem eigenen Erzählprojekt zeitlebens nachging, wie er etwa ganz selbstverständlich Klarnamen verwendete, ob es Nachbarn waren oder prominente Musiker, ist jedoch einmalig.

Er wurde ja als Chronist des zerfallenden Ruhrgebiets bezeichnet.

Mit diesem Begriff tue ich mich schwer, bei einem Chronisten denke ich an ausufernde, streng geordnete Schilderungen. Welts Prosa ist lässig, lakonisch, springt immer wieder „hin und zurück in Zeit und Raum“, wie Handke es formuliert hat. Seinem Lebensumfeld, dem Bochumer Stadtteil Langendreer, ist er allerdings treu geblieben. Wer wissen will, wie es in den 80er Jahren im Ruhrgebiet zugegangen ist – oder ganz generell in der deutschen Musikszene –, kommt an seinen Büchern nicht vorbei.

Ein großes Thema bei Welt ist die Musik. Was ist sein Status in der deutschen Pop­literatur?

Er wird ja oft Erfinder der Popliteratur oder Vater des deutschen Popromans genannt. Die erste Popphase Ende der 60er und dann der große Popliteratur-Hype um die Jahrtausendwende – Welt liegt da, ähnlich wie Jörg Fauser, zeitlich irgendwo dazwischen, gewissermaßen im Niemandsland. Ich habe mich oft gefragt, wie sich seine Karriere entwickelt hätte, wäre sein Debüt „Peggy Sue“ nicht 1986, sondern 1996 erschienen.

Seine Meinung zur späteren Popgeneration?

Die Ausstellung „Aber ich schrieb mich verrückt“. Die Wolfgang-Welt-Ausstellung, noch bis zum 18. November 2018 im Heinrich-Heine-Institut, Düsseldorf.

Die Bücher Unter „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“ sind 2006 bei Suhrkamp drei Romane erschienen: „Peggy Sue“, „Der Tick“ und „Der Tunnel am Ende des Lichts“. Der Roman „Doris hilft“ erschien bei Suhrkamp 2009. Lieferbar ist auch „Ich schrieb mich verrückt. Texte von Wolfgang Welt 1979–2011“, Klartext-Verlag.

Benjamin von Stuckrad-Barres „Panikherz“ war eines der letzten Bücher, die er gelesen hat, und er wollte auch noch darüber schreiben. Er hat es nicht gemocht, war der Meinung, das habe er doch alles schon in den 80ern aufgeschrieben: wie man sich in so einer Krisensituation bewegt und damit fertig wird.

Wie stand er sonst zur deutschen Gegenwartsliteratur?

Aus der Bibliothek geht hervor, dass er das sehr genau verfolgt hat. Da finden sich auch Titel, die man nicht unbedingt erwartet hätte, etwa „Schoßgebete“ von Charlotte Roche oder die Bücher von Helene Hegemann. Er hat das alles auf dem Schirm gehabt, um zu sehen, wie er immer mit einem Augenzwinkern sagte, „was die Konkurrenz so macht“. Er ist dann häufig zu dem Fazit gekommen, dass das alles überschätzt sei und die ihm nicht das Wasser reichen könnten.

Wie erklären Sie sich das kleine Revival, das 2016 nach seinem Tod einsetzte?

Ich weiß noch, dass ich damals immer mal wieder bei Amazon nachgeschaut habe und da eines Tages „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“ auf Platz zwei stand, direkt hinter Harry Potter. Das plötzliche Interesse sehe ich auch in seiner Biografie begründet, die von einem gewissen Hang zum Scheitern geprägt ist. Viele scheinen sich darin wiederzufinden. Ich habe oft darüber nachgedacht, wie es ist, wenn man mit 30 Jahren hauptberuflich als Nachtwächter arbeitet und gleichzeitig für den Musikexpress die angesagtesten Musiker der Zeit interviewt. Trotz aller Rückschläge hat Welt sein „Lebensziel“ schließlich erreicht. Mit Anfang 20, aufgewachsen in einer Zechensiedlung, setzt er sich in den Kopf, Schriftsteller zu werden – ohne zu wissen, worüber er überhaupt schreiben soll –, und 30 Jahre später erscheinen seine Bücher dann bei Suhrkamp, dem Verlag von Hesse, Handke und Bernhard. Das kann man fast als Märchen bezeichnen.

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