Musiker und Regisseur Kim Frank: Nicht immer „man“ sagen

Kim Frank war mal der Sänger der Band Echt. Nun dreht er Filme. Am Montag läuft sein erster langer Spielfilm „Wach“ bei Youtube, Funk und im ZDF.

Kim Frank mit dicker Mütze

Einst Musiker, nun Regisseur: Kim Frank Foto: Clara Nebeling / ZDF

taz am wochenende: Herr Frank, Hannes Wader hat mal gesungen, „schön ist die Jugend, so sorglos und frei, Gott sei Dank ist sie endlich vorbei“. Geht Ihnen das auch so?

Kim Frank: Eher umgekehrt. Ich fand es hart, irgendwann zu merken, dass die Jugend jetzt definitiv vorbei ist. Dass es Dinge gibt, die ich nie mehr erleben werde.

Zum Beispiel?

Diese Kompromisslosigkeit. Dieses Nie-in-Frage-Stellen der eigenen Gefühle, der eigenen Ziele, der eigenen Weltanschauung. Das hat eine Magie und eine Power, die ich vermisse. Als ich letzten Mai Geburtstag hatte, schwor ich mir, dass ich mir das zurückerobern möchte. (Kim Frank wurde am 24. Mai 36 Jahre alt; Anm. d. Red.)

Woran merken Sie, dass Ihre Kompromisslosigkeit verloren gegangen ist?

Man scheitert ein paar Mal und plötzlich fängt man an weich zu werden, Kompromisse zu machen. Und das hat mich beeinflusst, mich schlechter gemacht. Man lernt, mit dem Erwachsenwerden diplomatischer zu sein, mehr den Dialog zu suchen, Leute abzuholen, vielleicht auch etwas vorzuspielen, um an das Ziel zu kommen. Mit 18 wäre mir das nicht passiert. Da habe ich gesagt, was ich wollte. Ende des Themas.

Aber Sie mussten in Ihrer Jugend doch bestimmt viele Kompromisse eingehen.

Nö. Wieso?

36, gründete 1994 die Schülerband Echt mit. Er war ihr Leadsänger. 1998 hatten die Flensburger mit der Single „Alles wird sich ändern“ ihren ersten großen Erfolg. Der steigerte sich noch mit dem Nummer-eins-Album „Freischwimmer“ und Titeln wie „Du trägst keine Liebe in dir“ und „Weinst du“. Die Band löste sich 2002 auf. Frank drehte seitdem viele Musikvideos.

Der Film „Wach“ erscheint am Montag um 20 Uhr bei YouTube, bei Funk und in der ZDF-Mediathek. Am selben Abend läuft er im ZDF (0.05 Uhr).

Na ja, als ich in Ihrem Alter war, bin ich zur Schule gegangen, hab Computer gespielt, bisschen Sport, das war’ s. Sie waren ein bekannter Popstar. Sie hatten viele Termine, die Ihnen andere vorgaben.

Das stimmt. Aber für mich ist ein Kompromiss erst ein Kompromiss, wenn er mich oder das, was ich tue, beeinflusst. Auf die Musik bezogen: Playback zu spielen war ein Kompromiss, den wir gehasst haben.

Aber Sie haben es getan.

Ganz am Anfang, aber sobald wir genug Power hatten, haben wir nur noch live gespielt. Manchmal muss man Geduld haben. Und Playback spielen ist ein wirklich gutes Beispiel, weil es vergiftet, was du tust. Weil es dann nicht mehr um Musik geht, sondern nur noch um eine Darbietung. Ich stelle das aber auch im Privaten, im Persönlichen fest. Wie viel man sich gefallen lässt, wie häufig man zuguckt, wie häufig man diplomatisch bleibt, wie häufig man korrekt bleibt.

Klingt ein bisschen so, als wollten Sie ein unangenehmerer Typ werden.

Nein, ich will kompromissloser sein – ohne zum Arschloch zu werden. Denn das war ich früher schon manchmal. Wenn man das schaffen könnte, wäre das toll. Warum sage ich eigentlich die ganze Zeit „man“? Das mache ich sonst nie. Ich bin allergisch dagegen.

In Ihrem Film sieht man zwei sehr kompromisslose, jugendliche Frauen. Scheint gerade Ihr Thema zu sein.

Ja, das bin beides ich. Oder zumindest das, was ich noch von dem empfinde, wie ich war, mit 15 oder 16. Die beiden wollen allerdings eigentlich gern noch empathischer sein. Gerade Nike baut sich mit Sprache und Habitus ja einen Schutz auf, der sie nicht so angreifbar macht. Eine Verteidigung gegen alles, was sein könnte. Und ihre Freundin C. macht es eher umgekehrt: Still sein, Angst in sich hineinfressen. Leider ist niemand da, der ihnen sagt, dass sie richtig sind, dass sie diese Panzer nicht brauchen.

Hat Ihnen das auch gefehlt?

Nein. Ich hatte das Glück, eine Mutter zu haben, die mich immer darin bestärkt hat, so zu sein, wie ich bin. Und dann hatte ich aber vor allem das Glück, dass ich an einen Abiturienten bei uns an der Schule geraten bin, der uns betreut hat. Man durfte den Proberaum nämlich nur benutzen, wenn einen jemand betreut. Und dieser Abiturient hatte auch schon ein Tonstudio und hat die Plattenfirma gegründet, bei der wir dann veröffentlicht haben. Der hatte die Fähigkeit, einen mitzureißen. Der war und ist absolut, visionär, stellt die Kunst über alles – und er war, im Gegensatz zu meiner Mutter, auch in der Lage, mich zu unterstützen. Das ist etwas, was jeder junge Mensch braucht, wenn er aus solchen Verhältnissen herauskommen möchte.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Wie ist das mit dem Gefühl, einen Schutzpanzer aus Extrovertiertheit aufbauen zu müssen? Hatten Sie das auch?

