Liedermacherin über Lage in Nicaragua: „Ich bin überrascht über den Mut“

In Nicaragua werden Oppositionelle erschossen und Künstler bedroht. Trotzdem wird immer noch protestiert, sagt Liedermacherin Katia Cardenal.

Demonstranten gegen Polizisten

Wieder mal Polizeieinsatz, wieder mal gegen Demonstrant*innen in managua Foto: ap

taz am wochenende: Frau Cardenal, seit Mitte April tobt in Nicaragua ein Aufstand, der von der Regierung Daniel Ortega/Rosario Murillo blutig niedergeschlagen wird. Wie lebt es sich als Künstler/Künstlerin heute in Nicaragua?

Katia Cardenal: Die Musik ist in ganz Lateinamerika sehr eng mit der sozialen Bewegung verknüpft. Ein Lied kann die Menschen wachrütteln oder bei einer Kampagne für die Umwelt begleiten. Meine Musik fördert menschliche Werte, die weltweit anerkannt werden. In Nicaragua kann dich das heute ins Gefängnis bringen, denn es sind Werte, die das Regime zerstören will. Wenn du dich für Meinungsfreiheit einsetzt, kannst du als Terrorist verfolgt werden.

Das klingt bitter.

Vielen Künstlern ergeht es ähnlich wie mir: Sie finden keine Arbeit mehr, müssen sich mit Musikunterricht oder dem Verkauf von Lebensmitteln durchschlagen. Der bekannte Liedermacher Carlos Mejía Godoy ist nach Costa Rica geflohen, weil man ihn und seine Frau bedroht hat. Das ist übrigens derselbe, der einst die Hymne der Sandinistischen Befreiungsfront komponiert hat.

Und Sie?

Ich war drei Monate lang arbeitslos, weil ich an einigen Demonstrationen teilgenommen und dort gesungen habe. Ich konnte meine Familie nicht mehr ernähren. Zuerst habe ich meine Ersparnisse aufgebraucht, und dann haben mir Bekannte aus den USA geholfen. Seit über zwei Monaten bin ich jetzt auf Tournee. Dass ich sieben Jahre in Norwegen gelebt habe, wo mein Ex-Mann herkommt, hat mir dabei geholfen. Ich organisiere die weiteren Konzerte unterwegs.

Am Beginn der Revolution stand fast ganz Nicaragua hinter den Sandinisten. Die meisten Künstler haben sich längst von Daniel Ortega abgewandt. Wann begann Ihre Entfremdung?

Das war schon 1985. Ein Musikproduzent in den USA hatte mich nach Los Angeles eingeladen, und ich brachte dort eine Platte heraus. Als ich zurückkam, erwartete mich ein Brief von Rosario Murillo, die das Kulturinstitut leitete. Ich hätte diese Aufnahme nicht mit ihr abgesprochen und dürfe daher das Land ein Jahr lang nicht mehr verlassen. Daraufhin bin ich ausgetreten. Rosario will immer alles unter Kontrolle haben.

Die Liedermacherin wurde 1963 in Managua geboren, hat nie Revolutionslieder komponiert. Mit ihrem 2010 verstorbenen Bruder Salvador trat sie fast 30 Jahre lang als Duo Guardabarranco auf. Die Nichte des Dichters Ernesto Cardenal lässt sich jetzt von ihrer Tochter Nina auf der Gitarre begleiten. Ihre sehr poetischen Lieder erzählen von Liebe, Natur und Hoffnung.

Das kulturelle und soziale Leben in Nicaragua ist wohl generell zum Erliegen gekommen.

Es gibt eine Art inoffizielle Ausgangssperre in der Nacht. Die Kinos, deren letzte Vorstellung um Mitternacht endete, sperren heute schon um 18 Uhr zu. Wenn man nach Einbruch der Dunkelheit unterwegs ist, läuft man große Gefahr, von der Polizei schikaniert oder festgenommen zu werden. Man versucht, immer jemanden als Begleitung zu haben, man informiert, wenn man das Haus verlässt und wenn man wieder zurückkommt. Es ist gespenstisch. Ich habe erlebt, wie die Oppositionsbewegung Barrikaden errichtete und wie viele der jungen Aktivisten dort erschossen wurden.

