Rechtes Denken und Architektur: Alle an ihren Platz

Besorgte und betuchte Bürger haben ein neues Hobby: Bauen. Auf der Frankfurter Tagung „Altstadt 2.0“ bejubelten sie sich.

Draufsicht auf eine Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt

Denken drückt sich auch in Architektur aus – leider auch das konservative Foto: dpa

FRANKFURT taz | Schönheit, darum soll es gehen bei der Tagung im Historischen Museum, die der Verein „Pro Altstadt“ am vergangenen Wochenende organisiert hat. Um Baukunst, um Architektur für die Menschen, um Geschichte; um Löcher, die in Städten klaffen, um Wunden, Seele, Geist und Leid, ja, deutschen Geist und deutsches Leid, um Dogmen, Heilung, Schuld, Schuld, Schuld, Schuld und Schuld und Schuld.

Die „neue“ Altstadt in Frankfurt ist seit einigen Monaten für Besucher freigegeben. 200 Millionen Euro haben der Abriss des brutalistischen „Technischen Rathauses“ und die Errichtung der 35 Gebäude gekostet, die nun an seiner Stelle stehen. 15 Gebäude sind „schöpferische Nachbauten“ früherer Fachwerkhäuser. In drei Wochen wird das Gelände offiziell eröffnet.

Nicht mal eine Stunde dauert es indes, bis der Publizist Claus Wolfschlag (Fachgebiete: „Hitlers rechte Gegner“, „Geschichte der Antifa“, „Heimat bauen“) die Bühne betritt, ein langhaariger, grobschlächtiger Mann im erdbraunen Cord-Look, der für die Junge Freiheit, die Preußische Allgemeine und Kubitscheks Sezession schreibt.

Dafür, dass er gar nicht auf der Rednerliste steht, schimpft er recht ausformuliert auf die „moralischen Saubermänner“, die ihn als rechtsextrem bezeichneten. Aus seiner Feder stammt der Antrag für das Bauprojekt. Dabei wolle er ja nur „Schönheit und Liebe in die Stadt bringen“. Und „Heimat“. Ein Ende des „Traumas“, der „inneren Leere“, die der Zweite Weltkrieg den Deutschen beschert hätte. „Nähe zu den Werken unserer Vorfahren“, „sinnliche Erfahrbarkeit von Geschichte“. Aber welcher Geschichte?

Stadt mit Gen-Potential

Darüber hatte, mit immer wieder tief ins Rednerpult kippendem Kopf, zuvor der Welt-­Architekturkritiker Dankwart Guratzsch referiert. Kutschen! Hofstaat! Ritterschlag! Heiliges Römisches Reich! 1000 Jahre! „Krönungsort des deutschen Kaisers“; welcher, nach seiner Wahl, durch den (nun wiederhergestellten) Gang vom Dom auf den Römer getreten und dabei von den „braven Frankfurter Bürgern“ bejubelt worden sei. „Anstelle eines geschichtslosen Monstrums“ gebe es nun endlich – eine neue Monarchie? Nein, nein: ein „Ensemble von poetischer Qualität“. Da sei ein „Gen-Potential“ vorhanden, Frankfurt eine „Global City des Mittelalters“ gewesen, die EU eine „Existenzfrage der Gegenwart“. Wie spät ist es überhaupt?

Die Zeit ist aus den Fugen. Neue Altstadt? Der Fortschritt läuft rückwärts. Sogar junge Leute sind dabei, wie Tilo Bergmann, der Vorsitzende des Vereins „Stadtbild Deutschland“, der knapp 30 Jahre alt sein dürfte. Aber auch er hat bereits die Lingo geskillt: „Gauben“, „Gesimse“, „Giebelstände“; „Herzblut“, „Wunden“. „Social Media“. 10.000 Jahre Bauen hätten eben für jedes Land, jede Region jeweils eigene Formen vollendeter Schönheit hervorgebracht, sagt er in der Brötchenpause. Neben „Rekonstruktionen“ fordert er „historische Bauformen“ auch in der Fläche. Am deutschen Wesen soll die Stadt genesen.