Ja, das habe ich lange gehabt. Aber so wie wir als Erwachsene durch Rhetorik, durch das „Man“-Sagen versuchen, Dinge nicht an uns ranzulassen, versuchen das viele Jugendliche durch Extrovertiertheit. Der Effekt ist der Gleiche: Alle suchen Schutz.

Nach dem Ende Ihrer Band 2002 wurde Ihnen sehr früh ein Der-ist-Vergangenheit-Etikett angeklebt.

Ja, das war nicht nett.

Das ist das Alter, in dem andere studieren gehen, sich neu erfinden, ein Alter des Aufbruchs und nicht des Abgeschrieben-Seins.

Ja, aber ich finde, der richtige Weg wäre so einer wie meiner: Früher von der Schule abgehen, Erfahrungen sammeln. Ich finde schon, dass man mit 15 oder 16 arbeiten und seinen eigenen Weg gehen kann, so lange es klare Strukturen gibt. Ich weiß aber natürlich, dass unsere Gesellschaft da anders denkt.

Apropos Arbeit: Gibt es eigentlich häufig Anfragen, ein Echt-Revival zu starten?

Sehr häufig, aber die sind nicht wirklich ernst zu nehmen.

Keine Lust, das Geld mitzunehmen?

Nein. Wir Bandmitglieder haben zwar darüber geredet, wieder Musik zu machen, sind aber alle in dem, was wir jetzt tun, so erfüllt. Und wegen des Geldes haben wir tatsächlich nie etwas gemacht. Ganz im Gegenteil, wir haben riesige Werbedeals und so was immer abgelehnt.

Wo wir beim Geld sind: Wofür brauchten Sie eigentlich einen Sender? Sie wollten den Film doch erst alleine realisieren?

Das stimmt. Die Idee war eigentlich, etwas zu machen, was ich mit eigenem Geld, mit Geld von Freunden, mit der Hilfe von Financiers und Product Placement dann auf YouTube veröffentlichen kann. Ich hatte überschlagen, dass ich realistisch 250.000 Euro zusammenkriegen müsste. Aber beim ­Schreiben – und das ist mir wichtig – wollte ich eben nicht über Geld nachdenken. Man darf sich nicht da schon Handschellen anlegen. Und als ich mit dem Schreiben fertig war und angefangen habe zu kalkulieren, was das genau so umgesetzt kosten würde, bin ich bei 580.000 Euro gelandet. Da war mir klar: Entweder ich nehme jetzt alles, was teuer ist, raus, oder ich suche mir einen Partner. Und tatsächlich habe ich vom „Kleinen Fernsehspiel“ des ZDF und von Funk die 600.000 Euro bekommen, die ich brauchte. Eine Kalkulation, bei der ich übrigens nichts verdiente.

Und wie kommen Sie dann über die Runden?

Na ja, erst mal habe ich sehr viel gearbeitet in den letzten Jahren. Und dann hab ich gesagt, dass ich nur meine Lebenshaltungskosten, Miete und so gedeckt haben möchte. Plus Steuern. Aber darüber hinaus: nichts.

Ob das so ein guter Deal war …?

So konnte ich immerhin meinen ersten Film so machen, wie ich es wollte. Das mag zwar alles nach Handykamera aussehen, aber ich hab bei den Musikvideodrehs gelernt: Du musst Authentizität kreieren. Du kannst sie nicht einfach abfilmen. Nikes Viertel wurde in vier Gegenden gedreht. Jedes Set ist de­signt. Alles ist geleuchtet.

Wie sind Sie eigentlich auf dieses Thema gekommen, möglichst lange wach bleiben zu wollen? Können Sie sich damit identifizieren? Mein Wochenendziel ist mittlerweile genau das Gegenteil.

Meins auch. Schon immer. Ich liebe Schlafen. Mich stört eher, dass ich im Moment immer zu früh aufwache. Im Film sind die beiden mehr als 80 Stunden wach, mein Maximum wären 32 Stunden. Ich war immer der, der hinten im Club dann doch eingepennt ist.

Wenn man, wie Sie, Buch, Regie, Kamera und Film verantwortet, dann kommt man doch auch nicht zum Schlafen, oder?

Das stimmt. Ich funktioniere aber mit fünf Stunden Schlaf auch richtig gut. Mit sieben Stunden funktioniere ich perfekt. Es ist eher so, dass die Gefahr darin liegt, dass ich abends zu viel trinke. Ein Glas Wein zu viel und die fünf Stunden reichen nicht mehr. Das war früher anders.

Wieder sehnen Sie sich nach der Jugend.

Ja, da war das wirklich ganz anders. Aber noch mal zur aktuellen Arbeit: Im Moment ist das mit dem Schlafmangel und dem Arbeitspensum wirklich schlimm. Ich saß das ganze Wochenende dran, die Sexszene umzuschneiden, weil ich sie bei YouTube so nicht durchbekomme.

Wieder ein Kompromiss.

Ja, und deswegen ist das gerade bei mir auch so ein Riesenthema. Ich muss die ganze Zeit abwägen zwischen der Vision, dass der Film bei YouTube zu sehen und damit allen zugänglich sein soll, auch jungen Menschen, die in ihren Orten kein Programmkino haben, und der Integrität meiner Arbeit. Ich hab ja schon am Drehbuch geschraubt, die erste Version beinhaltete viel mehr Gewalt, viel mehr Sex. Ich hab das runtergedreht.

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