Rechtzeitig zum Revolutionsjubiläum am 19. Juli konnte die Polizei alle Barrikaden und Straßensperren beseitigen. Seitdem wird versucht, den Anschein ­einer Normalität zu verbreiten. Auch Künstler tragen dazu bei.

Ja, es wird ein Zirkus veranstaltet, für den sie Künstler kaufen. Sie zahlen viel höhere Gagen als normal und nutzen es aus, dass viele das Geld brauchen. Zu allen möglichen Anlässen werden sandinistische Aufmärsche veranstaltet, sogar zum Geburtstag von Vizepräsidentin Murillo. Anschließend gibt es dann ein Konzert. Die Bühnen werden aufwendig mit Blumen geschmückt. Das ist abstoßend, wenn mehr als 200.000 Menschen durch die Krise ihre Arbeit verloren haben. Hotels, Restaurants, Nachtclubs sind reihenweise in Konkurs gegangen.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Hat die Regierung so etwas wie eine Kulturpolitik?

Nein. Wir Künstler sind nicht versichert und haben keinen Pensionsanspruch. So fördert man keine Kultur. Das war während der Revolution in den 1980er Jahren anders. Unter dem Einfluss von Kuba und der Sowjetunion wurde Kultur damals groß geschrieben. Die Künste blühten auf. Heute passiert das genaue Gegenteil. Dieser Wandel begann nach der Wahlschlappe 1990, als alle nur mehr daran dachten, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen.

Daniel Ortega wehrt sich immer gegen den Vorwurf, er wolle eine neue dynastische Herrschaft errichten.

Es spricht doch alles dafür. Seine Frau hat er zur Vizepräsidentin gemacht. Die Söhne und Töchter haben alle wichtige Posten in Politik und Wirtschaft. Die Medien gehören ihnen. Eine Cousine von mir betrieb den Pop-Musik-Sender Radio Activa. Weil sie dort die Opposition unterstützte, wurde er niedergebrannt. Das passierte auch Radio Darío in León. Der unabhängige Internet-TV-Kanal 100% Noticias wurde zensiert. Die Schlägertrupps von Ortega haben ihm Kameras geraubt und sie kaputt gemacht. Carlos Pastora, der Geschäftsführer des Kanals 10, wurde so bedrängt, dass er in der Botschaft von Honduras um Asyl ansuchte.

Noch im Juni dachte man, Ortega wird stürzen oder zumindest vorgezogene Wahlen unter demokratischen Bedingungen akzeptieren müssen. Jetzt sitzt er wieder fest im Sattel und die Oppositionsbewegung ist teilweise im Untergrund oder Exil.

Sie haben mehr als 400 Menschen getötet und jeden Tag werden 10 bis 15 Oppositionelle eingesperrt. Trotzdem wird immer noch protestiert. Ich bin überrascht über diesen Mut. Überall haben Paramilitärs die Kontrolle übernommen. In meiner Wohngegend kontrollieren über 20 Zivilisten mit rot-schwarzen Fahnen die Straße.

Sehen Sie die Gefahr, dass die traditionelle Rechte, die die ganze Zeit in Deckung war, letzten Endes die Ernte einfährt? Der wegen Korruption verurteilte Ex-Präsident Arnoldo Alemán ist ja in letzter Zeit wieder häufiger zu sehen.

Er trifft sich ständig mit Leuten, deren Unterstützung er sucht. Aber die Menschen verabscheuen ihn. Das Problem ist, dass die Massen schnell jemandem hinterherrennen, der ihnen etwas schenkt oder etwas verspricht. Wir brauchen jemanden ohne politische Vorgeschichte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.