Kommentar Ausschreitungen in Chemnitz: Probe für den rechten Volksaufstand

Hass, Aggressivität und Menschenverachtung: In Chemnitz bekam man am Montag ein Gefühl dafür, was uns bei einem fortgesetzten Rechtsruck droht.

Demonstranten der rechten Szene zünden Pyrotechnik und schwenken Deutschlandfahnen

Demonstranten der rechten Szene zünden Pyrotechnik und schwenken Deutschlandfahnen am 27.8 Foto: dpa

In Chemnitz haben am Montagabend Nazis den Bürgerkrieg geprobt. Nicht nur, weil einige Hundert der Wildesten unter ihnen aus der Kundgebung am Karl-Marx-„Nüschel“ ausbrachen und auf kaum 50 Meter entfernte Ausländer und Antifa-Gegendemonstranten losstürmten. Zuvor hatten Reden sie zu Volksaufstand und Selbstjustiz angestachelt. Das gezeigte Maß an Hass, Aggressivität und Menschenverachtung schockierte sogar den abgebrühten langjährigen Pegida-Beobachter. Die in Chemnitz vor allem Primitivität, grobes Gebaren und animalische Instinkte demonstrierten, gehören zum Miesesten, was das unruhige Land derzeit hervorbringt.

Es schien, als hätten die Veranstalter von „Pro Chemnitz“ und ihre vernebelten Spießgesellen aus der ganzen Bundesrepublik nur auf den Anlass einer mutmaßlich durch Migranten begangenen Mordtat gewartet, um wieder einmal loszuschlagen. Nicht nur gegen die verhassten Ausländer, auch gegen alles, was noch ein Gewissen hat, anders ist und ihnen nicht passt. Eine Pietätlosigkeit gegenüber dem getöteten Deutschkubaner, der hier nur benutzt wurde. Die Beschäftigung mit seiner Person hätte ja auch offenbart, dass er eben kein Biodeutscher war und sich von rechten Umtrieben eher distanzierte.

Erschreckend am dumpfen Chemnitzer Aufzug ist auch die schnelle Mobilisierungsfähigkeit einer breit gefächerten Rechten. Hartgesottene Kameradschaftler, Pegida-Organisatoren, AfD, der „Dritte Weg“ und die berüchtigten „besorgten Bürger“ bildeten eine Einheitsfront. Letztere reagieren beleidigt auf die Bezeichnung „Nazis“, drohen aber bei erhoffter Machtergreifung, die sie blasphemisch „Wende“ nennen, baldige Liquidation ihrer Gegner an. In Chemnitz bekam man ein Gefühl dafür, was uns bei einem fortgesetzten Rechtsruck droht.

Der Stellvertreterkrieg am Montagabend wurde freilich von beiden Seiten geführt. Auch die Antifa und ihre Sympathisanten kommen aus ihren Ritualen und formelhaften Sprechchören nicht heraus. Wenn Nazis mit Rufen wie „Eure Eltern sind Geschwister“ beleidigen, tönt es „Nazis töten ist kein Mord“ zurück. Kreativ äußerte sich die Gegendemo auch nicht. Der Krieg der Stimmbänder, Lautsprecher und Megafone zeigte vielmehr, wie sehr unsere Gesellschaft gespalten ist.

Schließlich bleibt noch das Bild einer überforderten Polizei. Nach dem Ausbruch hätte man den rechten Mob gar nicht marschieren lassen dürfen, aber auf den Umgang mit mehreren Tausend Nazis war man weder zahlenmäßig noch polizeitaktisch vorbereitet.

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Seit 2001 Korrespondent in Dresden für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Geboren 1953 in Meiningen, Schulzeit in Erfurt, Studium Informationstechnik in Dresden. 1990 über die DDR-Bürgerbewegung Wechsel in den Journalismus, ab 1993 Freiberufler. Tätig für zahlreiche Printmedien und den Hörfunk, Moderationen, Broschüren, Bücher (Belletristik, Lyrik, politisches Buch „System Biedenkopf“). Im Nebenberuf Musiker.

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