Die Deutsche Bahn und die Mobilitätskrise: Dieses Land ist unmodern

Deutschland steckt in einer Mobilitätskrise, und die Bahn hat entscheidenden Anteil daran. Dabei sind ihre Aufgaben im Grundgesetz festgehalten.

Auf einem Bahngleis liegen ein Blätter

Ob dieses Laub schon zu einer Verspätung führen wird? Foto: Unsplash/ eberhard grossgasteiger

Ah, der Nahverkehr liegt Ihnen am Herzen und die Bahn auch? Dann brauchen Sie Geduld. Schon die Fahrt mit dem Bus zum Bahnhof zeigt, ob Sie der Herausforderung gewachsen sind, denn vielerorts dürfte es vor hundert Jahren mit der Pferdekutsche schneller gegangen sein. Damals war das Streckennetz noch immens. Allein in Preußen gab es mehr Schienenwege als heute die 33.500 Schienenkilometer in ganz Deutschland.

Moderne Gesellschaften sind mobile Gesellschaften, lässt die Bahn den Trendforscher Mathias Haas auf ihrer Homepage sagen. Das ist skurril. Schließlich demonstriert die Bahn Tag für Tag, wie unmodern Deutschland ist. Hier sind Dieselloks noch das Transportmittel des 21. Jahrhunderts, denn nur 60 Prozent der Strecken sind elektrifiziert. In der Schweiz sind es 100 Prozent.

Die Umstellung auf Batteriebetrieb erfolgt hierzulande jedoch schleppend – wie alles bei der DB. Internet gibt es nur im ICE, Verspätungen sind normal, Anschlüsse klappen nicht, Nachtzüge sind abgeschafft.

Gründe für Verspätungen gibt es bei der Bahn immer: im Sommer die Hitze, im Winter die Kälte, im Herbst das Laub, im Frühjahr die Stürme. Dazu die Streckensperrungen und die „Stellwerkfehler“ – ein besonders beliebter Verzögerungsgrund. Reisen mit der Bahn, so das Fazit, wird immer unkomfortabler.

Gründe für Verspätungen gibt es bei der Bahn immer: im Sommer die Hitze, im Winter die Kälte, im Herbst das Laub, im Frühjahr die Stürme

In Deutschland gibt es eine Mobilitätskrise, und die Bahn hat entscheidenden Anteil daran. Nicht nur die Züge sind überfüllt, auch Straßen sind verstopft und Flüge fallen aus. Viele Menschen würden gerne von klimaschädlichen Verkehrsmitteln auf die Bahn umsteigen. Doch angesichts der Unzuverlässigkeit und Unbequemlichkeit der Bahn lassen sie das lieber. Geradezu irre ist, dass auf vielen Inlandsstrecken ein Flug billiger ist als die Zugfahrt, die Kosten fürs Taxi zum Flughafen mit eingerechnet.

Am Donnerstag hat die Bahn nun angekündigt, die Preise weiter anzuheben. Was für ein Irrweg. Flugzeugtickets werden dagegen eher billiger.

Die Bahn hatte 2016 einen Marktanteil am Personenverkehr im Inland von nur 9,8 Prozent, Busse von 5,6 Prozent und Flugzeuge von 0,9 Prozent. Autos und Motorräder kommen auf gigantische 83,8 Prozent. Auch wenn der Staat nach wie vor mehr Geld in Straßen als in Schienen steckt – in einem guten Zustand sind auch Fahrbahnen und Brücken nicht.

Moderne Infrastruktur: Fehlanzeige. Dafür ist eine völlig andere Verkehrspolitik nötig, die auf ökologische Transportmittel setzt. Dazu müssen Bund, Länder und Kommunen investieren – in gute Verkehrsleitsysteme, in mehr E-Verkehr, in Fahrradstraßen und vor allem in die Bahn. Die Verkehrswende ist eines der wichtigsten, vielleicht das wichtigste Modernisierungsprojekt in Deutschland.

Refeudalisierung statt Modernisierung

Andere europäische Länder stecken viel mehr Geld in die Instandhaltung und Modernisierung ihrer Bahnnetze, in Deutschland sind es 67 Euro pro Bundesbürger, in der Schweiz 362 Euro, in Österreich 187 Euro, in Großbritannien 165 Euro. In Deutschland dagegen setzten Bahnmanager und Bundesregierung auf Prestigeprojekte wie das Milliarden Euro verschlingende Stuttgart 21.

