Lidokino 3 – Start der Nebenreihen: Versehrte Männer

Lidokino 3: Mit starken Bildern über die Kommunikation mit den Toten und einem spektakulären Gerichtsfall haben die Nebenreihen begonnen.

Bilder von Toten in den Sand gesteckt

Szene aus „Les tombeaux sans noms“ Foto: Asac – la Biennale di Venezia

Endlich ist der Tag der Eröffnungsfilme. Da wäre zunächst der schon an erwähnte Start des Wettbewerbs der Filmfestspiele von Venedig, Damien Chazelles „First Man“ über die erste Mondlandung.

Auch in den Nebenreihen ist das Programm angelaufen, wenngleich mit etwas anderem Akzent und unterschiedlichem künstlerischen Ertrag. So schildert der erste Film der Reihe „Orizzonti“, Alessio Cremoninis „Sulla mia pelle“ („On My Skin“), einen der skandalösesten Gerichtsfälle Italiens der jüngsten Zeit. Und in den „Gior­nate degli autori“ gab es zu Beginn mit Rithy Panhs „Les tombeaux sans noms“ („Graves Without a Name“) einen halbdokumentarischen Beitrag aus Kambodscha.

Rithy Panh, der in seinen Filmen dem Erbe des Regimes der Roten Khmer in seinem Land nachspürt, hat einen eigenen Zugang zur Tragödie Kambodschas und dem Trauma der Bevölkerung gefunden. In „Les tombeaux sans noms“ sucht er nach Wegen, um den Opfern zu Frieden zu verhelfen, toten wie lebenden. Seien es buddhistische Rituale mit komplex arrangierten Opfergaben aus Früchten, Reis und Zucker oder minutiös gefertigte Holzkistchen in Sarggestalt, die mit in Tuch eingeschlagenen Steinen befüllt und den Flammen übergeben werden – Rithy Panh sucht nach Symbolen, die eine Wunde erträglich machen, die unheilbar scheint.

Zu diesen Symbolen gehören arrangierte Figuren, die Panh an ländlichen Orten aufbaut, wo er Opfer vermutet: in Gespensterform geschnittene weiße Stoffbahnen an langen Holzstöcken, die unter Bäumen im Wind wehen, schwarze Holzmasken, die im Wasser zwischen Kaulquappen treiben, Kleidung von Frauen und Männern, die auf Feldern ausgebreitet liegt, als wären sie die Überreste ihrer ermordeten Besitzer. Und immer wieder Porträtfotos, die dem Buddha zur Kontaktaufnahme dargeboten werden oder als Mahnmale in der Landschaft aufgestellt sind.

Aus dem Off reflektiert eine Stimme auf Französisch über die Suche nach den Toten, den Tod im Leben und das Leben mit dem Tod. Die Erzählungen von Überlebenden, die zwischen die ruhigen Bilder geschnitten sind, liefern die nötigen Details über das Ausmaß des Terrors der Roten Khmer. Ein starker Auftakt.

Lakonische Zerbrechlichkeit

Ein grausames Ende fand auch der Protagonist des „Orizzonti“-Films „Sulla mia pelle“, Stefano Cucchi. Der Drogenhändler, der eines Nachts im Jahr 2009 von der Polizei beim Dealen erwischt und anschließend von Carabi­nie­ri in einer Zelle brutal zusammengeschlagen wurde, erlitt dabei starke Verletzungen, zwei gebrochene Wirbel inklusive. Eine Woche später starb er im Gefängniskrankenhaus. Alessandro Borghi, in Gangsterrollen aller Art stark gefragter Darsteller, verkörpert Cucchis stetigen Verfall mit lakonischer Zerbrechlichkeit.

Der Fall, der in Italien heftig diskutiert wurde, ist ein Beispiel für Polizeiwillkür empörendster Art. Cremonini erzählt ihn mit fast schon zu nüchterner Direktheit. Die Ereignisse nehmen der Reihe nach ihren Lauf, allein die Gewalt in der Zelle wird klugerweise nicht gezeigt, doch dem protokollarischen Stil hätte eine weitere Inszenierungsidee gutgetan.

Und die Mondlandung? Die wird in „First Man“ behutsam vorbereitet. Vor allem geht es in Chazelles Film um den von diversen Fehlschlägen gezeichneten Weg zum Mond, bei dem mehrere Kollegen Neil Armstrongs ihr Leben ließen. Die klaustrophobische Innenansicht der Raumkapseln mit ihren endlosen Schaltern und den aus nächster Nähe an ihre Helmvisiere atmenden Astronauten lässt einen das Rattern des Flugkörpers beim Start sehr direkt nachvollziehen. Und Ryan Goslings sparsame Mimik passt bestens zu seinem Armstrong, einem von Kriegstraumata ­versehrten Mann, der über sein Innenleben nicht sprechen kann.

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