Für Sozial­wohnungen ist in der neu gewienerten Altstadt kein Platz

„Wir wollen Frankfurt sein Herz zurückgeben“, meint die „Pro Altstadt“-Vorsitzende Cornelia Bensinger, deren Verein nicht grundlos so klingt wie „Pro Köln“ oder „Pro Chemnitz“. Sie ist zufälligerweise auch Ortsbeirätin der „Bürger für Frankfurt“, die einst PI news-Autor Wolfgang „Islamisierung“ Hübner gründete. Der hatte Wolfschlags Antrag im Rathaus einst eingebracht, und damit die anderen Parteien vor sich hergetrieben, bis auch sie aufsprangen. Fertig, das sind sie noch lange nicht, machen Hübner wie Bensinger klar. Eine ganze Reihe wiederaufzubauender Wunschgebäude sind schon in der Diskussion: das „alte“ Schauspielhaus, die „alte“ Paulskirche, bald wohl noch weitere, „alte“ Straßenzüge.

Für Sozialwohnungen ist im neu gewienerten Herzen der infarktgefährdeten Hauptstadt der Wohnungsnot kein Platz. „Das müssen Sie verstehen: die Lage, die Hochwertigkeit der Ausführung“, wimmelt Bensinger ab. Hochwertig sind sie in der Tat – und kosten bis zu 25 Euro pro Quadratmeter, kalt. In manchen der Mittelalterhäuser gibt es sogar Fußbodenheizung. Ohnehin ist Bensinger eher für „homogene Besiedlung“. Heißt im Klartext: Alle an ihren Platz.

Grimms Märchen oder Kaiser Wilhelm

Die Rechten und Rechtsextremen haben ihre neue Kampfzone gefunden: die Städte und ihre „Traditionen“. Kein Zufall, dass in den prestigeträchtigsten Bau der „neuen Altstadt“ ein Museum über den Mundartdichter Friedrich Stoltze einzieht. „Wir möchten als Bürger unserer Stadt uns wohlfühlen“, sagt Jürgen Borisch aus Dresden, wo der neuerliche „Wiederaufbau“ bisher am weitesten gediehen ist, und bringt damit die Ratio der neuen Kiezverteidiger auf den Punkt. Ich bin Bürger, mir gehört ein Stück heile Altstadterde. Meine Stadt, mein Bezirk, meine Gegend. Störer nach draußen! An Bettler wurden in der „neuen Altstadt“ Platzverweise verteilt.

Schließlich muss das Heer an Touristen ungestört bleiben, das jetzt noch mehr Geld in die Kassen spülen soll, weil „Altstadt“ mit U-Bahn- und Shopping-Anschluss einfach viel bequemer ist – natürlich auch für Stadtbewohner. In Bürgerinitiativen schließen sie sich zusammen, alt, jung, wohlhabend, voller Empörung; sammeln Unterschriften, erringen Volksentscheide. Gegen den „Dogmatismus der Nachkriegs­architektur“ (Hübner), worunter für sie alles fällt, was nicht nach Grimms Märchen oder Kaiser Wilhelm aussieht, setzen die Authentizitätsneurotiker eine vermeintlich wertneutrale „Schönheit“, die ein älterer Herr am Stehtisch mit der eines frisch gemähten Golfplatzes vergleicht. Differenzen, Brüche, Streit sind in dieser Welt nicht vorgesehen. „Schöne Städte machen gesünder“, verkündet Hübner stolz, und man fragt sich: Wen genau? Und warum wirken die Menschen aus Dresden, aus Chemnitz, aus Bautzen dann immer so angespannt?

Das, nein, eher wütend, ist auch der Luxemburger Architekt Léon Krier, der mit Prince Charles das auf viktorianisch gemachte Dorf Poundbury aus dem Boden stampfen ließ. „Es gibt objektive Kriterien für Schönheit, über alle Klassen hinweg. Jeder weiß, was schön ist“, findet er. Und für jeden sei es dasselbe. Außer für die degenerierten, elitären Architekten und Professoren.

Die seien Heuchler, „kriminell und totalitär“, wollten ihn verfolgen und nach Sibirien schicken. Das sei fast so schlimm wie eine Vergewaltigung und rufe nach einem neuen #MeToo. Das Publikum johlt. Es besteht überwiegend aus älteren Männern mit buntkarierten Kurzarmhemden, welche den Eindruck erwecken, als sollten sie ihre Träger selber zum Fachwerkbau hochrenovieren. Ein Mario-Barth-Nachmittag für die etwas Gebildeteren: Man ist sich einig.

Krier zeigt eine Karikatur, in der eine Tempelsäule am Galgen hängt. Darunter steht: Nürnberger Architektur-Prozesse. Bald breche ein Krieg aus, murmelt Krier. Der Tag neigt sich dem Ende zu. Man geht nach draußen und schaut in den Himmel, an dem allein Mitte März 1944 mehr als 1.500 britische Bomber kreisten.

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