Bahnmanagement und Bundesregierung betreiben eine Refeudalisierung des Bahnfahrens – das ist das Gegenteil von Modernisierung. Wer Geld hat, kann von umsichtigem Servicepersonal umsorgt in der 1. Klasse bequem reisen und in der schicken Bahnhofs-Lounge auf den verspäteten Zug warten. Wer mittellos ist, bleibt in der Kälte stehen. Spartickets gibt es wenige, sie müssen weit im Voraus gebucht werden.

Von den mehr als 5.000 Bahnhöfen in Deutschland gehören ganze 21 nach dem eigenen Bewertungssystem der Bahn zur Spitzenkategorie, etwa die in Berlin, Köln, Hamburg oder München. Das sind zu Shoppingmalls mit Fressmeile umgebaute Gebäude mit Fahrkarten- und Informationsschaltern. Auch die 87 Bahnhöfe der Kategorie 2 sind noch mit Personal besetzt. Bei den 239 weiteren der Kategorie 3 ist das bereits ungewiss. Von den übrigen mehr als 4.000 Bahnhöfen verdienen die meisten diesen Namen nicht.

Dabei ist die Bahn ein so wichtiger Teil der Infrastruktur, dass ihre Aufgaben im Grundgesetz festgehalten sind. Als 1994 die westdeutsche Bundesbahn und die ostdeutsche Reichsbahn zusammengelegt wurden, hat der Bundestag das Grundgesetz geändert. „Eisenbahnen des Bundes werden als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form geführt“, heißt es dort seitdem.

Trotzdem fahren Menschen gerne Zug

Die Bahn ist eine Aktiengesellschaft, die zu 100 Prozent dem Bund gehört. Bundesbahn und Reichsbahn waren dagegen Staatsbahnen, die wie Behörden geführt wurden. Klingt unsexy, hatte aber einen Vorteil: Sie mussten keinen Gewinn erwirtschaften.

Seit 1994 ist die Bahn dagegen unternehmerisch ausgerichtet und faktisch von der staatlichen Aufgabe der Daseinsvorsorge befreit. Ursprünglich sollten die Aktien an der Börse verkauft werden. Das ist 2008 wegen der Finanzkrise abgesagt worden. Doch schon im Vorfeld ist die Bahn mit Blick auf die erhofften guten Bewertungen von Analysten und Investoren auf Rentabilität getrimmt worden; Personalabbau, Streckenkürzungen, nur die nötigsten Investitionen und kaum Modernisierungen waren die Folge.

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Obwohl die Bahn deshalb unzuverlässig und das Angebot dürftig ist, ziehen es immer mehr Menschen vor, am Bahnsteig zu warten, statt im Stau zu stehen. Bis 2030 will die Bahn das bisherige Angebot um 25 Prozent auszubauen. Auch der Koalitionsvertrag von Union und SPD sieht einen drastischen Ausbau vor, 2030 sollen doppelt so viele Menschen mit der Bahn reisen wie heute. Das kann nur funktionieren, wenn die Bahn ihren Kurs grundlegend ändert – ist aber nicht in Sicht.

In einem Brief an seine leitenden Mitarbeiter monierte Bahnchef Richard Lutz kürzlich, die Leistungen seien nicht zufriedenstellend, das gelte „gleichermaßen für Wirtschaftlichkeit, Qualität und Pünktlichkeit“. Dann verhängte er eine Ausgabensperre – wegen Schulden in Höhe von 20 Milliarden Euro. Mit noch mehr Sparen sind die Probleme aber nicht in den Griff zu bekommen. Die Bahn ist trotz der Schulden reich. Sie hat im In- und Ausland Tochtergesellschaften, etwa in der Logistikbranche, die sie verkaufen könnte.

Mit Gewinn keine Moderne

Doch auch wenn der Börsengang erst einmal von der Tagesordnung genommen wurde, die Bahn wird immer noch in der Logik des Shareholder Value geführt. Für eine moderne Verkehrsinfrastruktur fühlen sich die Manager im Bahntower am Potsdamer Platz in Berlin nicht zuständig. Sie kommen größtenteils aus der Auto-, Luftfahrt- und Finanzbranche.

Sie formen aus der Bahn einen gigantischen Konzern, der auf der ganzen Welt Geschäfte macht und dem Wachstum im globalen Logistik- und Speditionswesen wichtiger ist als die Infrastruktur hierzulande. Die Bundesregierung wiederum könnte das ändern, aber außer unverbindlichen Absichtserklärungen kommt nichts von ihr.

Das alles zeigt: Wenn der Gewinn das ausschlaggebende Kriterium für eine bessere Infrastruktur ist, findet die Moderne nicht statt.

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