Abschiebungen im Norden: Oft erzwungene Freiwilligkeit

Der Norden schiebt weniger Flüchtlinge ab als der Süden und Westen Deutschlands. Eine erzwungene „freiwillige Ausreise“ ersetzt oft die Abschiebung.

Ein Flugzeug überfliegt einen Stacheldrahtzaun.

Wie viel Zwang steckte dahinter, um die Geflüchteten in das Flugzeug zurück zu kriegen? Foto: dpa

HAMBURG taz | Trotz rückläufiger Asylzahlen bleibt die Zahl der Abschiebungen bundesweit auf konstant hohem Niveau. Insgesamt wurden im ersten Halbjahr 12.000 Geflüchtete aus der Bundesrepublik abgeschoben. In den vergangenen beiden Jahren lag die Zahl bei 25.375 (2016) und 23.996 (2017). 2012 hatte es insgesamt nur 7.650 Abschiebungen gegeben. Die meisten Abschiebungen aus Deutschland erfolgen noch immer auf dem Luftweg über die Großflughäfen Frankfurt und Düsseldorf. Der Hamburger Helmut-Schmidt-Flughafen liegt hier an zehnter Stelle, Hannover folgt danach auf Platz elf.

Im bundesweiten Vergleich halten sich die Nordländer bei den Abschiebungen allerdings merklich zurück. Nur 1.500 der insgesamt 12.000 Abschiebungen wurden von den fünf Nordländern Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Bremen organisiert. Und bis auf Bremen ging die absolute Zahl der Abschiebungen überall im Norden seit dem vergangenen Jahr zurück. In allen fünf Ländern zusammen lebten 9.500 Ausreisepflichtige ohne Duldung, 5.100 davon allein in Niedersachsen.

Im Vergleich zur Flüchtlings-Aufnahmequote nach dem Königsteiner Schlüssel schieben Bremen und Schleswig-Holstein nicht einmal halb soviel Geflüchtete ab wie der Bundesschnitt. Hamburg liegt knapp unter, Mecklenburg ziemlich genau auf dem Durchschnitt. Niedersachsen verzeichnet mit 784 Abschiebungen zwar mehr Rückführungen als die anderen beiden Nord-Länder, Hamburg und Bremen, zusammen, doch wären aufgrund des Königsteiner Schlüssels hier über 1.000 Abschiebungen zu erwarten gewesen.

Für Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat ist diese Zahl allerdings „ein zweischneidiges Schwert. „Niedersachsen drängt viele Flüchtlinge schon bei der Ankunft zur freiwilligen Ausreise.“ Flüchtlingen würde erklärt, sie hätten sowieso keine Bleibeperspektive und man böte ihnen Geld an, wenn sie in ihre Heimatländer zurückkehrten. „Viele Geflüchtete schüchtert das ein und sie nehmen ihre Rechte nicht wahr“, so Weber. Bereits gestellte Asylanträge würden zurückgenommen. „Diese niedersächsische Praxis ist äußerst fragwürdig“, so Weber. Die Zahl der sogenannten „freiwilligen Ausreisen“ übersteigt in allen Ländern deutlich die Zahl der Abschiebungen.

Der Königsteiner Schlüssel legt fest, wie sich die einzelnen Bundesländer an gemeinsamen Kosten beteiligen und wie viele Flüchtlinge jedes Land aufnehmen soll.

Der Anteil, den ein Land danach tragen muss, richtet sich zu zwei Dritteln nach dem Steueraufkommen und zu einem Drittel nach der Bevölkerungszahl.

Der Schlüssel wird von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) jährlich neu berechnet und verdankt seine Entstehung dem Königsteiner Staatsabkommen von 1949.

Ort des Treffens, an dem das Abkommen unterzeichnet worden ist, war die hessische Stadt Königstein im Taunus, die Namensgeber sowohl für den Königsteiner Schlüssel als auch das Königsteiner Abkommen ist.

Bei den Ländern, in die Geflüchtete abgeschoben werden, liegen Albanien, Serbien, der Kosovo und Mazedonien vorn. Doch an allererster Stelle kommt – erstmals – Italien. Knapp 1.700 Flüchtlinge wurden nach dem Dublin-2-Abkommen hierhin abgeschoben, weil sie hier zuerst europäischen Boden betreten haben. Tausende Flüchtlinge – Männer, Frauen und Kinder – leben in Italien bereits auf der Straße.

Vergangene Woche hatten die deutsche und die italienische Regierung ein Rückführungsabkommen miteinander verhandelt, das vorsieht, dass Deutschland Migranten von der deutsch-österreichischen Grenze nach Italien zurückschicken kann, wenn sie dort zuvor bereits einen Asylantrag gestellt haben. Im Gegenzug will sich Deutschland verpflichten, für jeden zurückgeschickten Asylbewerber einen aus Seenot geretteten und in Italien aufgenommenen Migranten aufzunehmen.

Trotz konstant hoher Abschiebezahlen hat die Bundesrepublik in den vergangenen fünf Jahren etwa 1,7 Millionen Menschen aufgenommen, von denen rund 300.000 die Bundesrepublik wieder – freiwillig oder unfreiwillig verlassen haben. Damit zumindest die Geflüchteten, die aufgrund von Abschiebehindernissen in Niedersachsen geduldet werden, eine bessere Perspektive haben, forderte der Flüchtlingsrat vergangene Woche die niedersächsische Landesregierung auf, die geplante Initiative Schleswig-Holsteins für bessere Bleiberechtsregelungen im Bundesrat zu unterstützen.

Dabei geht es vor allem um eine bessere Integrationsperspektive für ehemalige minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Statt bis 21 Jahre sollte jungen Erwachsenen bis 27 Jahre unter bestimmten Voraussetzungen eine Bleiberecht gewährt werden können, fordern die Regierungsfraktionen CDU, Grüne und FDP im Kieler Landtag. Die Landesregierung solle im Bundesrat zeitnah einen entsprechenden Vorstoß starten. Derzeit leben etwa 5.500 Personen in Niedersachsen, die schon vier Jahre oder langer im Land geduldet werden, darunter viele Kinder und Jugendliche.

Auch in Niedersachsen brachten die Grünen vergangene Woche einen Entschließungsantrag in den Landtag ein, in dem es darum geht, die „Bleiberechtsregelung zu verbessern“ und „echte Perspektiven für integrierte junge Leute zu schaffen“. Die Landesregierung solle auch hier im Bundesrat einen entsprechenden Vorstoß machen. Der Antrag der Grünen wurde zunächst in die Ausschüsse verwiesen.

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